Scholz feuert Lindner: Norddeutsche Politiker loben das Ampel-Aus
Nach dem Bruch der Ampelkoalition hat Kanzler Scholz am Mittwochabend angekündigt, im Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um Neuwahlen zu ermöglichen. Norddeutsche Politiker reagierten positiv - über Parteigrenzen hinweg.
Zur Begründung seines Vorgehens sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend bei einem Statement im Kanzleramt, das Vertrauensverhältnis zu FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sei zerrüttet. Ernsthafte Regierungsarbeit sei so nicht möglich. Lindner gehe es um die eigene Klientel und um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. Die Unternehmen im Land bräuchten Unterstützung, sagte Scholz mit Blick auf die schwache Konjunktur und hohe Energiepreise. Er verwies zudem auf die internationale Lage mit den Kriegen in Nahost und der Ukraine. Scholz wollte mit Blick auch auf die Folgen des Ukraine-Kriegs ein Aussetzen der Schuldenbremse. Das lehnte die FDP ab. "Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden."
Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen." Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. Ein solches Verhalten wolle er dem Land nicht weiter zumuten.
Lindner gibt Kanzler die Schuld
Finanzminister Lindner wiederum gab dem Kanzler die Schuld. Dieser habe einen kalkulierten Bruch der Koalition herbeigeführt. Scholz habe von ihm ultimativ verlangt, die Schuldenbremse auszusetzen - damit aber hätte er seinen Amtseid als Finanzminister verletzt. "Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt. Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost", sagte Lindner. Scholz habe nicht die Kraft, Deutschland einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.
Die FDP kündigte an, auch ihre anderen Ministerinnen und Minister aus der Bundesregierung abzuziehen. Am Morgen kündigte Verkehrsminister Volker Wissing jedoch an, im Amt bleiben zu wollen. Kanzler Scholz habe ihn gefragt, ob er bereit sei, das Amt unter den neuen Bedingungen fortzuführen, sagte Wissing in Berlin. Er habe darüber nachgedacht und dies Scholz gegenüber bejaht. Weil er aber keine Belastung für seine Partei sein wolle, werde er aus der FDP austreten.
SPD und Grüne bleiben nach eigenem Bekunden Koalitionspartner - sie wollen bis Weihnachten noch mehrere Gesetze im Bundestag zur Abstimmung stellen. Scholz sagte, er wolle darüber mit Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprechen.
Fegebank: Gemeinsame Verantwortung mit Lindner nicht mehr möglich
Stabilität und Sicherheit in unsicheren Zeiten geben, in gemeinsamer Verantwortung für das Land, das sei mit Christian Lindner nicht mehr möglich, teilte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) über den Kurznachrichtendienst X mit. "Zum Wesen der Demokratie gehört der Kompromiss. Wer dazu nicht in der Lage ist, mit dem ist kein Staat zu machen."
Der Bruch der Koalition sei die logische Konsequenz aus dem Verhalten der FDP, sagte Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf dem "Hamburger Abendblatt". So wie zuletzt habe es nicht weitergehen können. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) schrieb bei Facebook, die Entlassung Lindners sei unvermeidlich gewesen. Dieser habe bei den Finanzministerkonferenzen mehr als FDP-Parteivorsitzender denn als Bundesfinanzminister agiert. Er sei dabei immer mehr zum "Dauer-Nein-Sager" geworden, "mit dem eine konstruktive Zusammenarbeit immer schwieriger wurde".
CDU-Chef Dennis Thering forderte schnelle Neuwahlen und freute sich: Der Totalausfall der Ampel stehe fest. Diese Koalition sei Geschichte.
SPD in Schleswig-Holstein: Ampel-Aus folgerichtiger Schritt
Auch Schleswig-Holsteins CDU-Generalsekretär Lukas Kilian sagte, dass Deutschland jetzt schnellstmöglich Neuwahlen und eine stabile Regierung brauche. Olaf Scholz sei von Anfang an überfordert gewesen, die Ampelkoalition zu führen.
Christopher Vogt, Fraktionschef der FDP im Landtag in Kiel, sagte, es sei offensichtlich gewesen, dass man zuletzt bei der elementaren Frage, wie man den Wohlstand in Deutschland sichern kann, nicht mehr zusammengekommen sei. Olaf Scholz habe lange überhaupt nicht erkannt, wie es um die Wirtschaft stehe. Jetzt sei es gut, dass der Weg für Neuwahlen frei ist. "Wir haben vorgeschlagen, dass geordnet und in Würde zu machen. Der Bundeskanzler hatte das Ganze offenbar schon mit einer Rede anders vorbereitet", so Vogt.
