Seelenlandschaften in karger Natur
Landschaftsfotografie kann dokumentarisch wirken: hier der Berg, dort die Ebene, Sonne und ein paar Wolken - ein Postkartenmotiv. Viele Künstler möchten die Schönheit einer Gegend zeigen, mit ihrer Fotografie zum Staunen verleiten.
Doch dies ist nicht die Absicht von Jan Scheffler. In seinem ersten Bildband "89 Licht" aus dem Norden Europas sucht und findet der Fotograf flüchtige Stimmungen, die nur wenige Augenblicke halten, bevor eine Wolke alles verändert. Scheffler zeigt damit weniger Naturlandschaften - dank der Rauheit der kargen Umgebung gelingt es ihm, ohne jeglichen Kitsch Seelenlandschaften abzubilden.
Exemplarisch dafür steht ein Foto, das nichts als das Meer und den Himmel drüber zeigt: Kalt und düster wirken Meer und Himmel. Tiefdunkelblau, fast schwarz steht die Wasserfläche als kompakter, dunkler Strich am unteren Bildrand. Mit einer scharfen, geraden Horizontlinie abgetrennt von der etwas helleren, graublauen Ferne. Über allem schwebt eine Wolkendecke, schwer und tief hängend, bedrohlich vollgesogen; schwarz-grau zusammengeballte massige Gebilde.
Keine Küste und kein Schiff sind hier zu sehen. Elementar und urgewaltig wirkt hier die Natur. Auf einmal - mehr zu erahnen als sichtbar - erspäht der Blick winzige schwarze Punkte in großer Höhe schwebend: Vögel, die über den Regenwolken kreisen.
Schneebedeckte Berge und schwere Wolken
Nur zwei Seiten weiter entsteht ein ganz anderer Eindruck des Nordens. Auch auf diesem Foto hängen schwere Regenwolken tief, ziehen über schneebedeckte Berge und den stillen Fjord. Doch jetzt zaubert die tief stehende Sonne ein feuriges Farbspektakel auf die Spitzen der langgezogenen Bergkette: orange-rosa wabert es hinter eisigem Felsgrat, leuchtend-hellblau schimmert es dort, wo die Wolken aufreißen, darüber dräut es dunkel-violett. Als ob die Schönheit noch zu steigern wäre, spiegeln sich all diese rosé-rosa-lila Farbtöne auf der windgekräuselten Wasseroberfläche zu Füßen des Fotografen.
Das Licht erleben, die Landschaft fühlen
"Es war dieses Gefühl, angekommen zu sein. Diese Sehnsucht, die in einem steckte, bekam dort das erste mal für mich ein Gesicht", beschreibt Jan Scheffler die Faszination, die der Norden Skandinaviens auf ihn ausübt. Seit 20 Jahren reist der 55-Jährige nach Norwegen, Finnland und Island. Schaut sich um inmitten der Landschaft, trinkt das Licht, erspürt den Wind, die Feuchtigkeit der Luft, die Weite vor ihm und in seinem Inneren: "Ich durchlebe diese Landschaft, erlebe dieses Licht, und das weckt dann Gefühle in mir. Dann habe ich nicht das Gefühl, ich warte, sondern das kommt dann alles zu mir. Die Bilder entstehen nicht, weil ich sie suche, sondern sie kommen."
"Die Erde atmet
Wolken
kühlen das Licht"
Jacqueline Majumder
Nur sieben Worte braucht die Künstlerin Jacqueline Majumder, um die Szenerie aus Dampf und heranschwebenden Wolken über harschem Schnee am isländischen Torfa-Gletscher zu beschreiben. "Poetische Echos" heißen ihre Verse im Buch treffend; es sind verdichtete Beschreibungen, ein Nachhall der Impressionen, die die Natur dem stillen Betrachter in die Seele senkt.
Lichtvögel
In Schattenstürzen
Pfeile
aus gefrorenem Licht
Jacqueline Majumder
Schneestaub und feinster Nebel
Schneestaub, allüberall bläulich-weiß, schwebende Kristalle und die bloße Schraffur von Bäumen am Horizont.
Schwarzflächiger Ozean, feinster Nebel über den zarten Wellen, ein Schneebrett als letzter Halt fürs Auge. Doch Licht - weit oben über den Schwebtröpfchen, Himmelsahnung.
Jan Schefflers Bilder laden ein zu Versenkung, wecken Sehnsucht nach mächtiger Einsamkeit, lichter Weite, nach Kälte und dem ausfüllenden Gefühl von Freiheit.
89 Licht
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- 89 Abbildungen, gebunden, 27,80 x 29,60 cm - mit Texten von Jacqueline Majumder und Christiane Stahl
- Verlag:
- Hatje Cantz
- Bestellnummer:
- ISBN 978-3-7757-4708-0
- Preis:
- 48,00 €