Zwei Welten: Dienst an der innerdeutschen Grenze
Jahrelang bewachten Dieter Schmidt und Harald Czymoniak die Grenze bei Lauenburg. Der eine im Westen, der andere im Osten. Nach der Wende sprachen sie erstmals miteinander.
Als 1989 in Berlin die Mauer fiel, rückte das Ende der DDR näher. Jahrzehntelang hatten die Grenzanlagen die beiden deutschen Staaten getrennt. Durch Norddeutschland zog sich die sogenannte Grüne Grenze von der Ostsee bis zum Harz - auf beiden Seiten bewacht von Grenzschützern. Dieter Schmidt stand auf der westlichen Seite der Grenze: "Nur wenige Zentimeter waren wir entfernt. Wenn man die Hand ausreichen würde, dann würde man die dementsprechend berühren können. Also wirklich hautnah", sagt er 2019 dem NDR.
Und doch lagen Welten zwischen den Grenzbeamten. Als Mitarbeiter im Zollkommissariat Büchen in Schleswig-Holstein patrouillierte Schmidt fast täglich an der Grünen Grenze zwischen Ratzeburg und Lauenburg. Warenverkehr gab es dort damals nicht. Die Zöllner beschränkten sich auf die Beobachtung und Kontrolle der - wie Schmidt sie nennt - hässlichen Grenze. "Es war tatsächlich routinierte Langeweile", erinnert sich Dieter Schmidt.
Stumme Begegnungen zwischen Ost und West
Auf der anderen Seite ging Harald Czymoniak Streife, als Außenposten direkt an den Grenzsteinen. Als sogenannter Grenzaufklärer der DDR-Truppen genoss Unteroffizier Czymoniak besonderes Vertrauen. "Also eine Kontaktaufnahme war strikt verboten. Man durfte ja noch nicht einmal den Tagesgruß erwidern", erklärt er 2019.
In der Offizierschule hatte man dem DDR-Grenzsoldaten aus Mecklenburg eingebläut: Da auf der Westseite, da stehen unsere Feinde. Und der Bundeszollbeamte Schmidt aus Büchen würde dazu gehören. Immer wieder trafen die beiden Uniformierten in den 1970er- und 80er-Jahren am unsichtbaren Grenzstrich aufeinander. Es seien stumme Begegnungen gewesen, sagt Dieter Schmidt: "Der gesprochene Gruß wurde nicht erwidert. Beim Winken ist es ganz selten gewesen, dass die Grenzsoldaten auch die Hand gehoben haben. Manchmal nachts so ein kleines Blinkzeichen mit der Taschenlampe." Für Harald Czymoniak kam es nicht infrage, die Grüße aus dem Westen zu erwidern. "Da bestand immer die Gefahr, dass über Funk durch BGS oder Zoll gesagt wurde 'Hier Kontaktaufnahme' oder 'Hat den Gruß erwidert' oder wie auch immer. Wir wussten ja, dass der gesamte Funkverkehr von unserer Seite aus angehört wird."
Gegenseitiges Überwachen und Fotografieren
Rückblickend bezeichnet Harald Czymoniak das Sprechverbot als völlig idiotisch. Zu Czymoniaks Aufgaben an der Grenze, mitten im Kalten Krieg, gehörte auch, die gegnerischen Aktivitäten auf der anderen Seite zu verfolgen. "Jeder hat versucht, jeden zu fotografieren, um zu gucken, was macht der."
Von der anderen Seite filmte und fotografierte der Zollbeamte Dieter Schmidt. Es waren diese dienstlichen Fotos, die die beiden schließlich - Jahrzehnte später im vereinten Deutschland - wieder zusammenführten. Im Internet im Forum "DDR-Grenze" las Dieter Schmidt einen Beitrag von einem DDR-Grenzsoldaten aus der Kompanie Zweedorf. Schmidt ergriff die Initiative und nahm Kontakt zu Harald Czymoniak auf. Dazu schickte er ihm ein altes Bild. Harald Czymoniak erkannte den Kollegen von der anderen Seite wieder. Beide trafen sich daraufhin dort, wo sie sich einst schweigend gegenüberstanden, am ehemaligen Grenzstreifen bei Büchen. Die ehemaligen Grenzschützer tauschten Anekdoten aus und stellten fest, dass sie schon damals im geteilten Deutschland nicht als Feinde gesehen haben. Der frühere DDR-Soldat Czymoniak erinnert sich: "Mit den Jahren hat man da gesagt, der arme Hund macht den gleichen Dienst wie wir halt auch."
Weiter an die Teilung erinnern
Den Fall der Mauer erlebten beide aus der Ferne, in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Von der historischen Sensation erfuhr Schmidt in Büchen erst am nächsten Tag aus der Zeitung. Doch als Tage später auch in Norddeutschland die ersten Grenzübergänge öffneten, war er dabei und drehte mit seiner Schmalfilmkamera. Seine historischen Aufnahmen zeigt er gerne. Das Erlebte versteht Schmidt als politischen Auftrag: "Ich möchte, dass es nicht vergessen wird. Junge Leute können sich ja gar nicht vorstellen, wie wichtig und wie schön die Einheit ist."