Tierschutz-Kontrollen: Ein System mit Schwächen
Viele Veterinärämter arbeiten am Limit - und schaffen es kaum, Routinekontrollen durchzuführen. Das zeigt eine Umfrage von NDR Schleswig-Holstein. Der Tierschutzbund fordert Konsequenzen.
Es waren schockierende Aufnahmen, die die Tierschutzorganisation "Team Tierschutz" vor einem Monat veröffentlichte: Heimlich gedrehte Videos aus einem Schweinemastbetrieb im Kreis Segeberg, auf denen zu sehen war, wie Hunderte Tiere unter unwürdigen Bedingungen gehalten wurden. Die Schweine lebten dort in einem verschimmelten, verdreckten Stall. Dem zuständigen Veterinäramt waren die Missstände zuvor nicht bekannt. Mittlerweile ist der Standort geschlossen, aber die Frage bleibt: Wie kann so etwas passieren?
System mit Schwächen erkennbar
NDR Schleswig-Holstein hat den Fall zum Anlass genommen, bei allen Veterinärämtern im Land nachzufragen, wie es um die Kontrolle des Tierschutzes in Nutztierbetrieben steht. Aus den Antworten ergibt sich das Bild eines Systems, das erkennbare Schwächen aufweist. Es ist ein System, in dem Tierschutz-Verstöße wie in dem Segeberger Mastbetrieb lange im Verborgenen bleiben können.
Ein Grund: Personalnot im Veterinäramt
So berichten mehrere Veterinärämter, sie seien personell am Limit - und kämen nur zu wenigen anlasslosen Tierschutzkontrollen, den sogenannten Plankontrollen. Der Kreis Plön beispielsweise teilt mit: "Der Personalschlüssel reicht zurzeit nicht aus, um die erforderlichen Tierschutzkontrollen durchführen zu können. Für die Kontrollen fehlt noch mindestens eine volle Stelle." Auch aus dem Kreis Segeberg heißt es: "Die Belastung sämtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fachgebietes Tiergesundheit und Tierschutz ist anhaltend sehr groß."
Geflügelpest oder Maul- und Klauenseuche frisst Ressourcen
Wie die NDR Umfrage ergeben hat, sind Stellen in mehreren Veterinärämtern aktuell nicht voll besetzt oder Mitarbeitende sind langzeitkrank. Dies ist etwa in den Kreisen Nordfriesland, Stormarn oder Herzogtum Lauenburg der Fall. Somit verteilt sich viel Arbeit auf wenige Schultern. Denn den Veterinärämtern fallen deutlich mehr Aufgaben zu, als den Tierschutz in Betrieben zu kontrollieren, darunter die Prävention von Tierseuchen wie der Geflügelpest oder der Maul- und Klauenseuche. "Da sind wir dann gezwungen, ad hoc zu reagieren", sagt Marc Cursiefen, Tierarzt und Leiter des Veterinäramts Ostholstein. "Das nimmt einiges an Zeit in Anspruch."
Kaum Zeit für anlasslose Kontrollen
Darüber hinaus, so beschreibt es der Amtsleiter, würden die anlassbezogenen Tierschutz-Kontrollen besonders viele Kapazitäten beanspruchen - etwa wenn ein Nachbar etwas Verdächtiges bemerke und das Veterinäramt darauf hinweise. Cursiefen betont: Vor allem solche anlassbezogenen Kontrollen würden dazu beitragen, schwere Missstände aufzudecken. "Die anlasslosen Plankontrollen fallen dann häufig hintenüber", sagt er. Der Veterinär meint: "Letztendlich ist eine Eins-zu-Eins-Überwachung nicht möglich. Aber klar: Mehr anlasslose Plankontrollen wären wünschenswert."
Kapazitätenmangel erhöht Risiko, dass Verstöße spät entdeckt werden
Dass angesichts der hohen Arbeitsbelastung oft nur wenig Zeit für anlasslose Routinekontrollen bleibt, spiegelt sich auch in den Antworten anderer Veterinärämter wider. Im Kreis Herzogtum Lauenburg etwa wurden im vergangenen Jahr nur knapp 0,4 Prozent der Betriebe anlasslos kontrolliert. Dabei liegt die interne Zielvorgabe laut einem Sprecher bei 10 Prozent. Der Sprecher räumt ein, es bestehe "durch eine geringere Kontrolldichte natürlich ein erhöhtes Risiko, dass Tierschutzverstöße erst spät entdeckt werden".
