"Das glückliche Geheimnis": Arno Geiger über das Suchen und Finden
Das Jahr fängt ja gut an, mindestens literarisch: In seinem Roman "Das glückliche Geheimnis" wühlt Arno Geiger tief in Schönheit und Schmerz des eigenen Lebens, er, der einst jahrelang im Müll wühlte.
Endlich wieder ein neues Buch von Arno Geiger! Fünf Jahre sind vergangen seit der letzten großen Tat des Österreichers, seit dem Roman "Unter der Drachenwand". Aber wenn man sieht, was er nun erzählt, versteht man gleich, dass dieser Text seine Zeit brauchte.
Ich war ein Vagabund, ein Stadtstreicher, ein Lumpensammler... Leseprobe
...und zugleich ein allseits beklatschter Schriftsteller. Einer, der am Abend im Fernsehen auftrat oder im Wiener Burgtheater - und sich am nächsten Morgen auf der Müllstation tiefstmöglich in den Papiercontainer hinabbeugte auf der Suche nach irgendwie Interessantem, nach Hinterlassenschaften, die Arno Geiger nicht zu Brei zerstampft wissen wollte: weggeworfene Bücher, Brief-Konvolute, Tagebücher.
Müll ist ein gewaltiges Thema, gewaltig nicht nur als Rohstoffressource, sondern auch als kulturelle Ressource, als Unterabteilung des kulturellen Gedächtnisses, als Niederschlag einer Kultur. Denn in den Müll kommt, was erledigt ist, und in diesem Erledigten gibt eine Gesellschaft Auskunft über sich selbst. Im Müll wohnt die Wahrheit. Leseprobe
Arno Geiger erzählt, was es bedeutet, jung zu sein
Wohlgemerkt: Das sind nachträgliche Gedanken des emeritierten Müllsammlers Arno Geiger, der jetzt, mit 54 Jahren, sein "glückliches Geheimnis" offenbart. Als er jung, mit Mitte 20, anfing, in den Papiercontainern zu wühlen, tat er das nicht aus kulturhistorischem Interesse; er tat es, weil ihn die Gelegenheit am Kragen packte, weil er die Grenzüberschreitung suchte; auch: weil sich viele seiner Funde für gutes Geld auf Flohmärkten verkaufen ließen und er, der einstweilen total erfolglose Schriftsteller, davon seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Indem Arno Geiger das alles erzählt - selbst staunend, fasziniert und manchmal auch kummervoll -, knüpft er sehr unmittelbar an seine beiden letzten Romane "Selbstporträt mit Flusspferd" und "Unter der Drachenwand" an, die ja, vor jeweils sehr unterschiedlichem Hintergrund, erkunden, was es bedeutet, jung zu sein.
"Ja, die Jugend, das junge Erwachsenenalter - zur Goethezeit war das mehr oder weniger das einzige literaturfähige Alter", sagt Geiger. "Und das liegt auch daran, dass in der Jugend so eine Unbedingtheit ist, eine im besten Sinne fehlende Abgeklärtheit, ein fehlendes Nachdenken beim Treffen von Entscheidungen. Mir gefällt das, ich finde, wir können von den jungen Leuten viel lernen."
"Das glückliche Geheimnis": Wundervoll lakonisch
Aber der Müllsammler hört irgendwann auf, jung zu sein. Kurz überlegt man, ob man es bedauern soll, dass Arno Geigers autobiografische Erzählung hier nicht endet. Plötzlich und unerwartet bricht der Ruhm ins Leben des Schriftstellers ein, als er 2005 für "Es geht uns gut" den Deutschen Buchpreis gewinnt. Und ganz ehrlich - ein paar Sätze lang flackert beim Lesen die Angst auf, hier könnte jetzt alles, was so seltsam und schön begann, in eine Happy End-Erfolgsstory mit Gebrauchsmoral abbiegen. Na gut, da muss man durch, das Leben und das Lesen gibt’s nicht angstfrei, und Geigers Glück gibt’s natürlich, wie man dann ganz schnell erleichtert merkt, nicht frei von Gebrochenheit. Für den Erfolg zahlt der Schriftsteller einen hohen Preis, und Rettung liegt vielleicht - ja, natürlich! - in der Liebe (die aber auch nicht ohne schwere Verwundungen zu haben ist), aber eben auch im Müll, in den er noch viele Jahre lang hinabsteigt, als bleibe er nur hier ganz er selbst. Es geht da nicht nur um das Wühlen im Papier, der Zauber liegt ja schon im verstohlenen Aufbruch frühmorgens, wenn Wien erwacht und Arno Geiger sich aufs Fahrrad schwingt.
Immer mehr Menschen machen sich auf den Weg zur Arbeit, immer mehr Autofahrer verlieren die Kontrolle über ihre Gefühle. Es ist jeden Montag dasselbe, die morgendliche Stoßzeit besitzt eine besondere Kraft, den Autofahrern in Erinnerung zu rufen, dass sie ihr Leben ändern sollten. Aber sie schaffen es nicht, schon seit vielen Jahren, das wirkt nachteilig auf das Befinden. Leseprobe
Wundervoll lakonisch, in einer herb-schönen Sprache, die sich einem nicht in den Kopf, sondern gleich ins Ohr setzt, erzählt Arno Geiger vom Suchen und vom Finden und vom Nocheinmalsuchen; davon, dass die Welt in all ihrem Elend doch immerhin der eine Ort ist, den wir mit offenen Augen durchstreifen, dem wir momentweise sogar etwas abgewinnen können, vielleicht gar: kleines Glück.
Das glückliche Geheimnis
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-27617-8
- Preis:
- 25 €