Inkontinenz: Hilft Beckenbodentraining bei Blasenschwäche?

Stand: 24.02.2023 11:49 Uhr | vom Norddeutscher Rundfunk-Logo

Wenn Frauen den Urin nicht halten können, hilft oft schon Beckenbodentraining. Doch mitunter sind bei Inkontinenz Medikamente oder auch eine Operation notwendig.

Etwa jede dritte Frau in Deutschland leidet zumindest gelegentlich an unkontrolliertem Harnverlust. Im höheren Lebensalter ist sogar die Mehrzahl der Frauen von Inkontinenz betroffen. Doch noch immer ist das Thema Blasenschwäche ein Tabu, obwohl es viele Mittel dagegen gibt und keinen Grund, sich einfach damit abzufinden. Durch regelmäßiges Beckenbodentraining lässt sich die Kontrolle über die Blase fast immer verbessern und in manchen Fällen sogar völlig zurückgewinnen. Bei ausgeprägter Inkontinenz stehen operative Methoden zur Verfügung, die sorgfältig abgewogen und von erfahrenen Operateurinnen und Operateuren durchgeführt werden sollten.

Diagnose der Harninkontinenz bei Frauen

Eine gründliche Diagnostik durch einen Gynäkologen oder eine Urologin ist wichtig, denn es gibt verschiedene Formen der Blasenschwäche, die jeweils andere Ursachen haben und unterschiedliche Symptome hervorrufen. Ein ausführliches Gespräch und eine körperliche Untersuchung ermöglichen es meistens, die Form der Blasenschwäche zu bestimmen und eine geeignete Therapie zu finden. Auch eine Blasendruckmessung kann helfen, zu ermitteln, um welche Art der Inkontinenz es sich handelt.

Die gründliche Untersuchung zeigt ebenfalls, ob eine Senkung der Beckenorgane vorliegt. Bei jeder neunten Frau wölben sich im Laufe des Lebens Teile der Beckenorgane durch die natürlichen Lücken im Beckenboden nach unten vor. Typische Beschwerden sind beispielsweise ein Schweregefühl, ein Fremdkörpergefühl oder Wundscheuern von Schleimhaut. Eine Senkung und Inkontinenz können, müssen aber nicht gemeinsam vorkommen.

Belastungsinkontinenz beim Husten, Niesen oder Lachen

Die häufigste Form der Inkontinenz ist die Belastungsinkontinenz, auch Stressinkontinenz genannt. Sie macht über die Hälfte der Fälle aus. Betroffene Frauen verlieren Urin bei körperlicher Belastung, wenn im Bauch- und Beckenraum Druck entsteht, zum Beispiel beim Lachen, Husten oder Niesen - einige bereits bei schnellem Gehen. Ursache ist meist eine Schwäche des Beckenbodens durch Geburten und Alterungsprozesse. Wenn der weibliche Körper in den Wechseljahren weniger Geschlechtshormone (Östrogene) produziert, führt dies ebenfalls oft zu einer Schwächung des Beckenbodens. Jede Frau kann also Symptome einer Blasenschwäche entwickeln, auch wenn sie kein Kind geboren hat.

Dranginkontinenz durch überaktive Blase

Bei der Dranginkontinenz, auch überaktive Blase genannt, haben die Betroffenen ganz häufig das Gefühl, zur Toilette zu müssen - auch nachts. Dieser plötzliche Harndrang ist oft kaum zu unterdrücken und tritt bereits bei kleinster Blasenfüllung auf, so dass immer nur sehr wenig Urin ausgeschieden wird. Ursachen können neben hormonellen Veränderungen und Alterungsprozessen auch Nervenschäden und -reizungen sein. Nur etwa 15 Prozent der Frauen mit Inkontinenz haben eine reine Dranginkontinenz. Wesentlich häufiger, in über 30 Prozent der Fälle, liegt eine Mischform vor.

Mischformen der Blasenschwäche

Bei der Mischinkontinenz treten Symptome der Belastungsinkontinenz und der Dranginkontinenz auf. Sie entsteht häufig mit fortschreitendem Alter, indem zu einer bestehenden Drang- oder Belastungsinkontinenz die jeweils andere Inkontinenzform hinzukommt. Die Betroffenen leiden also unter unwillkürlichem Harnverlust, der sowohl in Zusammenhang mit einem starken Harndranggefühl als auch bei körperlicher Anstrengung auftritt.