In manchen Regionen gar keine anlasslosen Kontrollen möglich
Im Kreis Stormarn wurden im vergangenen Jahr nur 64 solcher Routinekontrollen durchgeführt - bei mehr als 3.000 Nutztierhaltungen. Im Kreis Pinneberg waren es nur 30 Routinekontrollen - bei mehr als 3.500 Nutztierhaltungen. Die Veterinärämter der Kreise Dithmarschen und Segeberg waren sogar derart ausgelastet, dass sie überhaupt keine anlasslosen Plankontrollen durchführen konnten.
Tierschützer fordern jährliche Kontrollen
Vor diesem Hintergrund spricht der Deutsche Tierschutzbund von einem "riesigen strukturellen Problem". Die Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, Ellen Kloth, fordert, dass die Behörden personell aufgestockt werden, um mehr kontrollieren zu können: "Der Tierschutz in der Landwirtschaft hat einen zu geringen Stellenwert. Eigentlich müssten einmal jährlich in den Ställen Kontrollen stattfinden." Zudem bräuchte es regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen für Landwirte zum Thema Tierschutz, meint Kloth.
Persönliche Probleme der Betreiber oft Auslöser für Misstände
Der Veterinäramtsleiter aus Ostholstein, Marc Cursiefen, sagt: In der Regel sei nicht mangelndes Wissen der Landwirte der Auslöser für Tierleid. Tatsächlich stecke hinter gravierenden Missständen in Betrieben oft menschliches Leid - wie etwa Alkoholprobleme, Geldsorgen oder familiäre Zerwürfnisse. "Dann leiden auch die Tiere darunter, die nicht mehr entsprechend versorgt werden."
Mehr Digitalisierung als Lösung?
Um eklatante Tierschutz-Verstöße früher zu erkennen, wären laut Cursiefen eine bessere Vernetzung und Digitalisierung der Ämter sinnvoll - um große Datenmengen, etwa aus Schlachthöfen, Molkereien oder Tierkörperbeseitigungsanstalten, automatisiert auszuwerten. Auf diese Weise, sagt er, könnten Unregelmäßigkeiten in Betrieben eher erkannt werden. "Das geht zurzeit aber technisch und datenschutzrechtlich nicht. Da ist definitiv Luft nach oben."
Staatssekretärin: "Landwirte nehmen Verantwortung sehr, sehr ernst"

Das Landwirtschaftsministerium in Kiel warnt allerdings davor, landwirtschaftliche Betriebe unter Generalverdacht zu stellen. "Unsere Landwirte nehmen ihre Verantwortung sehr, sehr ernst", sagt Staatssekretärin Anne Benett-Sturies. Zugleich räumt das Ministerium ein, dass die Personalsituation in den Veterinärämtern angespannt sei: Deutschlandweit bestehe "ein hoher Bedarf an tierärztlichem Personal, welcher derzeit kaum gedeckt wird - sowohl in der kurativen Praxis als auch im öffentlichen Dienst. Dies erschwert die Besetzung offener Stellen." Das Ministerium stehe "daher im Austausch mit Berufsverbänden und Kammern, um gemeinsam Lösungen zur Personalgewinnung zu erarbeiten."
Zudem verweist Staatssekretärin Benett-Sturies auf niedrigschwellige Hilfsangebote für Landwirte. Man könne sich "vertrauensvoll bei einer Notsituation" an einen Vertrauensmann für Tierschutz wenden, betont Benett-Sturies. Tierhaltende Betriebe könnten sich "frühzeitig Unterstützung holen".
Amtsleiter: Was ist uns Tierschutz wert?
Grundsätzlich, so formuliert es der Veterinäramtsleiter aus Ostholstein, Marc Cursiefen, müssten Gesellschaft und Politik darüber entscheiden, wie viele Ressourcen in die Kontrolle des Tierschutzes fließen sollten. "Letztlich bezahlt uns ja der Staat, also der Bürger. Also muss man sich fragen: Was sollen wir leisten?" Selbst wenn die Zahl der Kontrollen deutlich steigen würde: Eine absolute Sicherheit, sagt Cursiefen, werde es niemals geben.
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