Als Cuxhaven zum Seebad wurde
Am 24. Juni 1816 gründen Hamburger Politiker und Kaufleute in Cuxhaven ein Seebad. Zunächst baden dort nur einige Adelige und reiche Bürger, denn vielen ist das Wasser nicht geheuer.
Ein langer Sandstrand mit Blick auf vorbeiziehende Segelschiffe und eine günstige Lage an der Elbmündung: Bereits Ende des 18. Jahrhunderts empfiehlt der berühmte Göttinger Gelehrte Georg Christoph Lichtenberg, im heutigen Cuxhaven einen Badeort nach englischem Vorbild zu gründen. Ähnliche Einrichtungen gibt es damals nur an wenigen Orten an der deutschen Küste, in Heiligendamm etwa oder auf Norderney.
Skepsis vor "Ausdünsten der Seegewässer"
Doch im Meer zu baden, ist im 18. Jahrhundert in Deutschland wenig populär, wird nur von wenigen Exzentrikern wie dem Hamburger Schriftsteller Friedrich Gottlieb Klopstock praktiziert. Vielen Menschen gelten die "Ausdünste der Seegewässer" als ungesund, die Natur allgemein als gefährlich. Von der heilsamen Wirkung des Seewassers auf Körper und Geist wissen sie noch nichts.
Das Seebad als Aktiengesellschaft
So dauert es im Hamburgischen Amt Ritzebüttel, dem heutigen Cuxhaven, bis zum Ende der französischen Besetzung, ehe Lichtenbergs Plan umgesetzt wird. Am 24. Juni 1816 gründen Politiker und Kaufleute dort ein Seebad. Hamburgs Verwalter, der Amtmann Amandus Abendroth, setzt dabei auf bürgerliche Privatinitiative. Er gründet eine Aktiengesellschaft mit 10.000 Mark Stammkapital, verkauft Aktien zu 100 Mark vor allem an befreundete Hamburger Kaufleute, denen er fünf Prozent Zinsen bietet. Er will die Wirtschaft stärken, die nach den Jahren der napoleonischen Besetzung noch immer geschwächt ist.
Unmittelbar am Elbufer, in der Nähe des Schiffsanlegers "Alte Liebe", lässt Abendroth ein strohgedecktes Badehaus im Schweizer Stil bauen. Hier begrüßt er im Sommer 1816 persönlich die ersten Badegäste, die aus dem Adel und hohen Bürgertum stammen.
Allheilmittel Seewasser
Spezielle Badeärzte kümmern sich um deren Wohl, verordnen je nach Beschwerden unterschiedliche Therapien, gegen Kopfschmerzen und Schwindel zum Beispiel ein Regenbad, das von einem eigens errichteten Turm aus zehn Metern Höhe auf den Patienten herabfällt. Ein Tropfbad soll gegen Lähmungen und Rheuma wirken, das Dampfbad gegen Gicht, das 28 Grad warme Bad in der Kupferwanne gegen Krämpfe und Schlaflosigkeit.
Das salzhaltige Seewasser wird auch als Abführmittel getrunken, aus einem Weinglas, und selbst psychische Erkrankungen wie "schwarze Melancholie" und "wilde Raserey" behandeln die findigen Badeärzte - mit einem kräftigen eiskalten Sturzbad, das die Wärter dem Patienten eimerweise über den Kopf gießen.
Auch für das leibliche Wohl wird gesorgt
Nach dem Bad, das am Morgen stattfindet, bewirtet der Bademeister die vornehmen Gäste, "mit einem Frühstück aus Kaffee, Thee, Chocolade und Bouillon oder verschiedenen Weinen, Liqueurs, Beef-Steaks, leichtem Backwerk und dergleichen", wie es damals in einer Werbeschrift heißt. Dann gehen die Kurgäste in einem kleinen englischen Park vor dem Badehaus spazieren oder erholen sich in einem Pavillon. Hier stehen grüne Sofas bereit, von denen der Blick über die Weite der Elbmündung reicht. An stürmischen Tagen liegen dort Dutzende Segelschiffe auf Reede, "ein majestätische Anblick", wie ein Zeitgenosse bemerkt.
