Theater 2023: Antike Tragödien als Brennglas für die Zeit
Viele Theater im Norden haben 2023 auf antike Stoffe zurückgegriffen. Denn viele Probleme und Fragen der heutigen Zeit, hat es schon immer gegeben. Die Botschaften der griechischen Tragödien sind so aktuell wie eh und je.
"Es muss Frieden geben können. Und gibt es keinen Frieden, dann muss Frieden verhandelt werden" "Iokaste" am Deutschen Schauspielhaus
Selten treffen Sätze im Theater so ins Mark wie diese im Oktober. Karin Beier hat am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg die Antikenserie "Anthropolis" herausgebracht, in die Gegenwart geholt von dem Dramatiker Roland Schimmelpfennig. Im dritten Teil "Iokaste" versucht Iokaste verzweifelt zwischen ihren zerstrittenen Söhnen zu vermitteln.
Auch das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin zeigt mit der "Orestie" von Aischylos, wie viel diese antiken Stoffe uns immer noch sagen. "Es ist eigentlich ganz deutlich diese Spirale von Gewalt und Rache und Gegenrache - immer und immer wieder", sagt Regisseur Martin Nimz. "Das ist uns so immanent, dass wir aus dieser Schleife nie wieder rauskommen." Keine neue Erkenntnis, aber für viele eine aufwühlende.
"Barocco": Kunst als Form des Widerstands
Davon, wie sehr Kunst in schwierigen Situationen helfen kann, erzählt der im Exil lebende russische Regisseur Kirill Serebrennikow. In seinem überwältigenden Abend "Barocco" am Hamburger Thalia Theater geht es um den politischen Widerstand und die Freiheit der Kunst. Ein Pianist spielt gefesselt und einhändig Bach.
"Fremd" am Schauspiel Hannover
Was kann der Einzelne tun? Das ist eine Frage, die, aus ganz anderer Perspektive, auch Michel Friedman in seinem autobiographischen Gedicht "Fremd" beschäftigt. Er wuchs als jüdisches Kind in Deutschland auf, immer mit dem Gefühl, nicht dazu zu gehören. Stefan Kimmig hat den Monolog am Schauspiel Hannover für die Bühne adaptiert.
"Erst Gewalt, dann Hass, dann Worte, leere Worte: Wie lange noch? Wie oft noch?" Zitat aus "Fremd"
Wer sind wir?
Wo kommen wir her, wie bestimmt die Herkunft das Sein? Das ist nach wie vor ein großes Thema in unserer Einwanderergesellschaft. "Herkunft" nach dem Roman von Sasa Stanisic ist nach Aufführungen in Osnabrück und Hamburg jetzt auch in Lübeck zu sehen.
Romane sind oft erste Stoffwahl: So wurde "Blutbuch" von Kim de l´Horizon ebenso auf die Bühne gebracht wie "Die Wut, die bleibt" von Mareike Fallwickl, "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre oder "Andere Leute" von Dorota Masłowska.
"Traum von der glänzenden Zukunft" in Göttingen
Uraufführungen neuer Dramentexte sind deutlich seltener, obwohl auf den Spielplänen neben Roland Schimmelpfennig auch regelmäßig die Namen Elfriede Jelinek, Thomas Köck oder Sivan Ben Yishai zu finden sind. Seit einigen Jahren auch Carina Sophie Eberle: Das Deutsche Theater Göttingen zeigt - passend zum Neuen Jahr - gleich im Januar ihren "Traum von der glänzenden Zukunft".