Landkreis im Ausnahmezustand: Ein Jahr Schweinepest
Seuchenmodus und damit Ausnahmezustand im Landkreis Ludwigslust-Parchim: Vor genau einem Jahr wurde dort erstmals die hoch ansteckende Afrikanische Schweinepest festgestellt.
Vor genau einem Jahr ist im flächenmäßig zweitgrößten Landkreis von Deutschland der Seuchenmodus ausgebrochen. Am 24. November 2021 wurde während einer Jagd in den Ruhner Bergen ein totes Wildschwein entdeckt. Später stellte sich heraus, es war mit dem Virus der Afrikanischen Schweinepest infiziert. Seitdem ist in der Region nichts mehr, wie es einmal war.
Hochaggressives Virus
Das Virus der Afrikanischen Schweinepest ist für Menschen unbedenklich, aber hochinfektiös für Schweine. In der Regel sterben die Tiere. Seuchenexperten der Europäischen Union schätzen, dass Mecklenburg-Vorpommern noch lange mit der Tierseuche zu tun haben wird. Denn das Virus ist sehr zäh, es kann in der Natur mindestens 18 Monate überleben. Ausbrüche, auch in Hausschweinbeständen, drohen ständig.
Mensch als Verursacher?
Offen ist, wie das Virus nach Mecklenburg-Vorpommern gelangt ist. Tierseuchenexperten, auch vom betroffenen Landkreis, vermuten, dass die Afrikanische Schweinepest von Menschen eingeschleppt worden sein könnte, nur wie ist unklar. Die Experten sprechen von punktuellen Einträgen, sie können keine Wanderbewegungen von infizierten Wildschweinen erkennen, die etwa aus Brandenburg oder Polen nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen sind. In den Nachbarländern grassiert die Afrikanische Schweinepest sehr stark.
Den landesweit ersten Seuchenausbruch überhaupt gab es in einem Nutztierbestand im Landkreis Rostock. Am 15. November 2021 wurde das Virus in einem Schweinemastbetrieb in Lalendorf festgestellt. Die rund 4.000 Tiere dort wurden daraufhin getötet. Dieser Betrieb ist bislang ein Einzelfall. Auch hier kann nicht eindeutig geklärt werden, wie das Virus in die Stallanlagen gelangen konnte, ob etwa über verunreinigtes Futter oder unachtsames Verhalten. Das Umfeld wurde nach infizierten Wildschweinen abgesucht, bis heute wurde kein einziges Tier gefunden, auch keine infizierten Knochen oder Kadaver.
Kein Indiz für Wanderbewegung
Im Landkreis Ludwigslust-Parchim wurde das erste infizierte Wildschwein bei Marnitz in den Ruhner Bergen entdeckt, etwa sieben Kilometer weiter befindet sich die brandenburgische Grenze. Das Nachbarbundesland ist seit Juli 2021 von der Seuche betroffen, über 2.600 Fälle wurden dort schon registriert, auch Hausschweinbestände wurden infiziert. Allerdings gibt es laut Landkreis bislang keine Indizien dafür, dass kranke Wildschweine aus Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern gewandert sind.
Zaunbau als effektive Schutzmaßnahme
Im Landkreis Ludwigslust-Parchim wurden infolge des Erstfundes strikte Vorsichtsmaßnahmen aktiviert, die durch tierseuchenrechtliche Bestimmungen von der Europäischen Union vorgegeben sind. Wenige Tage nach Ausbruch der Tierseuche wurde um das betroffene Gebiet ein elektrischer Schutzzaun aufgestellt.
Mittlerweile steht ein zweiter fester rund 135 Kilometer langer Zaun. Im betroffenen Gebiet wurden bislang 46 weitere infizierte Wildschweine entdeckt, teilweise auch nur Knochen oder Kadaver. Das betroffene Gebiet ist rund 120.000 Hektar groß.