Belastungsinkontinenz mit konservativer Therapie behandeln

Bei einer Belastungsinkontinenz ist meist der muskuläre Beckenboden zu schwach. Er hält die Beckenorgane in ihrer Position und unterstützt zudem den Blasenschließmuskel. Verliert die Beckenbodenmuskulatur durch Geburten, hormonelle Veränderungen oder Übergewicht ihre Elastizität und Stützfunktion, kommt es zu einer Störung des Schließmuskelapparates der Blase.

  • Ein konservativer Behandlungsansatz ist gezieltes Beckenbodentraining unter Anleitung und bei Bedarf mit Biofeedback oder Unterstützung durch gezielte Elektrostimulation.
  • Zusätzliche Maßnahmen sind Gewichtsabnahme mit viel Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung.
  • Beckenbodentraining ist gut geeignet zur Prävention und bei kurzzeitig bestehender Belastungsinkontinenz nach einer Geburt. Ist jedoch schon zu viel Beckenbodengewebe geschädigt - zum Beispiel nach Entbindungen oder im Alter - lässt sich eine Inkontinenz nicht völlig wegtrainieren.
  • Manchen Frauen helfen Scheidenpessare, die wie Tampons eingeführt werden, um die Harnröhre für mehrere Stunden zu stützen. Sie können unfreiwilligen Urinverlust verhindern.
  • In einigen Fällen werden auch Medikamente mit dem Wirkstoff Duloxetin eingesetzt, einem sogenannten Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer. Das Mittel beeinflusst die Funktion der Blasenschließmuskulatur. Es kann allerdings zu Nebenwirkungen wie Schwindel und Übelkeit führen und sollte deshalb vorsichtig dosiert werden.
  • Bei der sogenannten Unterspritzung wird mit einer feinen Nadel ein Gel-Implantat ringförmig in die Schleimhaut der Harnröhre injiziert, die sich daraufhin verdickt - wie aufgespritzte Lippen. Die Harnröhre soll dadurch enger werden und besser abdichten. Manchmal muss die Behandlung wiederholt werden, um einen Effekt zu erreichen. Die Methode wird vor allem genutzt, wenn eine Operation nicht in Frage kommt.  

Selbsthilfe durch Beckenbodentraining im Alltag

Beckenbodentraining macht für jede Frau Sinn, insbesondere nach einer Geburt und in den Wechseljahren, denn ein gut trainierter Beckenboden schützt vor Blasenschwäche. Den eigenen Beckenboden richtig "anzusteuern", gelingt nicht immer auf Anhieb. Zu wissen, wie er aufgebaut ist, kann dabei helfen. Der Beckenboden ist ein Geflecht aus Bindegeweben und übereinander verlaufenden Muskelsträngen. Nach vorn ist er am Schambeinknochen befestigt, hinten am Steißbein und an den Seiten an den Sitzbeinhöckern. Wie eine Hängematte stützt er Blase und Gebärmutter von unten - und er sorgt für den Verschluss der Harnröhre.

Hat der Beckenboden im Laufe des Lebens an Kraft und Elastizität verloren, lässt er sich mit einigen Übungen meist wieder stärken - am besten mehrmals täglich, über den Tag verteilt. Ein positiver Nebeneffekt: Der Bauch wird flacher, weil ein fester Beckenboden die Haltung verbessert und die inneren Organe am richtigen Platz hält.

Ansteuerung des Beckenbodens mit Ultraschall prüfen

Wer Schwierigkeiten hat, die Muskulatur des eigenen Beckenbodens richtig anzusteuern, kann auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. So lässt sich die Grundspannung der Muskeln manuell ertasten, im Ultraschall bei der Frauenärztin oder beim Frauenarzt ist der Wechsel von Entspannung und Anspannung sogar deutlich zu sehen. Allerdings ist eine solcher Test nicht Bestandteil der jährlichen Vorsorgeuntersuchung, sondern wird meist nur auf Bitte der Patientin oder aber bei Spezialisten für Beckenbodentherapie durchgeführt.

Blasenschwäche mit OP beheben

Bleiben alle konservativen Verfahren erfolglos, können operative Eingriffe helfen. Der Erfolg eines Eingriffs gegen Blasenschwäche hängt auch immer von der sorgfältigen Diagnosestellung und der Erfahrung der Operateure mit der jeweiligen OP-Methode ab.  

