"Poetischer Mensch": Peter Handke feiert 80. Geburtstag
Immer umstritten, immer verehrt von den einen, verachtet von den anderen, von immenser Bedeutung für die Literatur. Nun ist der Dramatiker, Lyriker und Erzähler Peter Handke 80 Jahre alt. Ein Porträt.
"I just sing" aus dem Album "From nowhere" ist ein Song von den Troggs. 1968 moderiert Peter Handke diesen Titel im NDR-Hörfunk an. Ihm gefällt wohl nicht nur die Musik, sondern auch die Aussage. "Ich singe ja nur…": Was heißt denn das?
Singen, dichten, erzählen - das ist für Handke pure Romantik, das Feld des Geheimnisvollen, Mystischen, auf dem bodenständige Bescheidwisserei oder politische Botschaft nicht gedeihen. Mit dieser Überzeugung betritt er, noch keine 25 Jahre alt, die literarische Bühne. "Der zarte Beatle mit dem Ostereigesicht", wie ihn der Publizist Erich Kuby nennt, beschimpft zunächst die Gruppe ’47 um Hans Werner Richter, Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger für ihre "Beschreibungsimpotenz" - und dann gleich das ganze Publikum im Stück "Publikumsbeschimpfung" 1966: "Ihr Nichtsnutze! Ihr willenlose Werkzeuge! Ihr Auswürfe der Gesellschaft! Ihr Tröpfe! Ihr Flegel! Ihr Atheisten!"
Am Anfang eines literarischen Werks müssen die Erwartungen zerstört werden, um auf den Trümmern ganz etwas Eigenes aufbauen zu können: Literatur nicht als Weltverbesserung, sondern als Versuch, sich über sich selbst klar zu werden, losgelöst von den Fesseln des Realismus. Darum misstraut Peter Handke dem Roman, in dem der Autor einer Heerschar von Figuren gerecht werden muss, obwohl er doch mit sich selbst schon genug zu tun hat. "Ich glaube aber an die Erzählung", sagt Handke. "Ich glaube, dass auch das Elegische zum Menschen gehört, dass Dinge nicht so hingestellt werden können, so hehr und heroisch. Indem man sie in eine Erzählung bringt, zeigt man auch das Vergängliche, das Sterbenselende in jedem, in einem drin."
"Erschütterung durch Schönheit" ist das Ziel von Handke
So eine Erzählung ist "Wunschloses Unglück", eines seiner erfolgreichsten Werke, sicherlich sein schönstes. Ihm gehe es um "Erschütterung durch Schönheit", sagt Handke. Hier, beim Nachsinnen über seine Mutter, die sich das Leben nahm, kommt er dem menschlichen Alltagselend ganz nah, dem Elend von Anpassung und Ich-Verlust.
Ein maskenhaftes Gesicht. Nicht maskenhaft starr, sondern maskenhaft bewegt. Eine verstellte Stimme, die, ängstlich um Nicht-Auffallen bemüht, nicht nur den anderen Dialekt, sondern auch die fremden Redensarten nachsprach. Eine abgeschaute Körperhaltung mit Hüftknick, einen Fuß vor den anderen gestellt. Das alles, nicht um ein anderer Mensch, sondern um ein Typ zu werden. Handke liest aus "Wunschloses Unglück"
Handkes Ekel vor der Macht
Schon der junge Peter Handke findet, dass ihm all der Ruhm durchaus zustehe. Warum er so viel gelesen wird? Seine Antwort: "Weil ich Weltliteratur schreibe." Mit 30 ist er der bis heute jüngste Träger des Georg-Büchner-Preises. In seiner Dankesrede erklärt er: "Politische Aktionen habe ich immer nur verfolgt wie Sportreportagen; betroffen fühlte ich mich jeweils erst dann, wenn die Politik blutig wurde. Und von jeher fühlte ich mit den Opfern. Seit ich mich erinnern kann, ekle ich mich vor der Macht, und dieser Ekel ist nichts Moralisches, er ist kreatürlich, eine Eigenschaft jeder einzelnen Körperzelle."
Mitgefühl mit den Opfern, Ekel vor der Macht? Dieser Mann trägt ein großes Geheimnis mit sich herum. Dass er mütterlicherseits slowenische Wurzeln hat, mag seine große Trauer um den Vielvölkerstaat Jugoslawien erklären. Warum aber schmiegt er sich so eng an den Mächtigen Milošević an, warum hält er eine Rede am Grab des mutmaßlichen Kriegsverbrechers? Warum verharmlost er die Verbrechen an bosnischen Muslimen? All diese Diskussionen, die Ende der 90er dazu führen, dass er den Büchner-Preis wieder zurückgibt, flammen 2019 mit neuer Schärfe auf, als Peter Handke überraschend mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt wird.
Ganz "poetischer Mensch" sein
Er aber hat überhaupt keine Lust zu diskutieren, schon gar nicht mit Journalisten: "Ich steh‘ vor meinem Gartentor, und da sind 50 Journalisten, und alle fragen nur wie Sie! Und von keinem Menschen, der zu mir kommt, hör‘ ich, dass er sagt, dass er irgendwas von mir gelesen hat, dass er weiß, was ich geschrieben hab‘. Ich bin ein Schriftsteller, ich komm‘ von Tolstoi, ich komm‘ von Homer, ich komm‘ von Cervantes…"
Peter Handke will in Ruhe gelassen werden, will ganz "poetischer Mensch" sein dürfen. "Wie wird man ein poetischer Mensch? Auf alle Fragen, auch auf diese, gibt es die schöne, zutreffende Antwort: Das ist eine lange Geschichte." In seinem Falle dauert sie nun schon 80 Jahre.