Als Urlaubsreisen noch nicht selbstverständlich waren

Stand: 28.06.2024 13:30 Uhr

Im Mittelalter konnte niemand einfach "urloup" nehmen - schon gar nicht zum Vergnügen. Reisen hatten geschäftliche oder religiöse Gründe. Eine kleine Zeitreise von den Pilgerfahrten über die Grand Tour bis zum Fremdenverkehr.

Das deutsche Wort "Urlaub" stammt aus dem Mittelalter und hatte mit Ferienmachen nichts zu tun: Niemand konnte damals den Hof eines Adeligen so einfach verlassen, er musste um "urloup" bitten - im Alt- oder Mittelhochdeutschen etwa gleichbedeutend mit "Freistellung vom Dienst". Unser Wort Erlaubnis leitet sich davon ab. Dabei ging es aber mitnichten um Erholung, sondern etwa um die Beerdigung eines Verwandten oder andere Familienangelegenheiten und Geschäfte. Der Adelige von früher ist heute niemand anderes als der Arbeitgeber, der einem gestattet, vom Arbeitsplatz fernzubleiben. Nur gibt es heute glücklicherweise einen Anspruch auf regelmäßige Erholung.

Ursprünge des Reisens in der Antike

Pilger mit Kamelen auf ihrem Weg nach Mekka überqueren um 1906 eine Ponton-Brücke über den Sueskanal. © picture alliance/Mary Evans Picture Library
Das Reisen hatte in früheren Jahrhunderten oft religiöse Gründe - hier ein Pilgerzug über den Sueskanal gen Mekka um 1906.

Jahrhundertelang unternahm niemand eine Reise, der damit nicht einen religiösen oder geschäftlichen Zweck verband. Kaufleute mussten auf Reisen gehen, um Fernhandel zu betreiben. Adlige, weil sie entfernte Besitztümer kontrollieren mussten, beziehungsweise sich aneignen wollten. Die Reisenden, meistens Männer, suchten auch Tempel und andere heilige Orte auf, um ihre Beziehung zu Gott beziehungsweise den Göttern zu stärken. Schon die alten Griechen, Römer und Ägypter pflegten sozusagen einen Wallfahrtstourismus.

Manche Pilgerreisen haben sich bis heute erhalten. Einige der bekanntesten: die Hadsch der Muslime, die nach Mekka reisen, der christliche Jakobsweg, der nach Santiago de Compostela führt, oder das jährliche rituelle Bad der Hindus im Ganges. Um auf den Spuren früherer Pilger zu wandern, braucht man heute nicht weit zu reisen: In Norddeutschland gibt es zahlreiche entsprechende Wege und Touren.

Ratgeber Reise
Pilger wandern auf einem Pilgerweg entlang. © picture alliance / dpa Foto: Patrick Pleul

Pilgern in Norddeutschland

Mit jedem Schritt sich selbst und Gott näher kommen - die Idee des Pilgerns ist wieder so modern wie im Mittelalter. Auch im Norden laden Pilgerwege dazu ein. mehr

Neuzeit: Bildungsreisen für junge Männer

Sich von der Arbeit zu erholen und gar aus purem Vergnügen zu verreisen, ist ein ziemlich junges Phänomen. Der Begriff "Tourismus" wird in Deutschland sogar erst seit den 1980er-Jahren gebraucht. Er leitet sich vom französischen Begriff "tour" (Reise oder Rundgang) ab. Im 17. und 18. Jahrhundert verließen zunächst die Sprösslinge des europäischen Adels ihre Heimat für die sogenannte Grand Tour. Diese auch "Kavalierstour" genannte Reise führte sie zu bedeutenden Denkmälern und Städten Europas oder ins Heilige Land. Später unternahmen auch Söhne des reichen Bürgertums solche Bildungsreisen.

Strandurlauber an der Nordsee, um 1912. © IMAGO / Schöning
AUDIO: Urlaub 1899: Lebendige Hühner im Gepäck (4 Min)

Erholungsreisen - ein Privileg

Feriengäste auf der Seebrücke im Ostseebad Zinnowitz auf Usedom 1914. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images
Wer es sich leisten konnte, erholte sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Seebad - wie diese Sommergesellschaft 1914 auf der Seebrücke von Zinnowitz auf Usedom.

