Peggy Parnass: Eine Ikone im Kampf für die Gerechtigkeit
Peggy Parnass war Rebellin, Ikone der Schwulenbewegung und Kämpferin für Gerechtigkeit. Die gebürtige Hamburgerin arbeitete lange Jahre als Gerichtsreporterin, Autorin und Schauspielerin. Sie starb am 12. März 2025.
Peggy Parnass wurde am 11. Oktober 1927 in Hamburg geboren. Ihre Geschichte ist auch die des Zufalls - des zufälligen Überlebens. Mit ihren Eltern Simon und Hertha Parnass sowie ihrem jüngeren Bruder Gerd Hans Ludwig (Gady) lebte sie zunächst im Hamburger Schanzenviertel, ab 1935 im Stadtteil Eimsbüttel.
Die Eltern waren jüdischer Herkunft. Als die Nazis an die Macht kamen, war die Familie schnell antisemitischer Bedrohung ausgesetzt. Eigentlich wollten die Eltern Deutschland verlassen, eine Auswanderung scheiterte aber zum einen an der chronischen Lungenerkrankung des Vaters und zum anderen an fehlendem Geld. Denn: Simon Parnass durfte seinen Beruf als Auktionator nicht weiter ausüben.
"Alles, alles was wir machten, war verboten. Meine süße kleine Mutti, die hat vieles gemacht, weil sie wollte, dass wir auch Spaß haben. Dabei wusste sie, dass es schlimme Folgen haben würde, wenn wir erwischt worden wären. Wir durften gar nichts: nicht ins Kino, nicht in Schwimmbäder, nicht ins Theater. Wir durften nicht auf einer Parkbank sitzen; das war für Juden und Hunde verboten. Wir durften überhaupt nichts." Peggy Parnass in einem Interview mit "Hagali" 2020
Eltern werden im Vernichtungslager Treblinka ermordet
Die Eltern ließen Peggy und ihren kleinen Bruder 1939 mit einem Kindertransport nach Schweden ziehen. Sie ahnten, dass sie sich nicht wiedersehen werden. Im Vernichtungslager Treblinka wurden die Eltern von den Deutschen ermordet.
Peggy beschützte Gady in einem schwedischen Waisenhaus. Innerhalb von sechs Jahre lebte sie in zwölf verschiedenen Pflegefamilien. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges kamen Peggy und Gady zu einem Onkel nach London, der als einziger der Familie durch Flucht überlebt hatte. Dort lebte Peggy Parnass drei Jahre zusammen mit ihrem Bruder, der später Engländer wurde. Peggy hingegen ging zurück nach Schweden und nahm die schwedische Staatsbürgerschaft an. 1951 kam in Stockholm ihr Sohn Kim zur Welt.
"Ich könnte keinen Chef ertragen"
Parnass studierte in Stockholm, London, Hamburg und Paris. Sie arbeitete als Sprachlehrerin, Filmkritikerin, Kolumnistin und Dolmetscherin für die Kriminalpolizei. Außerdem übersetzte sie Märchen. Sie schrieb Bücher und hielt Lesungen ab. Die Frau mit der dunkelroten Löwenmähne war nicht nur sehr facettenreich, sondern auch eine Kämpfernatur, ihr Gerechtigkeitssinn leitete sie. "Ich will mich nicht unterordnen, kann mich nicht unterordnen", sagte sie einmal in einem Interview. "Ich wüsste auch nicht wozu, ich könnte keinen Chef ertragen."
Kritik an mangelnder NS-Aufarbeitung
17 Jahre lang arbeitete sie als Gerichtsreporterin für die linke Monats-Zeitung "konkret". Dabei begleitete sie NS-Prozesse, beschrieb genau, wie die Verbrecher oft geschont werden. Es regte sie auf "in einem Land zu leben, in dem Dinge bestraft werden, die ich nicht als strafwürdig ansehe, aber Massenmörder frei rumlaufen".
Dass sie 2008 das Bundesverdienstkreuz angenommen hatte, ärgerte sie im Nachhinein: "Wenn ich daran denke, wer alles diese Auszeichnung bekommen hat, welche Schweine dieses sogenannte Verdienstkreuz am Hals tragen." Etwa 100 enge Verwandte von ihr seien in der Schoah ermordet worden, sagte sie.
