Ukrainer im Norden sorgen sich um ihr Heimatland
Moskau und Washington sprechen wieder miteinander. Ukrainer in Norddeutschland beobachten die Annäherung der beiden Weltmächte kurz vor dem dritten Jahrestag des russischen Angriffskriegs mit sehr viel Skepsis. Sie befürchten weitreichende Konsequenzen für ihre Heimat.
Kateryna Rumyantseva blickt besorgt auf ihr Smartphone. Seit 9 Uhr morgens erhält sie Warnmeldungen über Luftangriffe auf die Ukraine mit dem Hinweis, sich in Luftschutzbunker zu begeben. Auch in der Region Charkiw, ihrer Heimat. Dort hat Rumyantsevas Vater bis vor kurzem an der Front gekämpft und erholt sich zurzeit von einer Kriegsverletzung, wartet auf einen Operationstermin im Krankenhaus. Wann immer es geht, schreiben sich die beiden Nachrichten, doch manchmal hört sie auch tagelang nichts von ihm. Die 31-Jährige ist vor 25 Jahren als sogenannte Kontingentgeflüchtete mit ihrer Mutter und Großmutter nach Hamburg gekommen. Hier bangt sie um ihre Heimat.
Rumyantseva: Gebietsabtretungen sind unvorstellbar
Die aktuellen Verhandlungen zwischen den USA und Russland bereiten ihr, wie vielen anderen, große Sorgen. Auch, weil Russland in den Gesprächen die Annexion bereits eroberter Gebiete gefordert hat. Dass die Ukraine bei den Verhandlungen ein Mitspracherecht hat, sieht US-Präsident Donald Trump offenbar nicht. Zuletzt machte Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj für die Dauer des Kriegs verantwortlich und bezeichnete ihn als "Diktator".
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Eine mögliche Annexion von aktuellen Kriegsgebieten hätte auch Auswirkungen auf die Heimat von Rumyantseva. Charkiw sei sehr nah an Russland, sagt sie. "Ich überlege gerade, was wäre, wenn Charkiw wieder okkupiert wird. Was ist, wenn meine Heimatstadt komplett unter Okkupation ist und es zu Gebietsabtretungen kommt? Das kann ich mir gar nicht vorstellen." Nicht zuletzt aus Sorge vor Folter und Vergewaltigung der Menschen in den von Russland besetzten Gebieten.
"Die Menschen wollen sich weiterhin verteidigen"
Rumyantseva glaubt daher auch nicht daran, dass sich die Ukraine einen möglichen Deal zwischen Russland und den USA gefallen lassen würde. Eine Vereinbarung zwischen den beiden Staaten werde nicht zu Frieden in der Ukraine führen, so ihre Überzeugung: "Kein Ukrainer wird einfach die Waffe zur Seite legen, weil die Russen es auch nicht machen werden und die Menschen sich weiterhin verteidigen wollen."
Hoffnung auf starke Reaktion Deutschlands
Die Hamburgerin engagiert sich auf vielen Ebenen für die Interessen ihres Heimatlandes. Sie ist Sprecherin für den Bund ukrainischer Veteranen und Familien, nimmt oft an Demonstrationen teil und hofft darauf, dass die deutsche Politik den Ernst der Lage - nun, wo die europäische Sicherheitsarchitektur einzustürzen droht - besser erkennt. Russland führe bereits einen hybriden Krieg gegen Deutschland, bisher sei nicht genug dagegen getan worden, so ihre Einschätzung. Sie fordert, dass sich Deutschland diplomatisch und militärisch stärker gegen Russland positioniert.
Angst, in welche Richtung sich alles entwickelt

Auch Rostyslav Sukennyk, der Vorsitzende des Dachverbandes der ukrainischen Organisationen in Deutschland, wirkt in diesen Tagen angespannt. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor drei Jahren organisiert er unermüdlich Hilfslieferungen aus Hamburg in seine Heimat. Selten wirkte er dabei so emotional angefasst wie diese Woche. Auch ihn verunsichern die Gespräche zwischen den USA und Russland. Er sei besorgt, wie so etwas zustande kommen könne - es herrsche ein allgemeines Unverständnis in der Community und auch Angst, in welche Richtung sich alles weiterentwickelt.
"Frieden für Europa kann es nur durch den Sieg der Ukraine geben!"
Gerade erst war Sukennyk auf der Münchner Sicherheitskonferenz - die er ironisch als "Unsicherheitskonferenz" bezeichnet. Er habe viele Gespräche am Rande der Konferenz geführt und für ihn sei das klare Ergebnis: Frieden für Europa kann es nur durch den Sieg der Ukraine geben. Dafür müsse die Ukraine schnellstmöglich der EU und der NATO beitreten. "Im Moment weiß man zwar nicht, wie die NATO sich entwickelt, aber es muss ein Bündnis geben, das für Sicherheit sorgt, der Name ist egal", so seine Meinung. Wer demokratische Werte verteidigen wolle, brauche gemeinsamen Schutz in Form einer gemeinsamen Armee.
Friedensgespräche nur mit der Ukraine und der EU
Denn alles, was mit der Ukraine passieren könnte, wird Sukennyk zufolge gravierende Folgen für Europa haben. Solange Russland nicht besiegt sei, werde es seine militärischen Bestrebungen fortsetzen. "Seit der Münchner Konferenz können wir sagen, dass der Krieg nicht mehr nur ein ukrainisch-russischer Krieg ist, sondern ein Krieg, an dem Europa beteiligt ist." Für Sukennyk steht daher außer Frage, dass nachhaltige Friedensgespräche nur unter Einbeziehung und Zustimmung der Ukraine und der EU stattfinden können.
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