Fehlgeburt: Wege, den Verlust zu verarbeiten
Im Schnitt erleidet jede dritte Frau in Deutschland eine Fehlgeburt. Den Verlust zu verarbeiten, ist schmerzlich und braucht Zeit. Hebamme Viresha Bloemeke begleitet Betroffene. Sie erklärt, was nach einer Fehlgeburt helfen kann.
Viresha Bloemeke arbeitet seit über 30 Jahren als Hebamme. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Autorin sowie Körper- und Traumatherapeutin und berät Paare, die eine Fehlgeburt erlitten haben. Im Interview mitLucie Kluth, Host des Podcasts "Tatsächlich schwanger - Alles, was ihr jetzt müsst", teilt sie ihre Erfahrungen und gibt Tipps, wie Paare nach dem Verlust ihres ungeborenen Kindes zurück ins Leben finden und Zuversicht für eine weitere Schwangerschaft sammeln können.
Lucie Kluth: Frau Bloemeke, was kann ich als Schwangere nach einer Fehlgeburt tun, was würden Sie empfehlen?
Viresha Bloemeke: Auf jeden Fall ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen. Wenn möglich sollte man eine Krankschreibung von der Hausärztin oder Gynäkologin erfragen. Das ist nicht so sehr nötig für das körperliche Gesunden, sondern mehr für den ganzheitlichen Prozess des Verarbeitens. Dafür braucht Frau Zeit. Die Trauer darf da sein und man darf ihr nachspüren, um zu merken, was brauche ich eigentlich? Außerdem hilft eine möglichst liebevolle Unterstützung, vom Partner, der Partnerin oder auch von Freunden und Familie.
Meist ist eine Fehlgeburt ja ein unerwartetes und plötzliches Geschehen. Ein liebevolles begleitet werden, ob durchs bekocht werden, eine Fußmassage oder andere liebe Gesten, hilft, dass der Schreck sich langsam aus dem Nervensystem hinausschleichen kann. Oft ist man erst ein bisschen wie erstarrt und funktioniert nur. Es ist vielen anfangs gar nicht klar, 'Wieso muss ich mich krankschreiben lassen? Ich gehe lieber schnell wieder zur Arbeit.' Ich glaube aber, dass es langfristig gut ist, diesem Prozess Zeit zu geben.
Kluth: Also nicht so schnell wie möglich wieder zum Alltag zurückkehren? Warum macht man das vielleicht auch?
Bloemeke: Fehlgeburt und Tod sind immer noch Tabus. Themen, mit denen die Betroffenen eigentlich erst ins Gespräch gehen, wenn eine Freundin sagt: "Ich hatte eine Fehlgeburt", erst dann traut man sich zu sagen: "Du, ich übrigens auch."
Es gibt ja auch diese komische Regel in den ersten Wochen der Schwangerschaft lieber noch nicht darüber zu sprechen. Obwohl man schwanger ist und sich vielleicht so freut, dass man es rausposaunen möchte, behält man es für sich. Denn: Wer weiß, was noch passiert? So der Gedanke. Das spielt bei einer Fehlgeburt auch eine Rolle. Wie viel habe ich es schon in die Welt gegeben? Oder habe ich zum Beispiel meinen Arbeitgeber noch gar nicht informiert? Will ich dann einfach schnell da wieder auftauchen, damit der nichts merkt? Solche Dinge spielen, glaube ich, da mit rein, wenn Frauen sich zu schnell wieder fordern.
Kluth: Es ist ja immer noch ein Unterschied, ob man sich eine Zeit lang krankschreiben lässt oder auch therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt. Wann ist es sinnvoll, sich nach einem Abort als Schwangere Hilfe zu holen?
Bloemeke: Es ist nicht in jeden Fall nötig, therapeutische Trauerbegleitung in Anspruch zu nehmen. Man kann zunächst die Hebamme zur Rate ziehen, die man hoffentlich schon zu Beginn der Schwangerschaft angerufen hatte. Damit einfach das Gefühl da ist, gut begleitet zu sein.
Therapeutische Hilfe, also mehr Prozessbegleitung, brauchen meist Frauen, die wiederholt eine Fehlgeburt erleben oder ein vielleicht noch ganz unerfüllter Kinderwunsch das Ganze beschattet.