Liegt eine Kombination von Inkontinenz und Senkung vor (zum Beispiel. Blase, vordere Scheidenwand, hintere Scheidenwand, Gebärmutterhals, Gebärmutter oder Teile des Enddarms), sollte in einer ersten Operation zunächst die Senkung behoben werden. Ist das Gewebe anschließend geheilt, muss die Situation neu beurteilt werden. Denn die Stabilisierung im Becken verändert auch die Verschlusssituation der Blase. Eine erneute Blasendruckmessung zeigt, welche Ausprägung und Form der Inkontinenz noch vorliegt und welche Behandlung Erfolg verspricht.

Minimalinvasive OP bei Belastungsinkontinenz

Bei Belastungsinkontinenz sind in vielen Fällen minimalinvasive Operationen erfolgreich, zum Beispiel der Einsatz eines spannungsfreien Bändchens (TVT- oder TOT-Band) zur Stützung der Harnröhre. Die unter Narkose eingepflanzte Schlinge stabilisiert die Harnröhre und verhindert, dass in Belastungssituationen Urin abgeht. Die Erfolgsraten sind hoch, wenn es sich um eine reine Belastungsinkontinenz handelt.

Zu den Risiken gehören Blasenverletzungen, Narbenbildung und ein nicht perfekter Sitz des Bändchens. So kann ein zu straffer Sitz des Bändchens dazu führen, dass sich Restharn bildet und es wiederum zu Entleerungsstörungen kommt.

Implantation eines Netzes in den Unterleib

Die Implantation eines Netzes in den Unterleib zur Stabilisierung des Beckenbodens bei Senkungsbeschwerden ist eine große Operation, bei der Chancen, Risiken und Nebenwirkungen besonders sorgfältig abgewogen werden müssen. Die OP sollte nur von erfahrenen Ärztinnen und Ärzten in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.

Ein unter der Harnröhre und Blase eingepflanztes Kunststoffnetz führt zu einer Entzündungsreaktion im Gewebe und dadurch zur Bildung einer narbigen Platte, die für Festigkeit sorgt. Bei dieser Methode kommt es nur selten zu Rückfällen, aber häufiger zu Komplikationen wie Schmerzen beim Wasserlassen oder beim Geschlechtsverkehr.

Behandlung der Dranginkontinenz

Bei einer Dranginkontinenz melden die Nerven dem Gehirn oft, die Blase sei voll, obwohl tatsächlich noch Platz wäre. Gibt die Frau diesem Druck zu schnell nach, kann sich die Dranginkontinenz immer weiter verschlimmern. Helfen kann anfangs noch eine kurze Ablenkung, wie zum Beispiel Kopfrechnen. Während sich das Gehirn mit der Lösung beschäftigt, ist schnell die entscheidende Minute auf dem Weg zur Toilette gewonnen.

Auch Beckenbodentraining kann bei einer nervösen Blase etwas Linderung verschaffen.

Medikamente bei Dranginkontinenz: Anticholinergika

Viele Betroffene benötigen zusätzlich aber doch Medikamente. Zur Behandlung der Dranginkontinenz haben sich sogenannte Anticholinergika bewährt. Sie dämpfen die Aktivität der Blasenmuskulatur. Da die Wirkung erst nach einiger Zeit einsetzt, sollten sie mindestens vier bis sechs Wochen eingenommen werden, um den Erfolg einschätzen zu können.

Zu den Nebenwirkungen der Anticholinergika gehören Mundtrockenheit, Übelkeit, Sehstörungen, Herzrasen oder Verstopfung. Reicht die Wirkung der Anticholinergika nicht aus oder sind die Nebenwirkungen zu stark, kann der Wirkstoff Mirabegron eingesetzt werden. Seine Wirkung setzt nach etwa drei Monaten ein, die Nebenwirkungen sind in der Regel geringer. Liegt ein Östrogenmangel vor, kann eine örtliche Hormontherapie mit einem Scheidenzäpfchen oder einer Scheidencreme sinnvoll sein.

Botox als Behandlungsoption

Reicht die Wirkung der Medikamente nicht aus, können bei einer überaktiven Blase Botox-Injektionen direkt in den Blasenmuskel helfen, dass der Urin längere Zeit gespeichert werden kann. Die Wirkung des Nervengiftes hält etwa sechs bis neun Monate an und wird danach wird die Behandlung wiederholt.

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NDR Fernsehen | Visite | 28.02.2023 20:15

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