Pest bis Corona: Wie die Menschheit gegen Seuchen kämpft
Pest, Cholera, Spanische Grippe: Seit dem Mittelalter steht Seuchenbekämpfung immer wieder im Fokus der Menschheit. Maßnahmen, mit denen wir heute das Coronavirus eindämmen, sind schon vor Jahrhunderten das Mittel der Wahl.
Als Inbegriff der Seuche gilt die Pest, die im 14. Jahrhundert in Europa wütet und innerhalb weniger Jahre mindestens 20 Millionen Menschen dahinrafft. Der "Schwarze Tod" ist eine der schwersten Pandemien, gegen die es lange kein Mittel gibt. Und was die Ursache betrifft, die zum Ausbruch der Infektionskrankheit geführt hatte, tappen Mediziner viele Jahrhunderte im Dunkeln.
"Schwarzer Tod": Jahrhundertelanger Kampf gegen die Pest
Zwar versuchen Menschen schon damals, sich mit Tüchern und Ärzte mit Masken vor dem Mund zu schützen - beides bleibt jedoch ohne Wirkung. In Marseille schirmen sich Pest-Ärzte Anfang des 18. Jahrhunderts - als die Beulenpest in Europa abermals ordentlich wütet - mit langen Lederkleidern, Handschuhen und Gesichtsmasken mit Schnabel ab. Mit Gewürzen und Kräutern in Räucherpfannen, Essigwasser-Waschungen und dem Abbrennen ganzer Städte versuchen die Menschen, der ihnen unbekannten Seuche Herr zu werden.
Yersin entdeckt während dritter Pandemie den Pest-Erreger
Doch erst Ende 1894, zu Beginn der dritten Pandemie, entdeckt der Schweizer Arzt und Biologe Alexandre Yersin den Pest-Erreger - das nach ihm benannte Bakterium Yersinia pestis. Er bestätigt damit die schon von Robert Koch geäußerte Annahme, dass die Pest durch Bakterien verursacht wird. Und erst 1942 kommt mit dem Wirkstoff Penicillin, entdeckt vom Briten Alexander Fleming, das erste Antibiotikum gegen Bakterien auf den Markt. Da greift mitten im Zweiten Weltkrieg bereits der nächste - und vorerst letzte - Ausbruch in Europa um sich. Pandemische Ausmaße verursacht der Pest-Erreger heute nicht mehr, doch noch immer sterben Menschen vor allem in Afrika und Asien daran.
Quarantäne im Mittelalter: Italien ist Vorreiter
Doch zurück ins Mittelalter, denn die Italiener verhalten sich damals vorbildlich in Sachen Seuchenbekämpung: Im Kampf gegen die Pest führen sie die Methode des Abriegelns ein - 1374 dürfen die Menschen aus der Stadt Reggio nell'Emilia weder hinein noch heraus. In Venedig stellen die Regierenden einen "pass a porto" aus: Mit diesem Ausweis gelingt es, den Verkehr von Personen und Waren zu kontrollieren. Pestverdächtige Ankömmlinge und Schiffe müssen in Quarantäne. 1423 entsteht in der Lagunenstadt im Kloster Nazareth außerdem das erste Pestkrankenhaus auf einer Insel, um Kranke gezielt isolieren zu können.
Statistik als Mittel der Einschätzung
Die Italiener sind es auch, die statistisch denken und die Todesopfer zählen. So können sie Rückschlüsse ziehen, ob es sich bei einem Krankheitsausbruch lediglich um eine kurzfristige Anhäufung oder gar eine Seuche handelt. Dieses Verfahren gilt bis heute als Standard - auch wenn es darum geht, die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung zu beurteilen.
Deutschland beschließt 1400 erstes Seuchengesetz
Im Mittelalter entstehen auch im Norden die ersten Pesthäuser, um Erkrankte zu isolieren: 1473 in Braunschweig und 1495 in Celle. Darüber hinaus dürfen Pest-Kranke in Deutschland keinen Kontakt zu anderen Menschen haben. Auch Gesunden ist es phasenweise verboten, in Kirchen, auf Märkte und auf Feste zu gehen. Das erste Gesetz zur Seuchenbekämpfung entsteht 1400 im damals zu Deutschland gehörenden Basel. Es sieht unter anderem vor, dass Händler, die mit dem Pest-Erreger oder anderen ansteckenden Krankheiten infiziert sind, keine Nahrungsmittel verkaufen dürfen.
