"Hitler-Tagebücher": Die Recherchen und Hintergründe
Im Vorfeld des ersten Kontakts zwischen Kujau und Heidemann - und damit für die spätere Veröffentlichung der Hitler-Fälschungen - spielt der Militaria-Sammler Fritz Stiefel eine entscheidende Rolle. Wenn Kujau und Heidemann die Eltern des "Tagebuch"-Schwindels sind, dann ist Fritz Stiefel die Hebamme. In einem Zimmer von Stiefels Wohnhaus in Waiblingen, einem fensterlosen Raum mit einer stahlverstärkten Tür, sieht Gerd Heidemann 1980 zum ersten Mal einen Band der gefälschten "Tagebücher". Damit beginnt seine einjährige Suche, an deren Ende er Konrad Kujau in Stuttgart findet und mit ihm in einer langen Nacht mit viel Whiskey ihre neue, vielversprechende Bekanntschaft feiert.
Betrug an der "Hebamme" Stiefel?
In der bisherigen Erzählung über die "Hitler-Tagebücher" wird Fritz Stiefel als reicher Industrieller dargestellt, der als etwas skurriles Hobby Hitler-Devotionalien sammelt, aber im Grunde unpolitisch ist. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft Kujau im Prozess nach dem "Stern"-Skandal vor, Stiefel mit gefälschten Hitler-Dokumenten betrogen zu haben.
Doch ist damit die Rolle von Fritz Stiefel vollständig geklärt? Ist es möglich, dass Stiefel nicht nur ein vermögender Sammler war, der Kujau immer wieder Fälschungen abkaufte, sondern dass er sich auch als Kujaus Vermittler engagiert hat? War er vielleicht durch gemeinsame politische Überzeugungen mit den Rechtsextremisten Zaulich und Stöckicht verbunden? Stiefel selbst lässt auf Nachfrage ausrichten, Zaulich sei ihm "soweit nicht bekannt".
Verbindung zur AAR
Bei der Hausdurchsuchung bei Kujaus Geschäftspartner Zaulich, dem damaligen Leiter der AAR in Stuttgart, findet die Polizei unter anderem eine Schachtel mit AAR-Mitgliedsausweisen. Zaulich beschwert sich darüber, dass die Unterlagen beschlagnahmt werden sollen, obwohl sie für die Fälschungsermittlungen nicht relevant seien. Die Polizeibeamten sind daraufhin bereit, die Unterlagen gemeinsam mit Zaulich durchzugehen und nur die Materialien mitzunehmen, die mit dem Fälschungsfall in Zusammenhang stehen. Eines der Dokumente, das sie mit Zaulichs Zustimmung beschlagnahmen, ist eine Karteikarte, auf der offenbar Fritz Stiefels Name und Adresse als Mitglied der AAR aufgeführt sind.
Bei einer Vernehmung wird Stiefel dazu von der Polizei befragt. Wir zitieren aus den Ermittlungsprotokollen:
"Herr Stiefel, in einer Kartei der Partei 'AAR- Aktion Ausländerrückführung' im Besitze eines ZAULICH war ihr Name sowie ihre Anschrift vermerkt. Können und wollen Sie zu dieser Eintragung etwas sagen?" Frage der Polizei
"Für mich ist diese Tatsache erstaunlich. Ich habe in der Vergangenheit mit Herrn Zaulich und dieser Partei in diesem Punkte nichts zu tun gehabt." Antwort von Fritz Stiefel
Mitglied in rechtsradikaler Organisation
Stiefels Formulierung, er habe mit Zaulich und der AAR "in diesem Punkt nichts zu tun gehabt", ist etwas unklar. Hatte er auf andere Weise mit der AAR zu tun? Das Verhör findet Ende Oktober 1983 statt. Die AAR ist eine umstrittene Organisation, zahlreiche Kritiker fordern ihr Verbot. Einige Wochen später wird sie tatsächlich als "verfassungsfeindliche Organisation" eingestuft, verboten und aufgelöst. Fritz Stiefel tritt später als Mitglied einer anderen Rechtsaußen-Organisation auf, der "Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger". Der 1929 geborene Stiefel bestätigt eine Mitgliedschaft, obwohl er nie Soldat gewesen sei. "Er kam durch seine Sammelleidenschaft (Autogramme) zu den Kontakten und wurde eingeladen", lässt Stiefel über seinen Sohn ausrichten. Die "Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger" verschreibt sich der "Pflege soldatischer Werte und der Tradition". Mit dem "Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes" zeichnete Adolf Hitler Wehrmachts- und Waffen-SS-Angehörige aus.
Stiefel wird im Mitteilungsblatt der "Ordensgemeinschaft" im Jahr 1994 als Spender des "Hilfswerk Ritterkreuz" genannt. Auf Anfrage will er dies nicht kommentieren.
Welche Rolle spielte Kujaus Lebensgefährtin?
Auch die Rolle von Kujaus Lebensgefährtin Edith Lieblang wird in den bisherigen Erzählungen des Falles weithin ignoriert. Lieblang war Kujaus Geschäftsführerin, sie unterzeichnete auch einen Vertrag, den Kujau am 12. März 1980 mit Stiefel abschloss. Stiefel überwies Geld auf Kujaus und Lieblangs gemeinsames Konto, die meisten Schecks an die Firma E. Lieblang wurden als "Reinigungskosten" verbucht.
Kujaus und Lieblangs Reinigungsgeschäft brach 1975, 1976 zusammen. Lieblang sagte gegenüber der Polizei aus, Kujau habe danach fast ausschließlich mit "Militaria" und "sehr oft mit Hitlerbildern" Geld verdient. Edith Lieblang erklärte laut den Ermittlungsakten, dass "die Geschäfte des Kujau mit seinem Militarialaden ausschließlich über Stiefel gelaufen sind".
Stiefel war wichtiger Kunde von Kujau
Es ist unbestritten, dass Kujau vor allem Stiefel als wichtigen Kunden hatte. Und wie bei vielen Militariasammlern verwischen die Grenzen zwischen Sammelleidenschaft und ideologischem Interesse. Kujau sei, sagt Marc-Oliver Boger vom Kujau-Kabinett und der wohl beste Kenner des schwäbischen Fälschers, wie "ein Schwamm" gewesen. Was hat er von Stiefel aufgesaugt?
- Teil 1: Zahlreiche bisher unbeachtete Quellen gefunden
- ...
- Teil 7: Peter Stöckicht und der erste Band der Tagebücher
- Teil 8: Die Akte Fritz Stiefel
- Teil 9: Varianten des Geschichtsrevisionismus
- ...
- Teil 12: Männer der Fälscher-Werkstatt vom "Dritten Reich" fasziniert