Sendedatum: 13.04.2020 19:30 Uhr

Der unsichtbare Feind - "Spanische Grippe" in SH

von Karl Dahmen

Viren in Nahaufnahme. © NDR / SH Magazin
Die Spanische Grippe tötet weltweit rund 50 Millionen Menschen.

Die Ärzte sahen die Katastrophe kommen und ermahnten die Menschen zur Vorsicht. Schulen sollten geschlossen werden, Theater und Kinos auch. Und vor allem: Auf keinen Fall sollten sich die Bürger Kiels zu Massenversammlungen treffen. Es war der Herbst 1918. Ungeheuerliches kündigte sich in der Marinestadt an, der Kaiser wurde in Frage gestellt, die Matrosen standen kurz vor einer Meuterei. Zwar hatte man vom rätselhaften Tod vieler Menschen gehört, aber der Sog der aktuellen Ereignisse war zu stark, sodass die Menschen nicht wahrnahmen, dass ihr größter Feind unter ihnen "hockte": ein Virus, das als "Spanische Grippe" bis heute Gänsehaut erzeugt. Als es endlich verschwand, hatte es weltweit bis zu 50 Millionen Menschen getötet.

Keine negative Berichterstattung durch kaiserliche Zensur

In Kiel wurde über die Toten im Herbst 1918 nicht berichtet. Noch herrschte die kaiserliche Zensur und unterdrückte jede schlechte Meldung von der Heimatfront, denn noch wurde im Ersten Weltkrieg gekämpft. Der Feind sollte auf keinen Fall wissen, dass die Kieler nicht nur hungerten, sondern auch an einer Krankheit starben, die als Erkältung begann. 

Todesanzeigen häuften sich

Eine Todesanzeige mit der Aufschrift Johanna Köhler. © NDR / SH Magazin
Die 24-jährige Johanna Köhler stirbt den Angaben zufolge an einer Lungenentzündung.

In den Zeitungen häuften sich die Todesanzeigen. Nach "kurzer schwerer Krankheit verstorben" stand da. Nur ganz selten wurde der Grund dafür angegeben. So starb Johanna Köhler, eine junge 24-jährige Frau, an einer Lungenentzündung. In Kiel, Schleswig, Lübeck und in jeder anderen Stadt Schleswig-Holsteins schnellten die Zahlen der an "Influentia" gestorbenen Menschen hoch. Die "Spanische Grippe" holte sich ihre Opfer.

Grippe: der größte Kriegsfeind

Entstanden war sie in den USA. Mit den amerikanischen Soldaten kam sie an die Front. Zunächst wurden auch die Alliierten angesteckt: Franzosen, Italiener, Engländer. Dann kam sie mit den Kriegsgefangenen auch zu den kaiserlichen deutschen Truppen. Teilweise war jeder dritte deutsche Soldat nicht mehr einsatzfähig. Die "Spanische Grippe" war plötzlich der größte Feind.

Mediziner standen vor einem Rätsel

Historische Aufnahme - Menschen liegen in Krankenbetten. © NDR / SH Magazin
Was mit einer Erkältung beginnt, endet nicht selten tödlich: die Spanische Grippe im ersten Weltkrieg.

Vor allem Menschen zwischen 20 und 40 Jahre starben an dem Virus. Viele Mediziner glaubten, dass es vor Jahren schon einen ähnlichen Grippeerreger gegeben haben muss, wodurch ältere Menschen Antikörper entwickelt hatten. Medizin gab es nicht gegen die "Spanische Grippe". Viren waren noch nicht bekannt und gegen die Bakterien, die eine Lungenentzündung auslösten, gab es noch kein Antibiotikum. So beschränkten sich die Mediziner darauf, die Menschen zu warnen: Sie sollten sich häufig die Hände waschen und vor allem Menschenansammlungen meiden.

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Matrosenaufstand idealer Nährboden

Aber in Kiel begann nun ein Ereignis, das welthistorische Bedeutung hatte: der Matrosenaufstand. Demonstrationen, Aufmärsche, Versammlungen - in Kiel fand das Virus dadurch einen idealen Nährboden. Als dann der Kaiser abdankte und die Matrosen nach Hause geschickt wurden, reiste das Virus durch ganz Deutschland. 300.000 Menschen starben allein 1918 im Deutschen Reich an der "Spanischen Grippe".

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