VIDEO: Bilanz: So lief das Urlaubsjahr 1960 (9 Min)

Wie die Norddeutschen Camping für sich entdeckten

Stand: 08.06.2024 00:00 Uhr

In den 1950er- und 60er-Jahren können sich nur wenige Menschen einen Hotel-Urlaub im Ausland leisten. Daher wird Camping in Ost und West zur erschwinglichen und heiß geliebten Alternative.

Nach den Entbehrungen des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit steht in den 50er-Jahren alles im Zeichen des Wiederaufbaus und die Menschen schauen nach vorn. Sie wollen vergessen, streben nach Ruhe und Ordnung - und sehnen sich nach Unbeschwertheit. Zum neuen Lebensgefühl nach dem Kriegsende gehört auch die Sehnsucht nach fernen Ländern.

Fahrt ins Blaue in Heimatgefilden

Italien ist ein Traumziel - doch nur wenige können sich damals den Urlaub im Ausland leisten. Die meisten Deutschen verbringen ihre Ferien daher zu Hause oder bei Verwandten. Zudem werden Bayern und der Schwarzwald zum bevorzugten Reiseziel - und natürlich Ostsee und Nordsee. Während Ostseebäder wie Grömitz in den 50er- und 60er-Jahren schnell wieder zu beliebten Urlaubszielen werden, entwickeln sich andere Orte wie das ostfriesische Greetsiel erst in den 1970er- und 80er-Jahren zu Touristen-Lieblingen.

Am Wochenende gehen viele auf die sogenannte Fahrt ins Blaue - sprachwissenschaftlich vermutlich abzuleiten vom Aufbruch ins Unbekannte: einfach mal rauskommen und in der Natur entspannen.

Wildes Campen: Reger Zulauf an DDR-Stränden

Auch - und besonders - in der DDR heißt es damals vor allem: Urlaub im eigenen Land! Und so wird die Ostsee zum Urlaubsziel Nummer 1. Im Ostseebad Zinnowitz auf Usedom entstehen schon Ende der 1950er-Jahre staatliche Kindersanatorien, in die Kinder aus der ganzen Republik geschickt werden. Ansonsten sind Unterkünfte an der Ostsee rar. Schon 1954 kommen die ersten Camper, die ihre Zelte wild im Küstenwald aufschlagen. Eine Erlaubnis gibt es dafür nicht, geschweige denn sanitäre Anlagen und Strom. Doch die Camper kommen wieder, Jahr für Jahr - und werden geduldet. 1974 sind es schon eine halbe Million. Auch die ersten Campingplätze gibt es bald - doch die Freiheit hat in diesem Zusammenhang ihr Ende mit der staatlichen Zuweisung der Plätze.

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Frau liest ein Buch am Campingtisch neben einem Zelt (1960)
2 Min

Urlaub auf dem Campingplatz (tlw. stumm)

Auf dem Campingplatz kann jeder nach seinem Geschmack Ferien machen. (Ohne Sprecherton) 2 Min

Camping-Welle rollt auch im Westen an

Camping ist nichts gänzlich Neues: Schon in den Goldenen Zwanzigern hatten viele Menschen ihre Wochenenden im Zelt verbracht. In den 1950er-Jahren lebt die Campingwelle auch in Westdeutschland richtig auf. Dank des Wirtschaftswunders ist nun endlich wieder etwas Geld da. Schon kurz nach dem Krieg entstehen die ersten Campingclubs. Zelten ist für viele eine willkommene Gelegenheit, die freien Tage in der Natur zu verbringen. Und so entstehen Anfang der 1960er-Jahre die ersten Campingplätze an der Ostsee. Viele zieht es nun auch ins Ausland, mit dem VW-Käfer geht es zum Zelt-Urlaub etwa nach Österreich.

Mit Kochern und Klappstühlen zu mehr Komfort

VW baut einen Campingwagen in Serie. Grundlage des Bullis: der VW-Transporter. © picture-alliance/ dpa
Der Bulli ist Kult: Bei VW läuft er in den 1950er-Jahren erstmals vom Band.

Auf den Trend stellt sich die Industrie schnell ein. Campingkocher und Klappstühle werden entwickelt. Sie machen die Zeit im Zelt oder Wohnwagen komfortabler. Immer mehr Menschen können sich ein Auto leisten. Richtig ins Rollen kommt die Campingwelle mit den Innovationen der Autoindustrie. Schon in den 1930er-Jahren wurden die ersten Wohnwagen - damals noch "Wohnautos" genannt - gebaut. Modelle wie der Dethleffs Wohnwagen oder der Mini-Wohnwagen Eriba Puck ermöglichen Ferien im eigenen Gefährt.

