Gerda und Werner Wolff: Wenn sie heute auf ihr Leben zurückblicken, sehen sie vor allem eines: ihr großes Glück! © NDR/Heike Schieder

Gerda und Werner Wolff: "Nichts wurde unter den Teppich gekehrt"

Stand: 20.12.2024 15:35 Uhr

Gerda und Werner Wolff aus Hamburg sind seit 1949 miteinander verheiratet. Ihre Altersgenossen sind alle längst verstorben. Dass sie ihr Leben schon so lange teilen dürfen, empfindet das Paar als großes Glück.

von Stefanie Grossmann und Heike Schieder

Ihre ersten Verabredungen finden nach Kriegsende in Hamburg statt: zwischen Trümmern und bei bitterster Kälte. Weil die Musikhalle geheizt ist, treffen sich die beiden Banklehrlinge in dem Konzerthaus am Johannes-Brahms-Platz: "Das war nachher unser Zuhause." Auch als sie später gut verdienen, bleiben Gerda und Werner Wolff bescheiden. Durch ihre 75 Jahre dauernde Ehe trägt sie ihr gemeinsamer Trauspruch: Der eine trage des anderen Last. Er hat bis heute Gültigkeit für sie. "Dass wir so lange zusammenleben können, das ist das Schönste", erzählt Werner Wolff dem NDR in der Dokumentation "Jahrhundertliebe".

Zweiter Weltkrieg: Gerdas Wohnhaus wird völlig zerstört

Gerda Wolff als Kleinkind © Gerda Wolff privat Foto: privat
Unbeschwerte Kindheit bis der Krieg ausbricht: Gerda Wolff wächst in Hamburg-Eimsbüttel aus.

Gerda Wolff wird am 30. Juni 1929 in Hamburg geboren. Sie wächst bei ihrer Mutter und der älteren Schwester auf. In den ersten Jahren bleibt sie vom Zweiten Weltkrieg verschont. Das ändert sich Sommer 1943, in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli fliegen die Alliierten schwere Bombenangriffe auf die Hansestadt. Bei der "Operation Gomorrha" werden Spreng- und Phosphorbomben abgeworfen. "Sodass alles brennen konnte", beschreibt Gerda die Auswirkungen der Luftangriffe. "Ich habe die Bilder noch vor Augen. Das vergisst man nie", beschreibt sie rückblickend die traumatischen Erlebnisse. Ihr Wohnhaus im Stadtteil Eimsbüttel wird völlig zerstört. In der Folge zieht die kleine Familie zu den Großeltern in einen anderen Stadtteil.

Nach 1945 gab es nur "Hunger, Kälte und Trümmer"

Werner Wolff kommt am 4. Juli 1924 in Hamburg-Barmbek auf die Welt. Er wächst mit einer älteren Schwester auf. Mit 18 Jahren wird er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, später kommt er an die Front nach Russland. 1945 kehrt Werner Wolff aus dem Krieg zurück. "Da kommt man mit der Bahn nach Hamburg rein - und überall nur Trümmer": Er erlebt die Bilder der zerstörten Stadt so hautnah - "es lässt nicht wieder ausradieren." Nach 1945 habe es überhaupt nichts gegeben, nur Hunger, Kälte und Trümmer, beschreibt Werner Wolff die Nachkriegszeit.

Nachkriegszeit: Eine Sparkassen-Liebe beginnt

Nach Kriegsende treffen Gerda und Werner aufeinander. Beide machen bei der Hamburger Sparkasse eine Lehre, mit rund 60 anderen Auszubildenden. Sie sind mehr Frauen als Männer, weil viele Soldaten im Krieg geblieben sind oder noch nicht wieder zurückgekehrt sind. "Da hatte man eine reiche Auswahl, wenn man so wollte", erzählt Werner Wolff rückblickend. Gerda und Werner bleiben zusammen, "das hat sich dann so ergeben", ergänzt er.

Hungerwinter 1946/47: Musikhalle wird zum Zuhause

1946/47 erlebt das Paar einen der härtesten Winter des Jahrhunderts, mit 40 Tagen Dauerfrost. Gerda und Werner laufen über die zugefrorene Außenalster, um sich bei ihren Großeltern für ein bis zwei Stunden in der warmen Stube aufzuwärmen. Anschließend fährt er nach Hause. Zu einem zweiten Zuhause wird die Musikhalle, die vom Krieg verschont geblieben ist. "Wir haben uns immer Karten gekauft für die nächsten Konzerte", so Werner Wolff. Die Musikhalle wird seinerzeit beheizt. Es ist warm und sie müssen sich nicht auf der Straße aufhalten.

Etwas später beginnt eine unbeschwerte Zeit. Es wird wieder getanzt. Das erste Tanzlokal ist in Ohlsdorf. Dort treffen sich die Lehrlinge. Aber Werner ist ein Tanzmuffel, bis heute: "Musikalisch bin ich ein Chaot. Da sei nichts zu holen." Trotzdem seien sie zusammengeblieben, erzählt Gerda.

