Das Transitabkommen: Durch die DDR nach West-Berlin
Lange war der Verkehr zwischen der BRD und West-Berlin streng reglementiert und teuer. Erleichterung brachte das Transitabkommen, das am 3. Juni 1972 in Kraft trat. Eine besondere Rolle spielte die F5 zwischen Hamburg und Berlin.
Wer zwischen 1972 und 1982 mit dem Auto aus Hamburg und Umgebung nach West-Berlin fahren wollte, hatte keine Wahl: Die einzige Transitstrecke im Norden war die Fernverkehrsstraße 5, kurz F5 genannt. Und für die brauchten die Reisenden Geduld: Die Fahrt über die zweispurige Landstraße führte vom Grenzübergang Lauenburg/Horst durch Dörfer und Wälder, entlang von Redefin, Ludwigslust, Karstädt, Quitzow und Ribbeck schließlich über den Grenzübergang Berlin-Staaken bis in den Westen der geteilten Stadt. Anders als die übrigen Transitstrecken, allesamt Autobahnen, bot die F5 so einen Einblick in das Leben der Menschen in der DDR. Und die Möglichkeit zu - wenn auch unerwünschten - Kontakten. Die Erleichterungen durch das Transitabkommen führten dazu, dass sich das Verkehrsaufkommen auf der F5 wie auch auf den drei weiteren Transitstrecken zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin erheblich erhöhte.
Reisen durch die DDR: Teure Visa und Durchsuchungen
Davor war der Interzonenverkehr, wie die Verbindung zwischen BRD und den Berliner West-Sektoren zunächst genannt wurde, lange Zeit eine Reise mit vielen Unwägbarkeiten. Lange Wartezeiten an den Grenzübergängen, Straßenposten, Strafgelder für Geschwindigkeitsüberschreitungen und spontane Durchsuchungen waren seit den 1950er-Jahren an der Tagesordnung. Verschärft wurde die Situation noch durch den Bau der Berliner Mauer 1961, der auch die Bewegungsfreiheit zwischen Ost- und West-Berlin massiv einschränkte. Seit Juni 1968 mussten Bundesbürger gegen Gebühren von 5 DM pro Person ein Visum beantragen, hinzu kamen Straßennutzungsgebühren von 5 bis 15 DM - eine wichtige Devisen-Quelle für die DDR.
Brandts Politik der Annäherung
Unter der Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) kam es Anfang der 1970er-Jahre schließlich zu einer langsamen Annäherung zwischen der BRD und der DDR. Im Zuge dieser Bemühungen unterzeichneten im Herbst 1971 die ehemaligen Besatzungsmächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich das Viermächteabkommen. Dieses regelte den Status der geteilten Stadt Berlin und beinhaltete den ungehinderten Transitverkehr aus der Bundesrepublik nach West-Berlin. Das Vier-Mächte-Abkommen bildete den Rahmen, innerhalb dessen die BRD und die DDR nun ein innerdeutsches Transitabkommen mit konkreten Reiseregeln aushandeln durften. Grundlage der Verhandlungen war dabei auch die Anerkennung der innerdeutschen Grenze durch die BRD und die UdSSR im Moskauer Vertrag von 1970.
Bahr und Kohl unterzeichnen Transitabkommen
Das Transitabkommen bedeutete eine große Erleichterung für Bundesbürger, die nach West-Berlin reisen wollten. Auch ein Besuch in Ost-Berlin war für West-Berliner fortan schneller und unkomplizierter zu planen. Die Staatssekretäre Egon Bahr und Michael Kohl unterzeichneten den Vertrag am 17. Dezember 1971, am 3. Juni 1972 trat er in Kraft. Für den Güterverkehr auf der Schiene und auf Binnenfrachtschiffen bedeutete das Abkommen, dass zivile Güter in amtlich verschlossenen Fahrzeugen oder Behältern ungehindert befördert werden konnten. Die Regeln des Transitabkommens galten allerdings nicht für den Verkehr durch die DDR in weitere Länder wie Polen oder die Tschechoslowakei, sondern waren ausschließlich auf Bundesrepublik und DDR beschränkt. Es war das erste Regierungsabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten und wurde noch vor dem Grundlagenvertrag geschlossen.
