Roman "Bis die Sonne scheint": Eine Familie in Geldnöten
Bisher waren Kriminalromane das Metier von Christian Schünemann. Nun ist ein sehr persönlicher Roman von ihm erschienen. In "Bis die Sonne scheint" geht es um eine Familie, die Probleme hat, über die Runden zu kommen.
Wie lange kann man sich - und seinen Kindern - etwas vormachen, so wie Siegfried und Marlene Hormann es tun? Ihre finanzielle Lage ist desolat, aber das wollen sie nicht wahrhaben. Sie reden sich ihre Situation schön, blenden die bittere Realität weitgehend aus. Aber der 15-jährige Daniel, aus dessen Erleben wir die Roman-Rahmenhandlung verfolgen, weiß längst, dass das konsumvergnügte Leben nun ein Ende hat. Bisher war ein Gang zur Bank für die Hormanns immer ein Fest gewesen.
Wir verließen die Bank mit dem schönen Gefühl, dass alles möglich sei. Wir könnten, zum Beispiel, den Topas kaufen, der uns beim Juwelier ins Auge gesprungen war. Oder uns das Teeservice zulegen und damit dem verregneten Nachmittag eine edle englische Note verleihen. (...) - alles Dinge zum Anschauen und Anfassen, die bewiesen, dass unser Lebensstandard hoch war, ständig wuchs und weit über dem lag, was andere Leute sich leisten konnten.
Gefangen in Heilshorn
1983 ist alles anders. Die Firma "Hormann Massiv Bau" ist pleite. In den 70er-Jahren hatte Daniels Vater Siegfried seine Beamtenstelle als technischer Bauzeichner bei der Bremer Oberfinanzdirektion aufgegeben, um in der freien Wirtschaft Geld zu verdienen. Ein repräsentatives Eigenheim im Grünen wird gebaut, das Platz bietet für die vier Kinder, drei Hunde - und einen Swimmingpool. Für Mutter Marlene, die eigentlich mal andere Vorstellungen von ihrem Leben hatte, bleibt die Büroarbeit im Vertrieb ihres Mannes. Und das Gefühl, hier in Heilshorn gefangen zu sein, Zweitauto hin oder her.
Wenn der R4 nicht anspringt, ist Marlene aufgeschmissen (...) Sie könnte durchdrehen bei dem Gedanken, dass sie einfach nicht wegkommt, und kämpft in diesen Momenten gegen das Gefühl, dass sie sich mit Siegfried kein Haus, sondern eine Falle gebaut hat.
Auch Daniel fühlt sich fehl am Platz. Der Besuch des französischen Austauschschülers Jean-Philippe hat ihn verwirrt. Aber für einen Gegenbesuch in Frankreich reicht das Geld nicht. Einzige Gesprächspartnerin ist Zoe, deren Eltern aus der DDR geflüchtet sind und nun getrennt leben. Zoes mondäne Mutter wird von Daniels Eltern "Doris Day von Heilshorn" genannt, weil sie gerne in ihrem Chevrolet über die B6 rauscht. Und damit leider einen Unfall verursacht, den Marlenes R4 nicht übersteht. Für die Hormanns gilt die Nachbarin längst als exzentrisch.
Wir ertappten Frau Schlüter, wie sie allein im Erfrischungsraum vom Kaufhaus Reuter in ihrer Koje saß, ein Glas Wein vor sich hatte (...) und sich hinter ihrer Zeitschrift verkroch. (...) Nichts an ihr erinnerte mehr an Doris Day. Sie war jetzt Sue Ellen.
In jeder Ecke grüßen die 80er-Jahre
Christian Schünemann stattet seinen Roman wie ein Bühnenbild mit detailliertem Zeitkolorit aus: Atari-Computerspiele und die Dose mit dem "Quality Street"-Konfekt, die neben den Fernsehzeitschriften steht, in jeder Ecke grüßen die 80er. Und er kartiert die Handlung, setzt auf lokale und regionale Wiedererkennungswerte. So träumen sich die Hormanns auf einer Fahrt in ein bekanntes Möbelhaus in Osterholz-Scharmbeck einfach mal raus aus ihren Sorgen.
Jedes Schaufenster war ein komplett eingerichtetes Zimmer und ein erster Einblick in eine Welt, in der alles neu und in Ordnung war.
Bis die Sonne scheint": Facettenreicher Familienroman
Der Roman fächert auch die weiter zurückliegende Vergangenheit auf. Geschildert wird, wie Daniels Eltern als Kinder und Heranwachsende in Bremen erlebten, wie Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg Lebensplanungen, Hoffnungen und Träume zerstörten. Und wie sich Marlene und Siegfried Hormann dann in den 60er-Jahren kennenlernten. Schünemann erzählt in einem fast chronistisch-protokollarischen, aber sehr intensiven Ton vom Überleben in Trümmern, von Schuld und vom Schweigen in den Familien. Ein facettenreicher Familienroman, in dem man den Romanfiguren ganz nahe kommt.
Und ist es Realitätsverlust oder Zuversicht? Die Hormanns machen sich auf Richtung Süden. Eben soweit "Bis die Sonne scheint". Und wo Daniel hofft, vielleicht Jean-Phillippe wiederzubegegnen.
Bis die Sonne scheint
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Diogenes
- Bestellnummer:
- 978-3-257-07331-7
- Preis:
- 25 €
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