Muschelläufer soll Ahrensburg für immer verlassen

Stand: 16.01.2023 20:02 Uhr

18 Jahre lang gehasst oder geliebt: Nachdem das Kunstwerk in Ahrensburg immer wieder beschädigt wurde, wurde es abgebaut. Jetzt wird entschieden, ob der Muschelläufer an den Künstler zurückgeht.

von Corinna Below

Zurzeit verdeckt ihn eine weiße, große Plane. Hinter dem Containerfahrzeug haben sie ihn vor etwa zwei Jahren abgestellt, in der allerletzten Ecke des Bauhofes der Stadt Ahrensburg (Kreis Stormarn). Die Rede ist von dem sogenannten Muschelläufer: Die etwa vier Meter große Figur ist eines der wohl umstrittensten Kunstwerke Schleswig-Holsteins. Ein blonder Mann in blauem Anzug, der mit seinen übergroßen nackten Füßen auf einer schneckenartigen Muschel steht. Siegline Thies, Leiterin des städtischen Bauamtes sagt, sie hätten den Muschelläufer extra hier abgestellt, damit er heil bleibt - "soweit das noch geht", denn er sei schließlich bereits sehr ramponiert.

Die verhüllte Statue des Muschelläufer. © NDR Foto: Corinna Below
Der Muschelläufer steht sei knapp zwei Jahren im hintersten Winkel eines Bauhofgeländes.

Zusammen mit ihrem Mitarbeiter Matthias Seehaase will sie sich ihn jetzt angucken. Sieglinde Thies kennt die Figur, seitdem sie 2005 nach Ahrensburg kam. Jetzt will die Stadt den Muschelläufer an den Künstler zurückgeben. "Wir müssen eine Transportversicherung abschließen", erklärt Thies. "Die Versicherung will dafür Fotos vom jetzigen Zustand haben - falls etwas passiert. Damit wir das dann nachweisen können."

Geschenk an die Stadt hat schnell einige Feinde

Sechs Firmen und der Rotary Club hatten die Figur beim Kieler Künstler Martin Wolke in Auftrag gegeben. Eine Jury votierte dafür. Kosten: 25.000 Euro. Die, die den Muschelläufer der Stadt für das sogenannte Rondeel schenkten, hatten dabei nur Gutes im Sinn: Er habe in Ahrensburg eine neue Heimat finden, das Rondeel zu einem besonderen Treffpunkt machen sollen. Kinder sollten auf ihm spielen können. Wer sein Ohr an die offene Muschel hielt, der konnte Meeresrauschen hören.

Ein Kunstobjekt, das polarisiert und Vandalen anzieht

Ab Tag eins wurde der Muschelläufer allerdings auch verschmäht und bekämpft. Es gab Hunderte Schmähbriefe in der Zeitung, Beschwerden bei der Stadt, eine Unterschriften-Sammlung gegen die Figur. Eine laute Minderheit fand, er passe nicht zu Ahrensburg. Die Mehrheit schwieg. Ausgewiesene Fans gab es kaum. Nur zwei Wochen nach der feierlichen Enthüllung beschädigten Unbekannte den Muschelläufer. Auch die Audio-Installation war schnell kaputt. Vandalismus wurde zum Alltag.

"An Silvester haben sie ihm mit Böllern immer die Hand gesprengt und wir mussten sie wieder mit Tape flicken", sagt Matthias Seehaase. "Meterweise Tape haben wir verbraucht," ergänzt Sieglinde Thies. Er sei auch immer wieder mit Markern beschmiert worden, einmal mit einem Hakenkreuz. Jetzt klebt noch ein Aufkleber auf seiner Wange. Gegen sein eines Bein muss jemand eine Bierflasche geworfen haben, meint Matthias Seehase. Da sei Farbe abgeplatzt. Er habe außerdem überall Risse.

Reparaturkosten überstiegen bald den ursprünglichen Preis

Immer wieder musste die Figur repariert werden - allerdings nicht ohne die Zustimmung des Künstlers, denn bei ihm liegt das Urheberrecht. Die Kosten summieren sich bis heute auf 30.000 Euro. Ahrensburg diskutierte, ob er nicht umziehen könne, etwa an den Bahnhof oder vor das Schwimmbad. Doch damit war der Künstler nicht einverstanden: Den Muschelläufer habe er explizit für das Rondeel gemacht und dort solle er auch bleiben. Die Auseinandersetzung war bald festgefahren.

Weitere Kosten verhindern

Auf dem Rondeel stehen Blumenkübel. © NDR Foto: Corinna Below
Auf dem Rondeel stehen seit knapp zwei Jahren Blumenkübel - dort, wo eigentlich der Muschelläufer stehen sollte.

Fachleute schnitten dem Muschelläufer Stücke aus dem glasfaserverstärkten Kunststoff heraus. "Die Löcher sind gemacht worden, um eine Kostenschätzung machen zu können," sagt Sieglinde Thies - um sehen zu können, wie groß die Schäden im Inneren der Figur sind. Er müsse jetzt schon wieder repariert werden, sagt sie - für weitere geschätzte 30.000 Euro.

Neu gewählter Bürgermeister einigt sich mit dem Künstler

Der Schriftverkehr zum Muschelläufer füllt mittlerweile acht Aktenordner. Der neu gewählte Bürgermeister Eckhart Boege (SPD) einigte sich nun mit dem Künstler auf einen Vergleich. "Es gab in den letzten Jahren, so wie ich das verstanden habe, große Streitigkeiten auch darum, wer die Kosten eigentlich bezahlen soll", erzählt Boege. "Das hätten wir vermutlich auch nur in einem Rechtsstreit wirklich klären und lösen können." Die Reparaturkosten muss die Stadt nun nicht mehr bezahlen und der Künstler Martin Wolke nimmt sein Werk zurück. Ein gute Lösung, findet der Bürgermeister, obwohl er bedauert, dass der Muschelläufer die Stadt verlässt.

Die letzten Schritte

Ob die Stadt die Kosten von 2.000 Euro für den Transport des Muschelläufers übernimmt, war am Montagabend Thema im Hauptausschuss. In der kommenden Woche sollen dann die Stadtverordneten abstimmen.

Sieglinde Thies vom städtischen Bauhof bedauert, dass der Muschelläufer Ahrensburg für immer verlässt. "Eigentlich ist es gut, dass die Sache jetzt ein Ende findet", sagt sie, "andererseits finde ich es schade, dass er es nicht geschafft hat." Sie hätte ihn gerne behalten. Das sieht der Bürgermeister genauso und viele andere auch. Sieglinde Thies und ihre Kollegen haben jetzt nur noch die Aufgabe den Muschelläufer ordentlich einzupacken, damit sie ihn, sobald das Okay kommt, sicher verladen und abtransportieren können.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 16.01.2023 | 19:30 Uhr

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