Clint Eastwoods "Juror #2": Ein Geschworener im moralischen Dilemma
Das Gerichtsdrama der 94-jährigen Filmlegende Clint Eastwood erinnert in vielen Details an den Klassiker "Die zwölf Geschworenen". "Juror #2" überzeugt weniger durch große Spannung als durch die Themen, die verhandelt werden.
Der ehemalige Detective Harold, einer von zwölf Geschworenen im Mordprozess, versucht die Staatsanwältin von der Unschuld des Angeklagten zu überzeugen. Der soll seine Freundin nach einem heftigen Streit in der Kneipe umgebracht und einen Abhang hinuntergeworfen haben. Obwohl einiges dagegen spricht, sind sich die Geschworenen fast einig - bis auf zwei: Detective Harold und Justin, Juror Nr. 2, Magazin-Autor und werdender Vater. Gleich am ersten Prozesstag beschleicht ihn eine Ahnung:
Justin: "Vielleicht hab' ich kein Reh angefahren." Filmszene
Justin hatte am Tatabend am Fundort der Leiche einen Unfall, erzählt er einem befreundeten Anwalt:
Justin: "Es hat geregnet. Ich bin ausgestiegen, hab' alles gecheckt, nichts gesehen und dachte, vielleicht war es ein Reh, das weggelaufen ist. Dann bin ich wieder eingestiegen und nach Hause gefahren." Filmszene
Ermittlungen auf eigene Faust
Wir sehen die Szene im Rückblick, ein Schild am Straßenrand warnt vor Wildwechsel. Aber inzwischen glaubt Justin, dass er die Frau überfahren haben könnte. Die Jury würde also vielleicht einen Unschuldigen verurteilen. In dieses moralische Dilemma stürzt Regisseur Clint Eastwood seine Hauptfigur: Soll Justin die Wahrheit sagen und wegen unbeabsichtigter Fahrerflucht selbst ins Gefängnis gehen - seine noch junge Familie zerstören? Oder soll er einen Unschuldigen lebenslänglich hinter Gitter bringen? Er versucht, seine Jury-Kollegen mit Argumenten von ihrem Urteil abzubringen. Denn sie stützen sich weniger auf Beweise als auf den schlechten Leumund des Angeklagten, seine Vergangenheit als Mitglied einer Drogengang. Davon ist auch die Staatsanwältin nicht frei.
In Ex-Detective Harold hat in Justin einen Verbündeten: Obwohl das verboten ist, stellt er Nachforschungen an, die die Justiz seiner Meinung nach versäumt hat. Denn er weiß, dass im Polizeialltag einiges untergehen kann. Allmählich wird klar, dass die überlastete Justiz schlampig gearbeitet hat, der Augenzeuge sich geirrt haben könnte, die Staatsanwältin vor lauter Karriereambitionen manche Frage nicht gestellt hat.
Im Zentrum des Films stehen die Diskussionen der Geschworenen, die von Vorurteilen und persönlichen Motiven für einen Schuldspruch geprägt sind. Menschen können sich ändern, argumentiert Justin, und erzählt aus seiner eigenen, auch nicht makellosen Vergangenheit.
"Juror #2": Clint Eastwoods starker Kommentar zur Zeit
Clint Eastwood bringt seine Zuschauer in die Position, sich selbst zu fragen: Was hätte ich getan? Sein Gerichtsdrama "Juror #2" erinnert in vielen Details an den Klassiker "Die zwölf Geschworenen", wirkt allerdings stellenweise etwas konstruiert und überzeugt weniger durch große Spannung als durch die Themen, die verhandelt werden: zum Beispiel das System der Zwangsverpflichtung von Juroren, die - wie man hier sieht - möglicherweise keine Lust auf lange Diskussionen haben. Oder: wie Vorurteile Menschen vernichten können. Wieviel Aufrichtigkeit eigentlich im Spiel ist, wenn sich jemand wie Justin gegen Ungerechtigkeit engagiert, um sein eigenes Gewissen zu entlasten. Und schließlich die Frage, ob Wahrheit immer auch Gerechtigkeit bedeutet.
Der Fall zeigt, dass es zwischen schwarz und weiß, richtig und falsch viele Graustufen gibt, das scheinbar Eindeutige manchmal hinterfragt und differenziert betrachten werden muss. In den heutigen, aufgeheizten Debatten geschieht das immer seltener. Auch damit ist Eastwoods Film ein starker Kommentar zur Zeit.
Juror #2
- Genre:
- Drama, Thriller
- Produktionsjahr:
- 2024
- Produktionsland:
- USA
- Zusatzinfo:
- Mit Nicholas Hoult, J.K. Simmons, Kiefer Sutherland und anderen
- Regie:
- Clint Eastwood
- Länge:
- 114 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 16. Januar 2024