Karrenbad in der offenen See
Für unerschrockene Gäste bietet die Seebad AG das Bad in der offenen See an, entweder von einem kleinen Boot aus oder im sogenannten Karrenbad. Pferd und Reiter ziehen je nach Wasserstand den Badekarren, eine englische Erfindung, ins Meer hinaus. Der Badegast entkleidet sich im Karren und steigt dann eine Treppe ins Wasser hinunter, durch ein Segeltuch vor neugierigen Blicken geschützt. Dieses belebende salzreiche "Fluthbad" soll vor allem gegen Erkältungen und Hautkrankheiten helfen, aber auch bei Nervenleiden wie hysterischen Anfällen und Hypochondrie.
Für stürmisches Wetter und "furchtsame Personen", die sich nicht ins Meer hinaus trauen, hat die Seebad AG außerdem am Hafen fünf kleine Bassins eingerichtet. Hier baden die Kurgäste dann, von Wärtern bedient, unter einem Zeltdach verborgen in Salzwasser, das durch Röhren und Schleusen zugeführt wird.
Unterhaltungsprogramm für schlechtes Wetter
Die Direktion sorgt sich angesichts des unbeständigen Nordseewetters schon vor 200 Jahren um die Unterhaltung des gehobenen Badepublikums, bietet Teegesellschaften, festliche Abendessen, einen "Putzladen mit neuesten Moden", Billard, Kegelbahn und Spielkasino, Konzerte, Tanzveranstaltungen sowie Schiffsausflüge nach Helgoland und Neuwerk an.
Denn "Heiterkeit und Frohsinn" sollen laut Werbeschrift die heilsamen Wirkungen des Bades auf den Gast unterstützen: "Dann wird die heilige Salzfluth kräftig ihn umfließen, und neu belebt und neu gestärkt wird er dem Wellenspiel enttauchen."
Anfangs kommen nur Adelige und reiche Bürger
Das Seebad verzeichnet im zweiten Jahr seines Bestehens 612 Besucher, die insgesamt 2.743 Bäder nehmen. Sie wohnen in den wenigen Wirtshäusern des Ortes und schon damals in Privatquartieren "bei den angesehensten Bürgern", wie eine Zeitung meldet. Das Mittagessen nehmen die Gäste gemeinsam an einer öffentlichen Tafel im besten Restaurant des Orts ein, unter dem Vorsitz des Amtmanns Abendroth.
Viele Jahre bleibt der Besuch im Cuxhavener Seebad ein Vergnügen für vornehme und gutsituierte Personen, die sich den Aufenthalt leisten können: preußische Prinzen, sächsische Thronfolger und hessische Landgrafen, hohe Beamte, reiche Bürger, aber auch berühmte Künstler wie die schwedische Opernsängerin Jenny Lind oder der Schriftsteller Heinrich Heine.
Wirtschaftlicher Aufschwung folgt
Schon im ersten Jahr befördert ein Dampfschiff Besucher aus Hamburg an die Elbmündung. In den 1830er-Jahren wird dann ein regelmäßiger Seebäderdienst zwischen Hamburg und Cuxhaven eingerichtet und bald bis nach Helgoland verlängert. In der Saison 1913 zählt man an der Elbmündung schon 28.000 Badegäste. Zahlreiche luxuriöse Hotels säumen nun den Seedeich zwischen Badehaus und Karrenbad. Die inzwischen gegründete Stadt Cuxhaven führt den ehemals privaten Badebetrieb weiter, der neben der Hochseefischerei und der Marinegarnison zum dritten Pfeiler ihrer wirtschaftlichen Entwicklung wird.
Nach der Jahrhundertwende verlagert sich das Zentrum des Badebetriebs allmählich vom Elbdeich an die Nordseestrände von Döse und Duhnen. Badeanzüge sind in Mode gekommen und Marinekapellen spielen zum Tanz auf. Während die Herren schon gemeinsam in einem durch Taue und Bojen abgetrennten Bad schwimmen, ist das Karrenbad für Damen noch bis 1930 in Betrieb.
Heute größtes deutsches Seebad
Strandburgen-Wettbewerbe, Wattenpolonaisen und Priltaufen gehören bald für lange Zeit zum festen Repertoire des Unterhaltungsprogramms. Heute ist Cuxhaven mit rund vier Millionen Übernachtungen im Jahr 2019 das größte deutsche Nordseeheilbad. Obwohl aus den Badegästen von einst längst Urlauber geworden sind, die Beachvolleyball spielen oder ökologische Wattführungen besuchen, werden wie vor über 200 Jahren auch immer noch medizinische Wannenbäder mit Meerwasser angeboten.