Oft merkt die Frau selbst, wenn sie Hilfe braucht, etwa bei Gedanken wie: Ich komme einfach aus diesem Gefühl der Traurigkeit nicht raus, ich möchte gar nicht mehr aufstehen. Oder: Ich habe keine Lebensfreude mehr, ich kreise gedanklich nur noch um die Fehlgeburt. Oder: Ich fühle mich wie erstarrt. Die Frau merkt: Ich bin nicht mehr so, wie ich gehöre. Und dann ist therapeutische Hilfe sinnvoll und angemessen.
Auch, wenn noch ein weiteres belastendes Lebensereignis dazukommt, neben dem Erlebnis der Fehlgeburt, kann es wichtig sein, professionelle Hilfe zu suchen. Das kann zum Beispiel eine Krise in der Partnerschaft sein: Der Partner geht anders mit der Fehlgeburt um und hat kein Verständnis. Oder es stand oder steht vielleicht sogar eine Trennung im Raum.
Kluth: Also kann es auch für die Partnerschaft eine starke Belastung sein, eine Fehlgeburt zu erleben?
Bloemeke: Ja, es geht darum, wie man diese Erfahrung als Paar gemeinsam durchsteht. Dass das Erleben einer Fehlgeburt unterschiedlich ist, ist normal. Den Partner oder die Partnerin betrifft es ja nicht körperlich, aber die Planung einer Schwangerschaft, die Planung der Geburt eines Kindes, und dann der plötzliche Absturz betrifft dann ja beide als Partnerinnen oder Partner.
Kluth: Wie schafft man es denn, nach einem Abort bei einer Folgeschwangerschaft zuversichtlich zu sein?
Bloemeke: Da spielt es zunächst eine Rolle, wann das Ereignis war. Wenn es eine frühe Fehlgeburt in den ersten zwölf Wochen war, dann ist es oft so, dass in der zweiten Schwangerschaft der Zeitraum bis zum Ereignis der ersten Fehlgeburt von Angst und Unsicherheit beschattet wird und von der Frage, ob es wohl dieses Mal gelingt. Da rate ich den Frauen immer, dass sie diese kritischen Wochen sehr bedürfnisorientiert gestalten und sich nicht übernehmen. Hier kann ebenfalls eine Krankschreibung in Frage kommen oder die Planung einer Auszeit, die man sich in dieser frühen Zeit der Schwangerschaft gönnt.
Kluth: Wie schafft man es, mit diesen Ängsten gut fertig zu werden?
Bloemeke: Ein großer Punkt ist die Verbindung zu eigenen Ressourcen. Wenn zum Beispiel eine Frau gerne ein Instrument spielt oder singt, sollte sie damit viel Zeit verbringen. Nähen, Basteln, Schreiben, all diese eher kreativen Hobbys sind ebenfalls Ressourcen. Denn es hilft, wenn man etwas tut, was Identität bedeutet, um zu fühlen: So bin ich, das brauche ich, das gehört zu mir. Das kann aber auch sein: in der Badewanne liegen, mit viel Schaum und Musik oder spazieren gehen in der Natur. Was immer der Frau guttut kann eine Kraftquelle sein. Für diese Dinge sollte sie sich viel Zeit gönnen, denn in diesen Momenten steht das Kopfkarussell still.
Kluth: Sie bieten auch Gruppentreffen rund um das Thema Abort an. Wie können die helfen, eine Fehlgeburt zu verarbeiten?
Bloemeke: Ein großer, von den Frauen gesuchter, Effekt ist der Austausch mit Menschen, die etwas Ähnliches erlebt haben. Sie brauchen dieses Sich-Verstanden-Fühlen, kein Tabu brechen müssen, nicht auch noch Rücksicht nehmen, dass die Gesprächspartnerin vielleicht geschockt ist oder Angst bekommt. Bei einem Gruppentreffen ist einfach Platz für das, was man erlebt hat, man darf sich mitteilen, sich austauschen und andere erleben, denen es ähnlich geht.
Kluth: Was raten Sie denn Partnern oder auch Partnerinnen, die eben nicht die schwangere Person in der Beziehung waren? Wie können sie unterstützen?
Bloemeke: Am leichtesten ist es, glaube ich, die Frau, die das Baby verloren hat, zu fragen, was sie braucht. Und dann zu gucken, ob der oder die begleitende Person das geben kann oder ob sie noch andere Menschen herbeiholen wollen, damit die Frau sich wohlfühlt und wieder zuversichtlich werden kann.