Schweinezucht in Niedersachsen: Warum Bauern in der Krise stecken
Landwirte beklagen, dass Schweinefleisch zu billig und die Bürokratie-Last zu hoch sei. Trotz der Proteste vor knapp einem Jahr und der Reaktionen aus der Politik stehe ihnen das Wasser bis zum Hals. Eine Landwirtsfamilie aus der Lüneburger Heide in Niedersachsen berichtet.
Helene Klingelhöller steht neben den trächtigen Sauen im elterlichen Betrieb. Die Tiere sind massig und stehen in diesem Bereich des Stalls in Gruppen, auf Spaltenböden - Licht dringt nur durch die Fenster in den zweckmäßigen Bau. Der Geruch der Tiere legt sich auf Kleidung und Haare der Stallbesucher. 680 Sauen leben hier, jedes Tier wirft in seinem Leben sechs- bis siebenmal Ferkel, die im Betrieb aufgezogen und zum Mäster weiterverkauft werden. "Ich möchte das Unternehmen meiner Eltern gerne weiterführen. Ich führe es in der zweiten Generation und bin stolz darauf, was aufgebaut wurde", sagt die 30-jährige Landwirtin.
Betrieb auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit getrimmt
Helene Klingelhöllers Eltern Dagmar und Andreas haben in ihrem Berufsleben zwei Schweinezuchtbetriebe in Niedersachsen aufgebaut. Alles ist auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit getrimmt: Viele Ferkel pro Wurf und hohes Gewicht beim Verkauf an den Mäster. Außerdem haben sie den gesetzlich vorgeschriebenen Platz pro Sau in der Gruppenhaltung, aber auch im sogenannten Abferkelstall, wo die Ferkel zur Welt kommen und einige Wochen gesäugt werden, penibel eingehalten - und zurzeit des Baus vor rund 15 Jahren auf maximale Auslegung geplant.
Bewegungsbuchten für Sauen: Umbau kann Millionen kosten
Doch die Ansprüche haben sich gewandelt - hin zu mehr Platz und zu mehr sogenanntem Tierwohl. Ein Beispiel: In Zukunft dürfen die Sauen, während sie ihre Ferkel säugen, nicht mehr im sogenannten Kastenstand gehalten werden. "Zukünftig bekommt die Sau eine Bewegungsbucht, wo sie sich drehen und wenden kann. Das kann sie bisher nicht", erklärt Klingelhöller. Das massige Tier könnte die noch winzigen Ferkel erdrücken - ein Kernargument für die jahrzehntelange Praxis des Kastenstands. Der soll nun aber wegfallen und durch Bewegungsbuchten ersetzt werden. Damit stehen die Betriebe vor der Herausforderung, im laufenden Betrieb die Räume komplett umzubauen. Dabei geht es um Millionenbeträge.
Hohe Hürden für staatliche Förderungen
Die Hoffnung auf politische Lösungen hat Familie Klingelhöller dabei nahezu aufgegeben. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte den deutschen Sauenhaltern eine Milliarde Euro für den Stallumbau versprochen - allerdings seien die Förderbedingungen so strikt, sagen die Klingelhöllers, dass sie für einen Betrieb wie ihren unrealistisch seien - sie müssten zum Beispiel Tiere abgeben.
Stattdessen müsste die niedersächsische Landwirtsfamilie das Geld selbst aufbringen und dafür hohe Kredite aufnehmen. Ob sie das in den nächsten zehn Jahren wirklich tun, haben sie noch nicht entschieden. "Finanzielle Aufwendungen, die wir uns nur leisten können, wenn über den Produktpreis - also das Ferkel oder das Mastschwein - das Geld wieder in die Wertschöpfungskette zurückkommt", erklärt die Jung-Landwirtin.