In den 1950er-Jahren rollt der erste VW Bulli vom Band. Der Bulli wird zum Camping-Mobil der jüngeren Generation - und in den 1970er-Jahren zum Symbol der Hippie-Generation, die mit den bunt bemalten Kultautos Europa erobert.

Camping wird perfektioniert

In den 1970er-Jahren schreitet die Perfektionierung des Campings weiter voran: Die ersten "echten" Wohnmobile mit eingebautem Mobiliar und Kochstelle, Dusche und WC machen das Campen komfortabler und autark. Aber auch die Campingplätze werden dank Sanitärräumen mit warmen Duschen und Waschgelegenheiten sowie Stromanschlüssen immer komfortabler.

Pauschalangebote eröffnen neue Möglichkeiten

1968. Die große weite Welt - Urlaub in Norwegen mit dem ersten eigenen Auto. © NDR/creatv Sachsen/Klaus Wollscheid
Die große weite Welt: Urlaub in Norwegen mit dem ersten eigenen Auto.

Zwar werden 1954 im Westen auch die ersten Charter-Flugreisen nach Mallorca organisiert. Doch die Reise in ferne Gefilde bleibt ein Luxus, den sich anfangs nur wenige leisten können. Erst allmählich wird die spanische Mittelmeerinsel zum neuen Lieblings-Ziel der Westdeutschen. Anfang der 1960er-Jahre kommen die ersten Reisekataloge auf den Markt - Pauschalreisen mit Anreise und Unterkunft im Paket eröffnen Urlaube in ferneren Regionen zu erschwinglichen Preisen. Doch nicht alle mögen die organisierten Reisen - beliebt ist weiter das Reisen auf eigene Faust in die Welt.

DDR: FKK an der Ostsee statt Fernreise

FKK-Strand mit Badenden an der Ostseeküste bei Graal-Müritz (historische Aufnahme von 1953). © Bundesarchiv / CC-BY-SA (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de)
Anfangs verboten, dann aber geduldet und zum Massenphänomen in der DDR geworden: FKK.

Während es die Menschen in Westdeutschland zunehmend auch in fernere Gefilde zieht, ist der Urlaub im Westen für die meisten Menschen aus dem Osten nach dem Mauerbau 1961 unmöglich. Und so zieht es die Menschen weiter an die Ostseeküste. Anfangs noch verpönt und offiziell verboten, wird die Freikörperkultur (FKK) zum Massenphänomen: 1956 erlässt die DDR-Führung die "Anordnung zur Regelung des Freibadwesens", nach der hüllenloses Baden an gekennzeichneten Stränden erlaubt ist. Ob auf dem Darß oder der Insel Usedom: FKK ist an den Stränden in Mecklenburg-Vorpommern angesagt und erlebt besonders in den 1970er-Jahren einen Boom.

Camping - diese Art des Urlaubs empfinden manche in der DDR als eine Flucht, andere aber auch als willkommene Alternative zum begrenzten Ferien-Kollektiv im staatlich subventionierten FDGB-Heim. Das Campen wird zur Massenbewegung: Mehr als 500 Campingplätze gibt es schließlich in der DDR, bevor sie 1990 im wiedervereinten Deutschland aufgeht.

Corona verstärkt den neuen Camping-Boom

Natur pur in Alt Schwerin beim "Camping am See" - jeder der knapp 200 Stellplätze hat Seeblick zu bieten. © NDR/René Stahl
Millionen Deutsche erfreuen sich Jahr für Jahr am Camping.

Der Trend zum Camping-Urlaub ist in den vergangenen Jahren wieder stark gestiegen - deutlich verstärkt durch die Corona-Pandemie mit ihren zwischenzeitlich starken Einschränkungen bei Flugreisen und Hotelübernachtungen. Insbesondere die Reise mit dem Wohnmobil ist extrem beliebt. So sind im Jahr 2021 rund 107.000 neue Caravans und Reisemobile zugelassen worden, etwas mehr als im bisherigen Rekordjahr 2020. 2022 hingegen sind die Zulassungszahlen wieder etwas gesunken. Aber: Jährlich betreiben rund elf Millionen Deutsche ab und zu Camping oder Caravaning, rund zwei Millionen sogar häufig.

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Zwei Frauen liegen auf einem historischen schwarz-weiß-Foto in einem Zelt auf einem Autodach und lachen in die Kamera. © picture alliance Foto: Georg Spring

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Eine junge Frau auf dem Rücksitz eines Mopeds hält ein Paddel unter dem Arm. © picture-alliance / akg-images Foto: akg-images / Horst Maack

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FKK-Kultur in der DDR: Nackt und frei am Strand

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Dieses Thema im Programm:

Unsere Geschichte | 08.06.2024 | 12:00 Uhr

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