Vor 230 Jahren: Heiligendamm geht als erstes Seebad in Betrieb
Heiligendamm an der Ostsee ist das erste deutsche Seebad. Am 21. September 1793 geht es in Betrieb. Wenig später entstehen auch an der Nordsee die ersten Badeorte. Schnell wird der Badebetrieb zum gesellschaftlichen Ereignis.
Bereits 1793 fragt der Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg im Göttinger Taschen Calender: "Warum hat Deutschland noch kein öffentliches Seebad?" Dabei sind Mediziner wie der Travemünder Arzt Johann Georg Walbaum schon damals überzeugt, dass sich Seebäder positiv auf die Gesundheit auswirken. In England tauchen bereits seit 1751 Fürsten auf Anraten ihrer Hofärzte ins Meer.
Baden im Meer als Vergnügen des Adels
Das gleicht einer Sensation, denn bis dahin hatten die Menschen nur die Badefreuden der Römer und Griechen in eigens dafür errichteten Bädern gekannt. Das Meer galt als unheimlich und unkultiviert, also nicht zur körperlichen Erbauung geeignet. Doch die Empfehlungen der Mediziner setzen sich allmählich durch, und während sie Meeresbäder vor allem als Gesundbrunnen für die Industriearbeiter empfehlen, trifft sich der Adel aus gesellschaftlichem Anlass in den neu entstehenden Seebädern. Denn nur die Oberschicht kann sich diese Sommerreisen auch leisten.
Doberan - erstes deutsches Seebad
Die Errichtung eines Seebades lässt sich jedoch ohne Genehmigung der Obrigkeit und ohne Gönner sowie Geldgeber nicht bewerkstelligen. Mit dem entsprechenden Beschluss vom 22. Juli 1793 ist es der Adel, der in Norddeutschland das erste Seebad gründet. In Doberan - auf dem Heiligen Damm - soll am 9. September 1793 Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin, auf Anraten seines Leibarztes Professor Samuel Gottlieb Vogel mit seinem Gefolge in die Fluten gestiegen sein. Am 21. September 1793 geht das erste Badehaus offiziell in Betrieb, damals noch recht spartanisch. Die Badesaison im Jahr 1794 eröffnet der Herzog als erster Badegast mit seinem Hofstaat.
Um all das zu finanzieren, hat Friedrich Franz I. der Zeitschrift "Mare" zufolge dem König von Oranien 1.000 Männer für dessen Heer verkauft. Schon 1798 werden 540 Badegäste am Heiligen Damm verzeichnet. In wenigen Jahren wird Heiligendamm zum sommerlichen Treffpunkt der adligen Prominenz aus dem In- und Ausland. Sie lässt ihr Geld im Kasino und auf der Rennbahn des jungen Seebads und beschert dem Landesvater reichen Gewinn.
Was an der mecklenburgischen Ostsee so gut funktioniert, wollen andere auch: Immer mehr Küstenorte an Nord- und Ostsee planen Seebäder. 1797 entsteht auf der ostfriesischen Insel Norderney das zweite Seebad, 1802 folgt Travemünde in der Lübecker Bucht, 1816 Cuxhaven.
Wyk auf Föhr verspricht "reine Gesundheit"
Das erste nordfriesische Seebad wird 1819 in Wyk auf Föhr errichtet. Die Gründung erfolgt auch aus wirtschaftlicher Not, denn die gewinnbringenden Walfangzeiten sind vorbei, und die Napoleonische Seehandelsblockade hat der Insel zusätzlich geschadet.
Ab 1842 beginnt mit der "Königszeit", in der Dänemarks König Christian VIII. alljährlich mit seinem Hofstaat auf die Insel kommt, Wyks glanzvollste Ära. In seinem Gefolge strömt per Schiff jeder herbei, der dazugehören will. In Wyk entsteht eine Residenz mit Königshaus und -garten.
Mit dem "Aalkasten" oder Badekarren ins Meer
Anfangs baden die Gäste von kleinen Badeschiffen oder Schaluppen aus, die im flachen Wasser verankert sind. Die Badewilligen werden in einen Käfig im Rumpf des Schiffes, den sogenannten Aalkasten, gesteckt und untergetaucht. Der Nachteil daran: Diese Käfige taugen nicht bei stürmischem Wetter, Badegäste werden darin häufig seekrank und allzu korpulente Personen passen nicht hinein. Die Alternative sind Badekarren, die es ab 1797 auch in Deutschland gibt. Einer der berühmtesten Badegäste auf Föhr, der dänische Dichter Hans-Christian Andersen, schreibt 1844: "Ich hatte den ganzen Tag gebadet. Es ist vergnüglich arrangiert, man kommt in ein kleines Badehäuschen hinein, und während man sich auszieht, reitet ein Knecht ein Pferd, welches das ganze Haus weit ins Meer zieht."
Um Sitte und Moral nicht zu gefährden, baden Männer und Frauen stets getrennt voneinander. Schirme oder Bretterzäune sorgen für zusätzlichen Sichtschutz, denn auf Anraten der Ärzte baden die meisten Gäste nackt.
Beschwerliche Anreise mit Kutsche, Bahn und Schiff
Die Reisewege zu den Seebädern sind voller Hindernisse. So brauchen Reisende von Hamburg nach Föhr drei Tage. Zunächst geht es per Kutsche oder Bahn nach Niebüll, dann mit der Marschbahn nach Dagebüll und anschließend weiter mit dem Schiff. Diese Schiffe sind anfangs einfache Schuten oder auch offene Segelboote. Vielen Reisenden wird bei der Überfahrt übel.
Auch die Ankunft ist häufig beschwerlich: "Das Ausbooten auf schwankenden Planken vor Helgoland gab allen den Rest. Dass vor allem die Damen von den kräftigen Helgoländern Huckepack genommen und auf starken Armen von Bord getragen wurden, machte meist nur den Zuschauern Freude", schreibt Jutta Kürtz in ihrer "Kleinen Kulturgeschichte der Sommerfrische".
Ab 1829 gibt es einen Seebäderdienst zwischen Hamburg und Helgoland. Sommerfrischler nach Föhr fahren von dort weiter mit dem Dampfschiff. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts 1847 verkehrt ein Raddampfer zwischen Husum und Wyk auf Föhr. Bis in die 1930er-Jahre sind viele Inseln autofrei.
Um die Jahrhundertwende lockern sich die Badesitten
Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts herrschen in den Badeorten strenge Moralvorstellungen. Doch um die Jahrhundertwende setzen sich die Gemeinden vermehrt für die Einrichtung von Familienbädern ein. 1902 entsteht auf Norderney das erste. Voraussetzung dafür: die richtige Bademode wie undurchsichtige Anzüge mit Beinkleid - bei Frauen auch gerne mit Schößchen. Jetzt dürfen Familien endlich zusammen am Strand spielen und baden.
Ab 1900: Auch Bürger fahren zur Sommerfrische
Mit fortschreitender Industrialisierung suchen immer mehr Stadtbürger Erholung in den Seebädern - oft nur für ein Wochenende, da viele noch kein Recht auf Urlaub haben. Aber der Sommerurlaub ist nicht mehr ausschließlich Privileg der Reichen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich die Verkehrsverbindungen stark verbessert. Vor allem die Bäder an der Ostsee sind gut zu erreichen und begehrt. Die konkurrierenden Seebäder an der Nordsee reagieren auf den Wandel mit einem breiten Angebot. So haben Sommerfrischler auf den nordfriesischen Inseln die Wahl zwischen dem mondänen Westerland auf Sylt, dem gutsituierten Wyk auf Föhr und dem bodenständigen Norddorf auf Amrum.