Peggy Parnass: Eine Ikone im Kampf für die Gerechtigkeit
Peggy Parnass ist Rebellin, Ikone der Schwulenbewegung und Kämpferin für Gerechtigkeit. Die gebürtige Hamburgerin arbeitet lange Jahre als Gerichtsreporterin, ist Autorin und Schauspielerin.
Peggy Parnass wird am 11. Oktober 1927 in Hamburg geboren. Ihre Geschichte ist auch die des Zufalls - des zufälligen Überlebens. Mit ihren Eltern Simon und Hertha Parnass sowie ihrem jüngeren Bruder Gerd Hans Ludwig (Gady) lebt sie zunächst im Hamburger Schanzenviertel, ab 1935 im Stadtteil Eimsbüttel. Die Eltern sind jüdischer Herkunft. Als die Nazis an die Macht kommen, ist die Familie schnell antisemitischer Bedrohung ausgesetzt. Eigentlich wollen die Eltern Deutschland verlassen, eine Auswanderung scheitert aber zum einen an der chronischen Lungenerkrankung des Vaters und zum anderen an fehlendem Geld. Denn: Simon Parnass darf seinen Beruf als Auktionator nicht weiter ausüben.
"Alles, alles was wir machten war verboten. Meine süße kleine Mutti, die hat Vieles gemacht, weil sie wollte, dass wir auch Spaß haben. Dabei wusste sie, dass es schlimme Folgen haben würde, wenn wir erwischt worden wären. Wir durften gar nichts: nicht ins Kino, nicht in Schwimmbäder, nicht ins Theater. Wir durften nicht auf einer Parkbank sitzen; das war für Juden und Hunde verboten. Wir durften überhaupt nichts." Peggy Parnass in einem Interview mit "Hagali" 2020
Eltern werden im Vernichtungslager Treblinka ermordet
Die Eltern lassen Peggy und ihren kleinen Bruder 1939 mit einem Kindertransport nach Schweden ziehen. Sie ahnen, dass sie sich nicht wiedersehen werden. Im Vernichtungslager Treblinka werden die Eltern von den Deutschen ermordet.
Peggy beschützt Gady in einem schwedischen Waisenhaus. Innerhalb von sechs Jahre lebt sie in zwölf verschiedenen Pflegefamilien. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges kommen Peggy und Gady zu einem Onkel nach London, der als einziger der Familie durch Flucht überlebt hat. Dort lebt Peggy Parnass drei Jahre zusammen mit ihrem Bruder, der später Engländer wird. Peggy hingegen geht zurück nach Schweden und nimmt die schwedische Staatsbürgerschaft an. 1951 kommt in Stockholm ihr Sohn Kim zur Welt.
"Ich könnte keinen Chef ertragen"
Parnass studiert in Stockholm, London, Hamburg und Paris. Sie arbeitet als Sprachlehrerin, Filmkritikerin, Kolumnistin und Dolmetscherin für die Kriminalpolizei. Außerdem übersetzt sie Märchen. Sie schreibt Bücher und hält Lesungen ab. Die Frau mit der dunkelroten Löwenmähne ist nicht nur sehr facettenreich, sondern auch eine Kämpfernatur, ihr Gerechtigkeitssinn leitet sie. "Ich will mich nicht unterordnen, kann mich nicht unterordnen", sagt sie einmal in einem Interview. "Ich wüsste auch nicht wozu, ich könnte keinen Chef ertragen."
Kritik an mangelnder NS-Aufarbeitung
17 Jahre lang arbeitet sie als Gerichtsreporterin für die linke Monats-Zeitung "konkret". Dabei begleitet sie NS-Prozesse, beschreibt genau, wie die Verbrecher oft geschont werden. Es regt sie auf "in einem Land zu leben, in dem Dinge bestraft werden, die ich nicht als strafwürdig ansehe, aber Massenmörder frei rumlaufen."
Dass sie 2008 das Bundesverdienstkreuz angenommen hat, ärgert sie im Nachhinein: "Wenn ich daran denke, wer alles diese Auszeichnung bekommen hat, welche Schweine dieses sogenannte Verdienstkreuz am Hals tragen." Etwa 100 enge Verwandte von ihr seien in der Schoah ermordet worden, sagt sie.
Peggy Parnass findet Familienersatz
Die Journalistin, Autorin und Publizistin brennt für Solidarität und für Respekt. Besonders der schwulen Community fühlt sich verbunden. Kaum ein Christopher Street Day vergeht, an dem man sie nicht freudestrahlend und voller Begeisterung mit Regenbogenfahne ganz vorne sieht: Die Community sei "schon Mutter- und Familienersatz", erklärt sie. Und für viele Menschen ist Peggy Parnass eine Ikone für die Rechte von Minderheiten. Sie gilt zudem als "heimliche Königin" von St. Georg, dem Stadtteil, in dem unter anderem viele Homosexuelle leben.
Junkie süchtig nach Leben und Liebe
Peggy Parnass erzählt über sich selbst: "Ich bin ein Liebes-Junkie." Sie suche Nähe - ohne Scheuklappen. "Sexualität ist für mich wie Essen und Trinken, aber ich hab immer selber entschieden: wann und mit wem", sagt sie bereits 1993 in einem Interview mit Alfred Biolek.
Sie ist auch eine Kino-Enthusiastin. Ihr Held ist Charlie Chaplin, ihre Liebe gilt dem französischen Film Noir. Sie selbst ist auch Schauspielerin und hat Filme gedreht mit Udo Lindenberg ("Panische Zeiten", 1980) und Doris Dörrie ("Keiner liebt mich", 1994). Außerdem ist sie Sängerin. Man spürt mit jedem Ton, mit jedem Satz: Peggy Parnass ist süchtig nach den Leben und nach Liebe.
Auch im hohen Alter noch sehr engagiert
Peggy Parnass tritt für ihre Überzeugungen auch im hohen Alter ein. So nimmt sie weiter an Veranstaltungen teil, wie etwa der Gedenkfeier für den Hamburger Widerstandskämpfer Helmuth Hübener 2022. Im Jahr darauf wird in Eimsbüttel der Parnass-Platz eingeweiht, ganz in der Nähe der ehemaligen Wohnung ihrer Eltern. "Es ist beinahe so, als wären meine Eltern zurückgekommen, die hier rausgeschmissen worden sind", sagt Peggy Parnass bei der Enthüllung des Platzschildes.
Seit einiger Zeit ist die Publizistin auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie lebt in einer Seniorenresidenz im Hamburger Stadtteil St. Georg.