Peggy Parnass findet Familienersatz
Die Journalistin, Autorin und Publizistin brannte für Solidarität und für Respekt. Besonders der schwulen Community fühlte sich verbunden. Kaum ein Christopher Street Day verging, an dem man sie nicht freudestrahlend und voller Begeisterung mit Regenbogenfahne ganz vorne sah: Die Community sei "schon Mutter- und Familienersatz", erklärte sie. Und für viele Menschen war Peggy Parnass eine Ikone für die Rechte von Minderheiten. Sie galt zudem als "heimliche Königin" von St. Georg, dem Stadtteil, in dem unter anderem viele Homosexuelle leben.
Junkie süchtig nach Leben und Liebe
Peggy Parnass erzählte über sich selbst: "Ich bin ein Liebes-Junkie." Sie suche Nähe - ohne Scheuklappen. "Sexualität ist für mich wie Essen und Trinken, aber ich hab immer selber entschieden: wann und mit wem", sagte sie bereits 1993 in einem Interview mit Alfred Biolek.
Sie war auch eine Kino-Enthusiastin. Ihr Held war Charlie Chaplin, ihre Liebe galt dem französischen Film Noir. Sie selbst war auch Schauspielerin und drehte Filme mit Udo Lindenberg ("Panische Zeiten", 1980) und Doris Dörrie ("Keiner liebt mich", 1994). Außerdem war sie Sängerin. Man spürte mit jedem Ton, mit jedem Satz: Peggy Parnass war süchtig nach den Leben und nach Liebe.
Auch im hohen Alter noch sehr engagiert
Peggy Parnass trat für ihre Überzeugungen auch im hohen Alter ein. So nahm sie weiter an Veranstaltungen teil, wie etwa der Gedenkfeier für den Hamburger Widerstandskämpfer Helmuth Hübener 2022. Im Jahr darauf wurde in Eimsbüttel der Parnass-Platz eingeweiht, ganz in der Nähe der ehemaligen Wohnung ihrer Eltern. "Es ist beinahe so, als wären meine Eltern zurückgekommen, die hier rausgeschmissen worden sind", sagte Peggy Parnass bei der Enthüllung des Platzschildes.
In ihren letzten Lebensjahren war die Publizistin auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie lebte in einer Seniorenresidenz im Hamburger Stadtteil St. Georg. Bei ihrem Umzug dorthin wurde fast alles, was die Autorin und Künstlerin in ihrer Wohnung angesammelt hatte, zum Archivgut. Darunter waren viele historische Fotos, rund 20.000.
Im Alter von 97 Jahren gestorben - Würdigung von Bischöfin Fehrs
Peggy Parnass starb am 12. März 2025 in Hamburg. Sie wurde 97 Jahre alt. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs würdigte Parnass als eine unermüdliche Kämpferin für Gerechtigkeit: "Vor dem Hintergrund ihres eigenen dramatischen Schicksals als Verfolgte des NS-Regimes hat sie sich ein Leben lang für eine menschliche und solidarische Gesellschaft eingesetzt", sagte die Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche). Parnass sei in Hamburg bis zuletzt sehr präsent gewesen und habe die aktuellen Debatten aufmerksam begleitet und bereichert. "Ich bin froh, dass ich ihr bei vielen Gelegenheiten begegnen durfte, und ich werde ihre klaren Worte und ihre liebenswürdige, warmherzige Art sehr vermissen", sagte Fehrs.
Im Namen des Senats sprach Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Angehörigen und Wegbegleitern von Parnass sein Beileid aus. "Ihr unermüdlicher Einsatz für Demokratie, Toleranz und Mitmenschlichkeit sollte uns auch in Zukunft ein Vorbild sein."
Die Zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) nannte Parnass eine beeindruckende Frau und wichtige Stimme Hamburgs. "Sie sprach und schrieb über das Unaussprechliche, mahnte kämpferisch, klagte Missstände an und wurde so zum Vorbild für viele."
Auch Kultursenator Carsten Brosda würdigte die Verstorbene. Sie sei "stets ein Freigeist und ohne Angst, anzuecken [gewesen], setzte sie sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft ein", so der SPD-Politiker. "Ihre Heimatstadt Hamburg kann froh sein, sie in ihrer Mitte gehabt zu haben. Wir alle verdanken ihr viel."
