"Hitler-Tagebücher": Die Recherchen und Hintergründe

Stand: 23.02.2023 18:00 Uhr

von John Goetz

Eine der am häufigsten erzählten Szenen der "Tagebuch"-Saga ist die, wie Gerd Heidemann bei seiner Suche nach den vermeintlichen "Hitler-Tagebüchern" endlich auf einen Mann namens Konrad Fischer stößt. Es ist der 15. Januar 1981 und Heidemann weiß nicht, dass der Mann in Wirklichkeit Konrad Kujau heißt. In den vielen Büchern des "Tagebuch"-Skandal-Genres ist die Szene dieser ersten Begegnung legendär und bizarr zugleich: Heidemann taucht mit Hermann Görings Uniform und einem Koffer voller Geld auf, der "Stern"-Reporter und der ominöse Konrad "Fischer" trinken bis morgens um 3 Uhr Whiskey.

Aus den Akten geht hervor, dass Heidemann am nächsten Tag Kujau in dessen Geschäft in der Stuttgarter Aspergstraße besucht, ein mit SS- und SA-Uniformen, Nazi-Medaillen, Bierkrügen und anderen Militaria vollgestopfter Laden. Heidemann will die "Hitler-Tagebücher" für seine Zeitschrift kaufen, Kujau will seinen Anwalt hinzuziehen. Weil Kujau in seinem Geschäft kein Telefon hat, gehen sie auf der anderen Straßenseite in ein Restaurant; von dort aus ruft Kujau seinen Anwalt an. Er winkt Heidemann ans Telefon, Kujaus Anwalt Peter Stöckicht möchte mit dem Reporter sprechen:

"Am anderen Ende der Leitung stellte sich vor: 'Stöckicht'. Peter Stöckicht, zugelassen beim Land- und Oberlandesgericht in Stuttgart, hatte seine Kanzlei in der Alexanderstraße 97. Er wusste genau, was er wollte. Konrad Fischer [Kujau, Anm. JG], sein Mandant, wird ihn wohl zuvor informiert haben: Zwischen ihm und dem Verlag Gruner + Jahr werde ein Vertrag geschlossen, in der nächsten Woche Heidemann sodann die ersten drei Tagebücher Adolf Hitlers ausgehändigt erhalten… Heidemann, so schloß der Advokat, würde die endgültigen Modalitäten über seinen Mandanten Fischer erfahren." Peter Ferdinand Koch ("Der Fund")

Anwalt ist überzeugter und öffentlich aktiver Rechtsextremist

Peter Stöckicht ist nicht irgendein Anwalt. Stöckicht ist ein überzeugter und öffentlich aktiver Rechtsextremist. Von 1968 bis 1972 sitzt er als Abgeordneter der NPD im Landtag von Baden-Württemberg. Als Rechtsanwalt hat er zahlreiche prominente Rechtsextremisten und Holocaust-Leugner vor Gericht vertreten. Einer seiner Mandanten ist Michael Kühnen, den er Ende der 1970er-Jahre in einem aufsehenerregenden Verfahren, dem sogenannten "Bückeburger Prozess", verteidigt. Die Anklage: Rechtsterrorismus. Kühnen wird zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, eine nationalsozialistische Terrororganisation gegründet zu haben, die Rudolf Heß aus dem Gefängnis Spandau befreien und die KZ-Gedenkstätte in Bergen-Belsen angreifen wollte. Im Prozess wird festgestellt, dass führende Mitglieder von Kühnens "Aktionsfront Nationaler Sozialisten" einer terroristischen Organisation angehören, die sich als Nachfolgeorganisation der NSDAP versteht.

Stöckicht ist nicht nur ein Anwalt, der gewaltbereite Rechtsextremisten vertritt, er ist auch nicht nur ein prominenter NPD-Funktionär. Er hat sich selbst an Übergriffen militanter Neonazis beteiligt:

"Ein rechtsextremer Trupp von zwölf bis 15 Mann stürmte am 23. April 1969 in Karlsruhe-Durlach den Basler-Tor-Turm. Linke Jugendliche hatten die alten Gemäuer zuvor in ‚Roter Turm‘ umbenannt und dort ein antiautoritäres Jugendheim eingerichtet. Die Rechtsextremisten bemächtigten sich der roten Fahnen, zerbrachen Fahnenstangen und rissen Plakate sowie Bilder von den Wänden. Dem Partei-Stoßtrupp gehörte auch der damalige baden-württembergische NPD-Landtagsabgeordnete Peter Stöckicht an", berichtet das Portal Endstation Rechts.

Wer wusste was?

Ist es möglich, dass Kujau seinen Anwalt belog und vorgab, die "Tagebücher" seien echt, als er ihn um seine Einschätzung bat? Wie ahnungslos war Stöckicht, der Anwalt, der Kujau und dessen amerikanischen Handelsvertreter bei Dutzenden, wenn nicht Hunderten anderer Hitler-Fälschungen vertrat? Oder ist es wahrscheinlicher, dass Stöckicht selbst in den Betrug der "Hitler-Tagebücher" verwickelt und ein wissendes Mitglied der Fälscher-Werkstatt war?

Möglicherweise profitierte der rechtsradikale Anwalt

Wir können keine vollständigen und eindeutigen Beweise dafür vorlegen, dass Stöckicht in Kujaus "Tagebücher“-Produktion involviert war. Aber wir kennen ein Detail, das zumindest interessante Indizien liefert. Durch einen Hinweis des Journalisten Malte Herwig wurden wir auf die Aufzeichnung eines Telefongesprächs zwischen Heidemann und Kujau aufmerksam. In dem Telefonat erklärt Kujau gegenüber Heidemann, sein Anwalt Stöckicht habe das Papier und die Tinte der "Tagebücher" wissenschaftlich untersuchen lassen. Das nutzt Kujau gegenüber Heidemann als Argument für die Echtheit der gefälschten "Tagebücher". Stöckicht war also, zumindest laut Kujau, an der vorgetäuschten Authentifizierung der Fälschungen beteiligt. Kujau betont in dem Telefonat zweimal, dass Stöckicht eine beträchtliche Zahlung für seine Rolle beim Verkauf der "Tagebücher" verlangt habe. Wenn Kujau Heidemann nicht belügt, ist der rechtsradikale Anwalt ein Profiteur und Mitschuldiger des großangelegten Betrugsmanövers.

Weitere Informationen
Journalist Malte Herwig © Christina Körte / Molden Verlag

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Reschke Fernsehen | 23.02.2023 | 23:35 Uhr

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