Die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli verteidigte das Vorgehen von Scholz. Die Basis für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der FDP sei leider nicht mehr gegeben, vor allem nicht mit Christian Lindner. Deswegen sei es folgerichtig, dass Bundeskanzler Scholz jetzt den Weg der Trennung gegangen sei. Grünen-Fraktionchef Lasse Petersdotter sagte, es sei gut, endlich Klarheit zur Zukunft der Ampel zu haben. "Mit der FDP war kein verantwortungsbewusster Haushalt zu machen. Ich freue mich jetzt auf einen heißen Winterwahlkampf. Ich freue mich darauf, Wahlkampf für Robert Habeck zu machen."
Weil: Koalition, die nur streitet, ist eine Belastung
"Das ist mit Sicherheit eine äußerst schwierige, aber am Ende richtige Entscheidung", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). "Es gehört zur Verantwortung eines Bundeskanzlers, nüchtern festzustellen, ob eine Koalition dem Land hilft oder nicht. In diesen Zeiten ist eine Koalition, die sich nur streitet, eher eine Belastung als eine Unterstützung." Weiter schreibt Weil, eigentlich benötige man gerade überhaupt keinen Wahlkampf, aber: "Regierungen sind kein Selbstzweck, sie müssen dem Land und den Menschen helfen." Scholz' Entscheidung sei für ihn konsequent und er habe größten Respekt und größte Hochachtung vor einem Bundeskanzler, der in dieser Weise zu seiner Verantwortung stehe, so Niedersachsens Regierungschef.
Die niedersächsischen Landesvorsitzenden der Grünen bewerten den Zeitpunkt des Bruchs der Ampel-Koalition als "extrem schlecht". Egoismus und Inszenierung seien völlig unseriös über das Wohl des Landes gestellt worden, sagte Alaa Alhamwi mit Blick auf die FDP. "Wir tragen die Verantwortung, unser Land und unsere Wirtschaft zu stärken. Denn von einer Destabilisierung würden nur die Rechtsextremisten profitieren." Seine Co-Vorsitzende Greta Garlichs erklärte: "Kompromisse sind die Natur einer Koalition, auch wenn sie mal schmerzen. Für uns als Grüne waren viele sehr schmerzhafte Punkte dabei, und dennoch haben wir uns immer wieder zusammengerauft." Wer jedoch parteipolitisches Geschachere regelmäßig über verlässliche Regierungsarbeit stelle, sollte nicht Teil einer Regierung sein.
Schwesig: Entscheidung des Bundeskanzlers ist richtig
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Manuela Schwesig hält den Bruch der Ampel-Koalition im Bund für richtig. "Die Entscheidung des Bundeskanzlers ist richtig. Er hat für Klarheit gesorgt und Klartext gesprochen. Der Dauerstreit musste ein Ende haben", sagte die SPD-Politikerin in einer Mitteilung am Abend. "Wir müssen über Strompreissenkungen und Investitionen die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze sichern. Der soziale Zusammenhalt darf nicht verloren gehen. Steuersenkungen für Reiche und Rentenkürzungen sind der falsche Weg. Wir brauchen stabile Renten", so Schwesig weiter.
Der CDU-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Daniel Peters, sagte, das Ampel-Aus dürfe die Krise in Deutschland nicht verschärfen, auch deshalb müsse es schnell Neuwahlen geben. Allerdings, so Peters, werde sich die Union bis dahin einzelne, schon geplante Vorhaben "sicher genau anschauen".
FDP in MV verteidigt Lindners Vorgehen
René Domke, FDP-Fraktionschef in Mecklenburg-Vorpommern, verteidigte das Vorgehen seiner Parteifreunde in Berlin. Eine Koalition, in der Finanzminister Lindner vom SPD-Kanzler aufgefordert worden sei, "verfassungswidrig gegen die Schuldenbremse zu verstoßen, kann keinen Bestand haben". Domke hatte bereits vor Wochen ein Ende Ampel prognostiziert. Der Weg für Neuwahlen sei jetzt nur konsequent, da die Koalition wichtige Fragen einer Wiederbelebung der Wirtschaft, der Ordnung der Migration oder der Verteidigungsbereitschaft nicht gelöst habe. Die FDP, so Domke, sei in all diesen Fragen bis an die Grenze des Zumutbaren gegangen.
Streit um Haushaltspolitik führt zu Koalitions-Aus
In dem Richtungsstreit in der rot-grün-gelben Bundesregierung ging es zuletzt vor allem um den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Konkreter Auslöser für das Aus in dieser Woche ist das jüngste Wirtschaftspapier von FDP-Chef Lindner, in dem dieser Forderungen aufgestellt hatte, die bei SPD und Grünen als Kampfansage aufgefasst wurden. Ein Verschieben der Klimaziele, Einschränkungen bei Sozialausgaben - "das musste man als Provokation sehen", sagt dazu am Abend Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Das Ampel-Aus sei "folgerichtig, aber unnötig": Es sei tragisch, zumal an einem Tag, an dem Deutschland angesichts der Wahl Donald Trumps in den USA eigentlich Handlungsstärke beweisen müsste.