Suche nach Fallwild
Zuständig für das Seuchenmanagement ist der Fachdienst Veterinär- und Lebensmittelüberwachung. Täglich kommen Amtsveterinär Dr. Olav Henschel und sein Team zusammen, um die aktuelle Lage zu besprechen. Das Personal wurde aufgestockt, um sämtliche Aufgaben erfüllen zu können, die die Tierseuche mit sich bringt. Täglich sind speziell ausgebildete Hunde in dem Gebiet unterwegs und suchen nach Fallwild. Zuletzt wurde dort am 13. Oktober 2022 ein infiziertes Wildschwein entdeckt. Restriktionen werden von der Europäischen Union erst aufgehoben, wenn eine betroffene Region mindestens ein Jahr seuchenfrei ist.
Existentielle Einschränkungen
Vom Ausbruch der Tierseuche ist auch die heimische Land- und Forstwirtschaft betroffen. Landwirte, Schweinebauern, Waldbesitzer oder auch Wildhändler dürfen nicht mehr so wirtschaften wie zuvor. Sie müssen sich an die strikten EU-Vorgaben zur Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest halten. Der Landkreis ist für deren Umsetzung zuständig. Das sorgt für Unmut und Unverständnis unter den Betroffenen. Sie kritisieren eine viel zu hohe Bürokratie, eine fehlende Kommunikation seitens des Landkreises Ludwigslust-Parchim und Vorschriften, die ihrer Meinung nach unsinnig und praxisfern sind. Sie machen sich Sorgen um ihre berufliche Existenz und schildern ihren erschwerten Alltag in der aktuellen Folge des NDR MV Podcast Dorf Stadt Kreis.
Land zahlt Entschädigung
Zum 1. Juli 2022 trat ein Entschädigungserlass in Kraft, unterzeichnet von Landwirtschaftsminister Till Backhaus. Eigentlich ist der Landkreis Ludwigslust-Parchim für die Tierseuchenbekämpfung und damit auch für Entschädigungszahlungen zuständig. Es wurde aber festgelegt, dass die Afrikanische Schweinepest ein katastrophenähnliches Szenario ist. "Diese Krise können Landkreise finanziell nicht allein meistern", so Landwirtschaftsminister Backhaus.
Deshalb übernimmt das Land die Kosten für genehmigte Entschädigungen. Anspruch haben etwa land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die infolge der Tierseuche nur noch eingeschränkt wirtschaften durften bzw. dürfen. Auch Landeigentümer und Hausbesitzer haben Anspruch, etwa wenn der Wildschutzzaun über ihr Grundstück geht und sie so ihre Flächen nur noch eingeschränkt nutzen können. Jeder Antrag auf Entschädigung ist an ein Gutachten gekoppelt, vereidigte Sachverständige prüfen laut Agrarministerium den Anspruch.
"Seuche muss ausgerottet werden"
Landwirtschaftsminister Till Backhaus befürchtet ein Ausbreiten der Tierseuche auf weitere Landkreise. Er fordert deshalb den Landkreis Ludwigslust-Parchim auf, alle Wildschweine in der sogenannten Kernzone zu bejagen. Das Gebiet umfasst etwa 19.000 Hektar, es wurde mithilfe von Drohnen abgeflogen und 476 Wildschweine wurden gezählt. Damit von ihnen keine Gefahr mehr ausgehen kann, sollen die Tiere nun schnellstmöglich erlegt werden.
Schweinehaltung in MV in Gefahr
Der SPD-Politiker blickt dabei auch auf die heimische Schweineproduktion. Schon jetzt befinden sich die Betriebe in einer großen schwierigen wirtschaftlichen Lage. Schweinebauern und Sauenhalter im Land haben bereits aufgegeben. Laut Minister Backhaus gibt es noch 80 größere Landwirtschaftsbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern, die Schweine halten oder züchten. Würde die Seuche erneut in einem Hausschweinbestand ausbrechen, wäre das fatal, betont Backhaus.