Westdeutsche Visa-Pauschale als Devisenquelle für die DDR
Für den Personenverkehr ergaben sich mit dem Transitabkommen zahlreiche Erleichterungen. Visa wurden direkt und zügig an den Grenzübergangsstellen (GÜSt) der DDR am Fahrzeug oder im Zug erteilt. Fahrzeuge und Gepäck sollten nur noch bei begründetem Verdacht auf Schmuggel oder Devisenvergehen durchsucht werden. Die Gebühr mussten nun nicht mehr die Reisenden bezahlen. Stattdessen entrichtete die Bundesrepublik eine jährliche Pauschale für Visa und Schienennutzung an die DDR. Von 1972 bis 1975 etwa waren dies pro Jahr 234,9 Millionen DM - eine fest einkalkulierte Devisenquelle der DDR-Regierung.
Absolut unerwünscht: Begegnungen zwischen Ost und West
Mit Blick auf unerwünschte Kontakte zwischen Bürgern der Bundesrepublik und denen der DDR sah die DDR in den Transitstrecken allerdings auch eine große Gefahr, entsprechend strikt waren die Regeln. Ausschließlich zur Durchreise durften sie befahren werden. Anhalten oder gar das Verlassen der Transitstrecke ohne triftigen Grund wie etwa tanken war nicht erlaubt. Schon geringe Geschwindigkeitsüberschreitungen konnten zu hohen Geldstrafen führen. Überwacht wurden die Strecken vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS).
Auf einer Landstraße wie der F5 waren Regelverstöße jedoch wesentlich schwieriger zu kontrollieren als auf Autobahnen. Der Verkehr rollte durch einsame Wälder und kleine Dörfer, die Reisenden mussten an Ampeln halten oder dem landwirtschaftlichen Betrieb Vorrang geben. An der Bahnschranke in Karstädt bei Ludwigslust etwa standen die Autos regelmäßig bis zu 45 Minuten. Wie an den Autobahnen war auch das Aussteigen entlang der F5 strengstens verboten.
Transit auf der F5 - Stasi-Spitzel im Gasthof Quitzow
Einzige Ausnahmen waren der Gasthof in Quitzow und der Intershop direkt nebenan. Hier durften BRD-Bürger anhalten, im Gasthof essen oder im Geschäft ein paar Devisen lassen. Schnell wurde klar, dass das Restaurant so auch Möglichkeiten für geheime Treffen zwischen Ost und West bot. Deswegen waren hier stets Mitarbeiter der Staatssicherheit im Einsatz - unter den Gästen und beim Personal. Der Gasthof wurde zum Zentrum sowohl geheimdienstlicher Beobachtungen wie auch geheimer Formen der Kommunikation. Wie sich die Gäste bei deftigen Braten oder Soljanka und einem Bier verhielten - die Stasi dokumentierte alles.
Die F5 als Fluchtroute
Zehn Jahre lang bot die F5 den durchreisenden BRD-Bürgern einen tiefen Einblick in das Leben in der DDR - und DDR-Bürgern Möglichkeiten, dem Regime zu entkommen: Zahlreiche Fluchtwillige kletterten an schlecht einsehbaren Stellen in ein Kofferraum-Versteck und gelangten so in den Westen. Doch nicht jede Flucht glückte. Wer erwischt wurde, musste mit langen Haftstrafen rechnen.
1982: A24 löst F5 ab
Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transitabkommens endete mit der Autobahn 24 die Rolle der F5 als unerwünschte Begegnungsstätte und Fluchtroute. Erste Ideen für eine Autobahn zwischen Hamburg und Berlin gab es bereits in den 1960ern. In den folgenden Jahren wurde immer deutlicher, dass eine Autobahn-Verbindung zwischen Hamburg und Berlin vor allem für den Gütertransport von großem Vorteil wäre. Verhandlungen zwischen der BRD und der DDR bezüglich einer neuen Autobahn wurden 1974 aufgenommen.
Nach langjährigen Streitigkeiten über die Trassenführung begannen 1978 die Bauarbeiten. Am 20. November 1982 eröffneten Bundesverkehrsminister Werner Dollinger und der Verkehrsminister der DDR, Otto Arndt, die A24 für den Verkehr. Kurz darauf wurde die F5 für den Transitverkehr gesperrt. Sieben Jahre später fiel die Mauer und Grenzkontrollen gehörten bald der Vergangenheit an. Historiker bewerten das Transitabkommen von 1972 rückblickend als Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung.