Willa und Otto Ringel: "Wollen wir nicht zusammenleben?"
Willa und Otto Ringel aus Hagenow in Mecklenburg sind 61 Jahre verheiratet. Gestritten haben sie nie, aber viel geredet - ihr Rezept für eine lange, liebevolle Ehe. Und eine Jahrhundertliebe.
Kennengelernt haben sich Willa und Otto Ringel auf der Arbeit, bei der Handelsorganisation (HO), einem staatlich geführten Einzelhandelsunternehmen. Der sieben Jahre ältere Otto Ringel ist fasziniert von Willas wunderschönen blauen Augen. Die Angebetete ist allerdings schon verlobt, doch Ottos Wesen nimmt sie ein - "und dann gibt es kein Zurück mehr." "Ich spürte ihre Liebe, ich spürte, wie sie anhänglich war, wie sie sie weinte, wenn ich mal weg ging, das gab mir die Gewissheit, ich habe die richtige Wahl getroffen", erzählt Otto Ringel dem NDR in der Dokumentation "Jahrhundertliebe". Es ist eine Liebe und ein Leben in der DDR - mit Verzicht und Zusammenhalt. Mit kleinen Träumen und großen Gefühlen.
Nach Kriegsende: Neuanfang in Mecklenburg
Otto Ringel wird am 20. März 1930 in Merkelsdorf geboren, einem kleinen Dorf im Sudetenland südlich des Riesengebirges. In der Folge des Zweiten Weltkriegs kommt er 1946 als Vertriebener mit nichts nach Mecklenburg. "Wir hatten Hände zum Arbeiten und einen Kopf zum Denken. Mehr nicht", schildert Otto Ringel die schwierige Anfangszeit. Nach einer Kaufmanns-Lehre studiert er Binnenhandel. Neben der Arbeit pendelt er deshalb mehrere Jahre lang wochenweise nach Leipzig.
Willa Ringel kommt am 20. Februar 1937 unter dem Mädchennamen Istbahn im mecklenburgischen Redefin zur Welt. Sie wächst auf einem Bauernhof auf und muss schon als Kind hart mit anpacken. Sie sei immer das gute junge Arbeitstier gewesen, beschreibt sie nüchtern ihre Kindheit. Willa Ringel lernt schließlich Verkäuferin und bildet sich zur Buchhalterin weiter. Sie arbeitet bei der Handelsorganisation (HO) der DDR. Und genau dort wird Otto Verkaufsstellenleiter.
Mangelware in der DDR: Trabant und Wartburg
Otto Ringel ist damals verantwortlich für den Verkauf von Autos. Sein Monatsgehalt: 320 Mark. Trabant und Wartburg sind seinerzeit Mangelware in der DDR. Anfang der 1960er-Jahre bekommen sie vom staatlichen Handel für ihr Gebiet jährlich 270 Autos zugeteilt - für rund 70.000 Einwohner. Der Schwarzmarkt blüht. Für einen Gebrauchtwagen zahlen DDR-Bürger manchmal doppelt so viel wie für ein neues Auto. Um sein Gehalt aufzubessern, malt Otto Ringel abends - während er fernsieht - Nummernschilder an, mit Pinsel und Nitro-Farbe. Drei Mark bekommt er für jedes Schild.
Verlobt mit einem anderen: Doch dann kommt "Otto dazwischen"
Dass Otto Willa für sich gewinnt - ein Glücksfall. Denn sie ist vergeben, verlobt mit einem anderen, einem "bildhübschen Kerl". Doch dann kommt "Otto dazwischen" - und plötzlich springt der Funke über. Sie verlieben sich. Otto Ringel wagt den ersten Schritt und fragt Willa: "Wollen wir nicht zusammenleben?" Am 14. Februar 1963 - einem Valentinstag, den man in der DDR nicht kennt - beginnt ihre gemeinsame Zeit. Die Hochzeitsreise geht ins Riesengebirge - Ottos Heimat. Über den Feriendienst des Gewerkschaftsbundes ergattern sie Urlaubsplätze. Jeder von ihnen muss dafür einen eigenen Antrag stellen.
Es ist eine Reise mit Hindernissen: "Wir haben dann unsere Zimmer bekommen. Meine Frau bekam ein Doppelzimmer mit einer anderen Frau, ich bekam ein Doppelzimmer mit einem fremden Mann", erinnert sich Otto Ringel. Durch Gespräche mit der Hotelmanagerin hätten sie dann doch ein gemeinsames Zimmer bekommen.
Feuer im Zuhause: Bewährungsprobe für das junge Paar
Das Paar verbringt unbeschwerte Tage im Schnee: Otto fährt Ski, Willa geht rodeln. Aber noch auf der Rückreise erwischt es sie eiskalt: Laut einer Durchsage sollen sie in Ludwigslust den Zug verlassen. Auf dem Bahnsteig werden sie bereits von Willas Vater und dem Schwager empfangen - mit den Worten "Ihr seid abgebrannt." Eine Nachbarin hatte heiße Asche in einen Pappeimer gefüllt, mit der Folge, dass der gesamte Dachstuhl abgebrannt ist. Eine Bewährungsprobe für das jung vermählte Paar. Nach viel Rennerei bekommen die Ringels eine neue Bleibe: ein Zimmer, mit Gemeinschaftstoilette auf dem Flur und ohne Heizung. Und, dass bei Temperaturen von minus 24 Grad. Ein Jahr später, 1964 kommt Tochter Sylvia zur Welt. Doch Otto Ringel hält die Tochter erst zehn Tage später im Arm, weil er eine Lieferung von drei Waggons mit Trabbis abwickeln muss. Sechs Jahre später wird Sohn Sandro geboren. Sie fühlen sich jetzt endlich als eine richtige Familie.
Otto und Willa Ringel: Kaukasus statt Grand Canyon
Trotz des Jobs an der Quelle müssen die Ringels drei Jahre auf ihr erstes Auto warten. Der Trabant kostet 8.742 Mark. Die Familie richtet ihr Leben in der DDR ein, sie vermissen nichts bis auf die Reisefreiheit. Statt nach Paris geht es für die Ringels nach Budapest, sie besichtigen nicht den Grand Canyon, sondern den Kaukasus.
Und immer wieder urlauben sie im Riesengebirge. Kraft tanken Otto und Willa Ringel ihr Leben lang in der Natur. Heute gerne in der Viezer Heide - die liegt gleich ums Eck bei Hagenow.
Anfang der 1990er-Jahre: Otto Ringel entlässt sich selbst
Mit Mauerfall und Wiedervereinigung beginnt das Glück von Otto und Willa Ringel zu wackeln. Wie alle sozialistischen Betriebe wird auch die Handelsorganisation Anfang der 1990er-Jahre abgewickelt. Otto Ringel ist damals stellvertretender Direktor und muss den 1.000-Mann-Betrieb liquidieren: "Ich habe die Entlassungen alle selbst unterschrieben, die eigene war auch darunter", schildert er den Verlust des Arbeitsplatzes. Otto Ringel steht damals mit 62 Jahren kurz vor der Rente, er hat viele Hobby und schreibt Bücher.
Entlassung mit 55 Jahren: "Ich könnte heute noch heulen"
Ganz anders Willa: Sie ist 55 Jahre alt und freut sich auf neue Herausforderungen nach der Wende. Das Arbeiten am Computer bringt ihr Spaß. Sie ist enthusiastisch - doch sie muss die bittere Erfahrung machen, nicht mehr gebraucht zu werden: "Ich könnte heute noch heulen, das war ganz, ganz hart", beschreibt sie ihre Gefühle, mit 55 zum alten Eisen zu gehören.
Höhepunkt: Otto Ringel liest aus seinen Tagebüchern
20 Jahre lang lebt das Paar im Drei-Generationenhaus ihres Sohnes Sandro. Heute wohnen Otto und Willa Ringel eine Minute entfernt von ihrer früheren Arbeitsstelle in einer Seniorenresidenz. Willa ist seit einem Schlaganfall vor einem Jahr pflegebedürftig. Die räumliche Nähe zu ihren Kindern, den Enkeln und Urenkeln ist geblieben. Oft treffen sie sich bei Sohn Sandro im Garten. Es ist immer ein Höhepunkt, wenn Otto aus seinen Tagebüchern liest. Seit mehr als einem halben Jahrhundert schreibt er täglich auf, was ihn berührt.
Größter Erfolg: Der Zusammenhalt der Familie
Für ihre Kinder und Enkel sind Otto und Willa Ringel ein großes Vorbild: ihre Harmonie, ihre bedingungslose Liebe und die ehrliche Kommunikation miteinander. Scheidung ist nie ein Thema gewesen, und dass einer irgendwann zuerst gehen wird - darüber wollen sie erst gar nicht nachdenken. Schließlich haben die beiden bisher fast jeden Tag zusammen verbracht. Ihr größter Erfolg: der Zusammenhalt der Familie. Darüber sei er nicht nur glücklich, sondern auch dankbar, resümiert Otto Ringel im Rückblick auf ihre Jahrhundertliebe.