Kontaktbeschränkungen sollen auch Corona eindämmen
Diese Formen der Seuchenkontrolle gelten als beispielhaft in der Medizingeschichte - und finden bis heute Anwendung, wie zum Beispiel in der Abschottung ganzer Viertel, Städte, Regionen und Länder zu Beginn der Corona-Pandemie. Anfang des Jahres 2020 riegeln die Chinesen wegen der massiven Ausbreitung von Infektionen mit Covid-19 die Stadt Wuhan und die angrenzende Region Hubei ab. Rund elf Millionen Bürger leben über Wochen in Quarantäne, in Rekordzeit entstehen dort zwei Krankenhäuser mit rund 1.000 Betten für Infizierte mit dem Coronavirus.
Auch europäische Länder übernehmen in der Folge die strengen Quarantäne-Maßnahmen, in Italien, Frankreich und Spanien etwa gelten für Wochen Ausgangssperren. Und auch in Norddeutschland werden die starke Einschränkung von sozialen Kontakten und Ausgangsbeschränkungen zu Beginn der Pandemie und in weiteren Wellen zum probaten Mittel im Kampf gegen Covid-19.
Hygiene und "Lockdown": Robert Kochs Mittel gegen Cholera
Immer wieder haben Seuchen den Norden bis heute heimgesucht. Im 19. Jahrhundert breitet sich die Cholera über den Kontinent aus. Besonders schwer davon betroffen ist Hamburg. Im heißen Sommer 1892 bietet das warme Wasser in den Fleeten und der Elbe einen idealen Nährboden für die Ausbreitung des Erregers - besonders in den armen Viertel mit hohen Häuserfassaden, wenig Licht und frischer Luft. Viel zu spät reagiert die Stadt mit wirksamen Maßnahmen.
Das Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin schickt deshalb den Bakteriologen Robert Koch nach Hamburg, um der Stadt in ihrer Not zu helfen. Dieser zeigt sich bestürzt über die dortigen Zustände: "Ich vergesse, dass ich in Europa bin." Als Ursache macht er die katastrophalen hygienischen Verhältnisse aus. Die Medizinalbehörde verteilt daraufhin Zettel mit Verhaltensregeln, Fasswagen verteilen abgekochtes Wasser, Garküchen bieten bakterienfreie Mahlzeiten an und die Häuser von Infizierten werden von Desinfektionskolonnen mit Karbol und Kalk desinfiziert. Robert Koch lässt die Schulen schließen, Handel und Verkehr kommen zum Erliegen. Die Hansestadt ist isoliert.
Bernhard Nocht wird Hamburgs erster Hafenarzt
Hamburg zieht seine Lehren aus der Epidemie mit mehr als 8.600 Toten. Die Stadt stellt 1893 die Filtrieranlage der Wasserwerke fertig, nimmt eine Müllverbrennungsanlage in Betrieb und lässt die engen Gängeviertel sanieren. Robert Koch holt seinen Schüler Bernhard Nocht in die Hansestadt und gibt ihm einen Posten als Hafenarzt. Der Hafenärztliche Dienst soll das Einschleppen von Seuchen verhindern und kontrollieren, ob von einlaufenden Schiffen eine Infektionsgefahr ausgeht.
Spanische Grippe verbreitet sich im Ersten Weltkrieg
Auch Schleswig-Holstein und Niedersachsen bleiben nicht verschont von Seuchen. Mit infizierten US-Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gegen die Deutschen kämpfen, kommt im Sommer 1918 die Spanische Grippe nach Europa. Und auch deutsche Soldaten bringen das Grippe-Virus als Fronturlauber oder Verwundete mit nach Deutschland. 1918 sucht die "Spanische Grippe" insbesondere Kiel heim. Kurz vor Ende des Krieges proben dort die Matrosen einen Aufstand, ein idealer Nährboden für das Grippevirus. Als der Kaiser schließlich abdankt, reisen die Seeleute in ihre Heimatorte und verteilten den Erreger im ganzen Land. Nach vier Jahren Krieg sind die Menschen ausgezehrt und anfällig. Und in den engen Straßen und Gassen von Städten, wo die Menschen dicht gedrängt beieinander wohnen, hat der Krankheitserreger besonders leichtes Spiel. Zum Beispiel in Hannovers Altstadt. Hier melden die Krankenhäuser zwischen Juni und November 1918 rund 1.300 an der Spanischen Grippe Infizierte. 150 Menschen überleben die Krankheit nicht.