Reisen, die dazu dienen, sich zu erholen, kamen erst im 19. Jahrhundert auf. Nach der Entstehung eines modernen Staatswesens wurden sie sicherer und planbarer. Ein Vorläufer heutiger Erholungsreisen war der Alpinismus in der Schweiz und Österreich. Eine besondere Spielart des Urlaubs, bevor der Erlebnistourismus mit der Erfindung der Pauschalreise seinen Siegeszug antrat, waren Kur-Reisen oder auch der Bädertourismus. Die gehobene Gesellschaft reiste in Heilbäder oder auch in die Seebäder an der Ostseeküste wie Heiligendamm, nach Rügen, Usedom und Büsum. Die heutigen Bädertouristen lassen sich in den ausgefallensten Wellness-Oasen massieren, in Schlamm packen oder in Milch baden.

Weitere Informationen
Radfahrer auf einem Nordsee-Deich mit Schafen. © imago/alimdi Foto: imago/alimdi

Reise- & Ausflugstipps für Norddeutschland

Rad fahren, Städte entdecken, Natur und Tiere erleben: Das Themenportal rund um Reise- und Ausflugsziele in Norddeutschland mit vielen Tipps. mehr

Massentourismus startet in den 1980er-Jahren

Das Recht auf bezahlten Urlaub, ein zentrales Anliegen der Arbeiterbewegung, gibt es als arbeitnehmerrechtlichen Standard erst seit dem 20. Jahrhundert. Anfang der 1950er-Jahre wurden Reisen für mehr und mehr Westdeutsche bezahlbar. Viele konnten sich zunächst allerdings nur einen Campingurlaub leisten und zogen mit Zelt oder Wohnwagen los. Einen wirklichen Tourismus der Massen erlebten dann erst die 1980er-Jahre. Zu dieser Zeit löste der Begriff Tourismus auch den altbackenen Begriff "Fremdenverkehr" ab.

Urlaub und Reisen in der Geschichte
Historische Aufnahme des Dampfschiffs "Augusta Victoria" der Reederei Hapag auf See.

Luxus auf See: Vom Beginn der Kreuzfahrt

Die Vergnügungsreise der "Augusta Victoria" von Cuxhaven ins Mittelmeer 1891 geht später als erste Kreuzfahrt in die Geschichte ein. mehr

Eine junge Frau auf dem Rücksitz eines Mopeds hält ein Paddel unter dem Arm. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images / Horst Maack

Als die Deutschen das Reisen entdeckten

Sonne, Strand, Spaghetti und Dolce Vita - in den 50er-Jahren war Italien das Traumziel der Deutschen. Weil das Geld fehlte, übernachteten sie meist auf Campingplätzen. mehr

Prora, der "Koloss von Rügen": denkmalgeschützter Block I des ehemaligen KdF-Seebads. (August 2014) © picture alliance / dpa Foto: Stefan Sauer

Der "Koloss" von Rügen: Größenwahn der Nazis in Prora

Als "Seebad der 20.000" hatten die Nazis die riesige Anlage geplant. Inzwischen sind die denkmalgeschützten Gebäude wieder interessant. mehr

Eine historische Aufnahme aus den 70er Jahren zeigt eine große Ferienanlage an der Ostseeküste auf Fehmarn. © NDR
6 Min

Zeitreise: Entstehung von Ferienparks an der Ostseeküste

Damp, Weißenhäuser Strand, Heiligenhafen, Fehmarn: Anfang der 70er-Jahre schossen die Ferienzentren wie Pilze aus dem Boden. 6 Min

Ein Vergleich des Appartementhauses in Damp, Früher vs. Heute © NDR

Damp 2000: Von der Wiese zum Ferienresort

Anfang der 70er-Jahre entstand zwischen Flensburg und Kiel eine Ferienanlage der Superlative. In Damp 2000 hatten so viele Touristen Platz, wie in eine Kleinstadt passen. Doch es lief nicht alles nach Plan. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Story | 08.07.2024 | 22:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Frühgeschichte

Neuzeit

Mehr Geschichte

Bertha Keyser, der "Engel von St. Pauli" © Hauptkirche St.Michaelis

60. Todestag von Bertha Keyser: Der echte "Engel von St. Pauli"

Bertha Keyser hat sich ein halbes Jahrhundert lang um Arme und Obdachlose in St. Pauli gekümmert. Am 21. Dezember 1964 starb sie. mehr

Norddeutsche Geschichte