Dreh für "Hitler-Tagebücher": Quatsch mit brauner Soße
Die profilierte Fernsehjournalistin Barbara Dickmann dreht 1983 für "Stern TV" einen Film über den vermeintlich sensationellen Fund. Der Journalist Malte Herwig beschreibt die Hintergründe und Recherchen.
Henri Nannen war ein großer Journalist und ein noch größerer Sprücheklopfer: "Erst die Kirche vollmachen, dann predigen" oder "Wir recherchieren überall, notfalls auch in der Hölle" sind solche journalistischen Lebensweisheiten, mit denen man bei der Verleihung des (früher einmal) nach ihm benannten Henri-Nannen-Preises und auf den Fluren der (immer noch) nach ihm benannten Henri-Nannen-Schule angeben konnte. Auch nicht schlecht: "Wer mit den Eskimos reden will, muss wohl nach Grönland gehen."
Im Frühjahr 1983 war Grönland am Tegernsee und der Eskimo war ein alter Nazi.
Barbara Dickmann von den "Tagesthemen" abgeworben
Der "Stern" war drauf und dran, die gefälschten "Hitler-Tagebücher" zu drucken und hatte die profilierte Fernsehjournalistin Barbara Dickmann von den "Tagesthemen" abgeworben, um auf den letzten Metern für "Stern TV" schnell noch einen Film über den sensationellen Fund zu produzieren.
Publicity für die weltweite Vermarktung der Hitler-Story erhoffte sich der Verlag. "Ich mache keinen Werbefilm", dachte sich Dickmann, "ich mache eine journalistische Dokumentation."
"Stern"-Spezialist Heidemann hat viele Nazi-Kontakte
Am Tegernsee klopfen sie und "Stern"-Reporter Gerd Heidemann bei einem der Kronzeugen für die "Stern"-Geschichte an: Hitlers-Chefpilot Hans Baur, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS a.D., soll vor der Kamera erzählen, wie das war mit der abgestürzten Führermaschine des Piloten Gundelfinger, in der sich die Tagebücher angeblich befunden hatten.
Heidemann ist beim "Stern" der Spezialist für Eskimos. Er hat ein prall gefülltes Adressbuch mit Kontakten alter Nazis. Er hat den Kriegsverbrecher Klaus Barbie in Südamerika interviewt und ehemalige SS-Generäle auf seiner Göring-Jacht im Hamburger Hafen hofiert.
Wohnung des Kronzeugen voller Nazi-Erinnerungen
Als sie Baurs Haus betreten, bemerkt Dickmann sofort die Galerie silberner Bilderrahmen auf dem Kaminsims: Baur mit Hitler, mit Göring, mit anderen NS-Größen. An der Wand sieht sie Urkunden und Treueschwüre auf den Führer. Schnee von gestern. Eishauch der Geschichte. "Na, wunderbar, das dreh ich alles", denkt sich Dickmann.
Plötzlich klingelt das Telefon, und Dickmann hört, dass es Ärger gibt. Ob Baur wahnsinnig geworden sei, schimpft der Anrufer, ein Fernsehteam ins Haus zu lassen und dann noch die Dickmann. "Der hat ihn unheimlich fertig gemacht und gesagt: Er darf kein Team reinlassen und keinen Meter drehen lassen, bevor er nicht da ist." Über Nacht kommt der mysteriöse Aufpasser angereist und verhandelte mit Heidemann und Baur über die Bedingungen, damit der Dreh überhaupt stattfinden kann.
Dreh unter höchster Geheimhaltung
Da man beim "Stern" um jeden Preis vermeiden will, dass vor dem Erscheinen der Weltsensation irgendetwas bekannt wird, dreht Dickmann unter höchster Geheimhaltung mit einem internationalen Team, zu dem auch ein israelischer Kameramann gehörte. Erste Bedingung von Baur und seinem Aufpasser: Der jüdische Kameramann darf nicht ins Haus. Gerd Heidemann hat eine Begründung für den unerhörten Vorgang, erinnert sich Dickmann: "Ein israelischer Kameramann könnte irgendwas erzählen, da kann man sich nicht drauf verlassen, schon gar nicht wenn der bei Baur und den ganzen großkopfigen Nazis dreht."