Spanische Grippe fordert 50 Millionen Todesopfer
Insgesamt sterben hierzulande 300.000 Menschen, weltweit gibt es sogar 50 Millionen Opfer der Spanischen Grippe. "Es sind viel mehr Menschen der Spanischen Grippe zum Opfer gefallen als dem Krieg selbst", sagt Oliver Gauert, Historiker und Kurator im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim, der die dortige Ausstellung "Seuchen - Fluch der Vergangenheit, Bedrohung der Zukunft" mit vorbereitet hat. Auch damals versuchen die Verantwortlichen, die Infektion unter anderem mit geschlossenen Schulen, Theatern und Kinos einzudämmen. Mediziner geben Hygiene-Tipps und raten dazu, Menschenansammlungen zu meiden.
Seuchenabwehr: Hoffnungschimmer durch Fortschritt
Durch Fortschritte in der Medizin und geeignete Hygienemaßnahmen ist es mittlerweile gelungen, etliche Infektionskrankheiten einzudämmen. Doch wenn es heute darum geht, neue Seuchen und Pandemien mit Verhaltensmaßregeln zurückzudrängen, greifen Experten dabei immer noch auf viele der Maßnahmen zurück, die bereits im Kampf gegen Pest und Cholera eingesetzt wurden: "Wir sind, wenn wir uns die Bekämpfungsmaßnahmen gegen Corona im Frühjahr 2020 anschauen, auf dem Stand der Frühen Neuzeit: Seuchenabwehr durch Abschließungsmaßnahmen", sagte etwa Medizinhistoriker Karl-Heinz Leven zu Beginn der Pandemie. Dank neuer Technologien bleibt die Abriegelung allerdings nicht das einzige Mittel der Wahl. Mobile Anwendungen wie etwa die Corona-Warn-App oder die Luca-App sollen helfen, Infektionsketten leichter nachvollziehen zu können und die Ausbreitung des Virus so zu bremsen.
Impfstoff-Entwicklung gegen Covid-19 in Rekordzeit
Vor allem die Medizin forscht an immer besseren und schnelleren Verfahren. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie haben Wissenschaftler nicht nur Schnell- und Selbsttests entwickelt, sondern in einem Wettlauf gegen die Zeit in Rekordtempo auch wirksame Impfstoffe. Normalerweise dauert die Entwicklung eines neuen Impfstoffes mehrere Jahre. Im Fall des Coronavirus sind Forscher und Behörden deutlich schneller: Nach nicht einmal einem Jahr sind mehrere Vakzine gegen Covid-19 zugelassen und entsprechende Impfkampagnen angelaufen.
Herdenimmunität durch allgemeine Impfpflicht?
Die Impfkampagnen laufen in Deutschland allerdings schleppend an. Zunächst mangelt es an ausreichenden Impfstoff-Mengen, dann an der Logistik - und schließlich an genug Impfwilligen. Zu groß ist und bleibt die Zahl der Skeptiker und Impfgegner, als dass sich schnell eine Herdenimmunität aufbauen ließe. Erschwerend kommen immer neue und hoch ansteckende Mutationen des Coronavirus wie die Delta- und die Omikron-Variante hinzu, die in Kombination mit der fehlenden Immunität der Gesamtbevölkerung zu neuen Wellen führen.
Und so sieht es mitten in der vierten Corona-Welle ganz danach aus, als würde sich die Politik doch für eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 entscheiden - und bis auf Weiteres auch nicht ohne das altbewährte Mittel der rigorosen Kontaktbeschränkung auskommen.