Ein Ei als Verlobungsgeschenk und Hochzeit 1949

Gerda und Werner Wolff vor dem Standesamt in Hamburg-Eimsbüttel © Gerda und Walter Wolff privat Foto: privat
Frisch vermählt: Gerda und Werner Wolff haben sich auf dem Standesamt Eimsbüttel das Ja-Wort gegeben.

Zur Verlobung an Ostern gibt es ein originelles Geschenk: ein Ei. Werner bekommt es von einem Kriegskameraden, der einen Bauernhof in Heide bewirtschaftet. Als sie 1949 heiraten, ist Gerda zarte 19, ihre Mutter muss deshalb als gesetzlicher Vormund einer Heirat zustimmen. Das Hochzeitsessen kommt aus Amerika: ein Carepaket, bestehend aus Zucker, Mehl und einer Dose Fleisch. Als Gerda und Werner verheiratet sind, dürfen sie endlich auch zusammenziehen - in eine Ein-Zimmer-Wohnung. Ihr Erinnerungsstück an diese Zeit ist eine Metallschatulle, die Gerdas Vater selbst gemacht hatte. Die Schatulle hatte den Bombenangriff im Kachelofen überstanden. "Darin lagen die ganzen Papiere, völlig geordnet aufeinander, aber schwarz verkohlt", beschreibt Gerda Wolff den Inhalt. Unversehrt geblieben sind die Goldmünzen. "Wir haben dem Juwelier eine Münze gegeben, der hat uns dafür Eheringe verkauft."

Volljährigkeit

Ob Verträge abschließen oder heiraten: Bis zum 31. Dezember 1974 ging das in der Bundesrepublik Deutschland erst mit dem 21. Geburtstag. In der DDR galt bereits ab 1950 die Volljährigkeit mit 18 Jahren. Am 22. März 1974 hat der Deutsche Bundestag schließlich die Senkung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre beschlossen.

In der Nachkriegszeit leben die Wolffs genügsam und bescheiden. Sie kaufen sich keine Butter - zu teuer. "Wir haben nie über die Stränge geschlagen", so Werner Wolff. Auch nicht dann, als die beiden besser verdienen.

Zweisamkeit ade: Zwei Töchter wirbeln Alltag durcheinander

Gerda und Werner Wolff im Urlaub © Gerda und Walter Wolff privat Foto: privat
Zeit zu zweit: Viele Jahre verbringen Gerda und Werner unbeschwerte Tage im Urlaub.

Das Ehepaar genießt die Zweisamkeit und reist viel: "Das war schon sehenswert, was da zusammenkam." Zehn Jahre leben sie kinderlos, 1959 kommt schließlich Tochter Andrea auf die Welt, fünf Jahre später ihre Schwester Anke. Eine Umstellung: "Unser Leben steht und fällt mit den Kindern, da läuft ja der ganze Betrieb anders." Gerda bleibt zu Hause, Werner geht weiter arbeiten. Zwei Welten. Es gibt schon Differenzen zwischen den Eheleuten, "aber das wurde ausdiskutiert, nichts wurde unter den Teppich gekehrt", erzählt Gerda Wolff in der Rückschau.

Wegen Geld streiten die beiden nie, aber wegen einer anderen Frau. "Mein Mann hatte mal eine Freundin im Geschäft. Das fand ich nicht gut", erzählt Gerda. Sie habe das Gefühl gehabt, abgeschoben zu werden. Doch Gerda Wolff hat das dann geklärt.

"Man muss im Leben mehr geben als nehmen"

Auch wenn sich Gerda und Werner Wolff einen gewissen Wohlstand erarbeitet haben - ihre Bescheidenheit ist bis heute geblieben. Seit fast 40 Jahren sind sie im Ruhestand. Die Wolffs teilen Interessen und empfinden tiefe Zufriedenheit. Was geben sie an ihre sechs Enkelkindern und vier Urenkel weiter? "Dass man im Leben mehr geben als nehmen muss", mahnt Werner Wolff.

Und was hat ihr gemeinsames Leben geprägt? Was hat ihnen in schweren Zeiten geholfen? Geholfen habe auf jeden Fall ihr Trauspruch, der das Gleichgewicht in einer Partnerschaft betont. Immer für den anderen da zu sein, hat bei Gerda und Werner noch heute Gültigkeit.

Der Alltag ist das Besondere für Gerda und Werner Wolff

"Man muss auch Glück im Leben haben und dadurch, dass ich meine Frau so früh gefunden habe, hatte ich Glück." Dieses Glück zu riskieren, war nie eine Option für die Wolffs. Sie denken viel über ihr Leben nach und kommen zu dem Schluss, dass es nicht perfekt war. Aber das ganz schön viel, ganz schön gut gelaufen ist. Heute können sie einkaufen, worauf sie Lust haben. Am liebsten auf dem Wochenmarkt. Sie kochen gerne und viel, eigentlich jeden Tag. Der Alltag ist das Besondere für sie und sie wissen, dass das nicht selbstverständlich ist. Mit 100 und 95 Jahren.

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29.12.2024 | 18:00 Uhr

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