Kommentar zum Ampel-Aus: "Chapeau, Herr Wissing!"
In Deutschland müssen sich Parteien immer häufiger zu komplizierten Bündnissen zusammenraufen. Deshalb gebühre Volker Wissing, der nach dem Ampel-Aus Verkehrsminister bleibt, aber die FDP verlässt, Respekt, meint NDR Chefredakteur Adrian Feuerbacher in seinem Kommentar.
Ein Kommentar von Adrian Feuerbacher, NDR Chefredakteur
Ich kann jeden verstehen, der über das Ende der Ampel erleichtert ist. Ich kenne fast niemanden, dem das Gezerre der vergangenen Monate nicht immer wieder gewaltig auf den Zeiger gegangen ist. Aber in die Erleichterung mischt sich eine Frage, die immer unbequemer wird, je länger man drüber nachdenkt: Was wird durch das Ampel-Aus eigentlich einfacher?
Immer häufiger komplizierte Parteien-Bündnisse notwendig
Wir spulen kurz zurück: Warum müssen sich in Deutschland Parteien immer häufiger zu komplizierten Bündnissen zusammenraufen? Genau: Weil die Zeit der großen Volksparteien vorbei ist, weil die Zahl der Parteien steigt - und weil es andere Möglichkeiten, Regierungen ohne die zunehmend rechtsextreme AfD zu bilden, oft nicht mehr gibt.
Was spricht dafür, dass sich das nach einer Neuwahl anders verhält? Wenig. Zur Erinnerung: In den jüngsten Umfragen kommt die AfD mit bis zu 19 Prozent auf Platz 2. Parteien, die nicht mit Rechtsextremen zusammen regieren wollen, werden sich also auch künftig zusammenraufen müssen.
Ist das schön? Ist das einfach? Nee! Gehört es zu staatspolitischer Verantwortung? Ich fürchte: Ja. Wenn man sich Bundesregierungen mit einer Außenministerin Alice Weidel, einem Finanzminister Tino Chrupalla oder einem Justizminister Maximilian Krah lieber nicht vorstellen mag, dann gibt es zum Zusammenraufen wenig Alternativen.
Zeigen Scholz und Lindner Verantwortungsbewusstsein?
Die gescheiterten Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD in Sachsen zeigen, dass das schon schwer genug ist. Ist das Ampel-Aus also eine Lösung, wird es einfacher dadurch? Was für ein Verantwortungsbewusstsein, was für eine Lösungskompetenz zeigen Olaf Scholz und Christian Lindner, wenn sie in aller Öffentlichkeit ihre gegenseitige Verachtung ausbreiten? Und das auch noch am Tag, an dem in den USA ein unkalkulierbarer Lügner Präsident wurde? Oder die Union: Was macht Markus Söder, wenn er gegen die Grünen regelrecht hetzt, eigentlich so sicher, dass er sie in einigen Monaten nicht doch für ein Regierungsbündnis gegen AfD und BSW brauchen könnte?
Held des Tages: Bundesverkehrsminister Volker Wissing
Mein Held des Tages ist daher heute tatsächlich der Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der aus der FDP austritt und in der Bundesregierung bleibt. Chapeau, Herr Wissing! Und ich sage es, wie es ist: Dass ich das über Volker Wissing sagen würde, habe ich mir noch vor Kurzem nicht vorstellen können.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.