"Wir haben keine Möglichkeit, Preise zu verhandeln"
Allerdings: Beim Schwein sei die Wertschöpfungskette bis zum Lebensmitteleinzelhandel (LEH) besonders lang. Helene Klingelhöller erklärt: "Angefangen bei Sauenhaltung, Mast, Verarbeitung, Schlachter - und dann noch verschiedene Stufen, bis es beim LEH ankommt. Alle nehmen sich Geld raus. Wir haben keine Möglichkeit, Preise zu verhandeln." Diese werden wöchentlich festgelegt, maßgeblich sind Angebot und Nachfrage - in den vergangenen zwei Jahren hatten die Preise ein stabiles Niveau.
Noch vor drei Jahren, in der Energiekrise, hatte der Betrieb der Klingelhöllers aber pro Ferkel 15 Euro Verlust gemacht - sie überlegten aufzugeben. Auch deshalb haben in den vergangenen drei Jahren rund 20 Prozent der sauenhaltenden Betriebe in Deutschland dicht gemacht, in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Halter sogar knapp halbiert.
Fleisch aus Spanien erhöht Preisdruck
Doch das führt nicht zwangsläufig zu weniger Angebot und somit zu besseren Preisen, denn die Importe von Schlachtschweinen, Ferkeln und Frischfleisch nach Deutschland steigen. Viele Ferkel kommen mittlerweile aus Dänemark, und Fleisch kommt aus Spanien, wo die Vorschriften fürs Tierwohl laxer sind als in Deutschland.
All das erhöht den Preisdruck auf die deutsche Erzeugung so sehr, dass für Dagmar Klingelhöller nur eine Lösung bleibt: "Wir brauchen eine Bepreisung über die Kette - mit festgelegten Produktionsbedingungen, die sogar höher liegen können als das, was wir jetzt machen. Aber der Preis muss beim Landwirt, der das Geld in die Hand nehmen und investieren soll, ankommen", fordert Klingelhöller.
Sie würden also mehr für das Tierwohl tun, wenn es sich für sie lohnen würde - zum Beispiel machen sie seit drei Jahren bei der Initiative Tierwohl des Handels mit, bieten den Tieren etwas mehr Platz und Beschäftigungsmöglichkeiten wie Stroh und bekommen dafür eine Entschädigung. Das reicht aber noch nicht - der Handel, so fordert Klingelhöller, müsse verlässlichere Preise bieten.
Herkunftszeichen für Produkte aus Deutschland
Überzeugen konnten die Bauern den Handel noch nicht. Ein Ergebnis dieser Arbeit ist aber das Herkunftskennzeichen Deutschland. Das Siegel mit einem schwarz-rot-goldenen Traktor gibt es seit rund einem Jahr, alle großen Handelsketten machen mit. Den Aufkleber erhalten Produkte aus Deutschland. Sprich: Alle Verarbeitungsschritte, von der Haltung bis zur Schlachtung, müssen in Deutschland passiert sein. Bio ist das Fleisch damit nicht - aber im Vergleich zu, zum Beispiel, Spanien, sind die Vorschriften für die Haltung strenger.
Dagmar Klingelhöller hofft, dass die Nachfrage nach Fleisch aus Deutschland durch das Siegel steigen wird - und dass sie als Erzeuger auch irgendwann mehr Geld bekommen. Das ist für die Klingelhöllers unabdingbar, um ihren Betrieb weiterzuführen. Sie hofft auch auf ein Umdenken der Verbraucher, darauf dass sie bereit sind, mehr für Lebensmittel und besonders Fleisch zu bezahlen.
Versprochener Bürokratie-Abbau bleibt aus
Ein weiteres Problem ist die Bürokratie, unter der viele Landwirte leiden und die eine zusätzliche Mehrarbeit bedeutet: "Den von Özdemir versprochenen Bürokratie-Abbau hat es nicht gegeben. Wir haben keinen Abbau erfahren. Wir müssen weiter jede Tierbewegung festhalten, die Güllemenge müssen wir ganz genau dokumentieren, genauso die Medikamente - das ist viel Arbeit“, betont Dagmar Klingelhöller.