Heidemann erinnert sich heute nicht mehr an den Kameramann. Er wisse nur, "dass das Filminterview mit General a.D. Hans Baur ohne Komplikationen durchgeführt wurde", teilte er dem NDR mit.
Als sie am Tag darauf mit einem anderen Kameramann wieder in Baurs Wohnzimmer sitzt, wundert sich die Journalistin: Die Nazi-Galerie ist auf einmal verschwunden. "Schade", denkt sich Dickmann. Hätte sie am Vortag nur eine kleine Kamera mitgehabt, dann hätte sie das heimlich drehen können. Ihr Eindruck von Baur: "Er war natürlich ein Nazi erster Güte, ist ja klar." An solchen Nazis hatte man im Verlag Gruner+Jahr gerade großen Bedarf, und wer mit den Eskimos reden will, muss halt nach Grönland gehen.
Gespräch über NS-Zeit bei Tee und Plätzchen
Grönland ist kalt, aber Barbara Dickmann ist Profi, also filmt sie weiter für den "Stern". Bei Karl Wolff, dem ehemaligen General der Waffen-SS und Stabschef von Heinrich Himmler, wird es ihr doch unheimlich. "Ich saß am Küchentisch, und der Herr Wolff erzählte dann aus der ganzen Zeit und die Tochter hat uns Tee gemacht und ich saß da und aß ihre selbstgebackenen Plätzchen. Und dann so zwischendrin habe ich mir gedacht: Was machst du da eigentlich? Du sitzt da ganz gemütlich mit einem der höchsten Offiziere von Hitler und lässt dir da Tee einschenken."
Doch anders als Gerd Heidemann, der den SS-General "Wölffchen" nennt und als Trauzeugen auf seine Hochzeit einlädt, wird Barbara Dickmann ihre professionelle Distanz nicht verlieren.
"Stern"-Reporter Heidemann schweigt zu seinen Quellen
Nirgendwo wird das deutlicher als in dem Interview, das Dickmann für die Dokumentation mit dem Helden der Geschichte führt, dem Finder der "Hitler-Tagebücher": Gerd Heidemann. Immer wieder bohrt sie nach, fragt den Starreporter nach seinen Quellen. Doch der schweigt und beruft sich auf den Quellenschutz. "Er hat immer gesagt: 'Dazu kann ich nichts sagen'."
Obwohl Dickmann zu den wenigen gehört, die in das Geheimprojekt eingeweiht sind, halten Heidemann und Thomas Walde, der Ressortleiter Zeitgeschichte beim "Stern", sie auf Distanz. Sie darf filmen, wie Heidemann die Tagebücher aus dem Safe einer Züricher Bank holt. "Aber ich durfte sie nicht anfassen oder aufblättern." Stattdessen bekommt sie später einige Zitate zum Abfilmen vorgelegt, die Thomas Walde persönlich ausgesucht hat.
Misstrauen bei Dickmann: "Passagen ziemlich schwach"
Schon die wenigen Ausschnitte, die Dickmann filmen darf, machen sie misstrauisch. Sie findet die ausgewählten Passagen "ziemlich schwach". Neue Erkenntnisse über das Dritte Reich, über Judenvernichtung und Kriegsgeschehen? Fehlanzeige. Stattdessen: Hitlers Privatmeinung zu den Novemberpogromen 1938 (pure Geldverschwendung) oder zum Holocaust (Himmler ist schuld) und ein Schlüssellochblick ins Führer-Schlafzimmer (Eva hat eine Scheinschwangerschaft). Eine braune Wundertüte - wie gemacht für eine Illustrierte. Das Hitler-Bild, das aus diesen "Tagebüchern" erscheint, ist ein anderes als das der Geschichtsbücher: Es zeigt den "Führer" als Menschen.
Irgendwann wird es Dickmann zu bunt. Als sie am Abend nach dem Dreh durch Zürich laufen, zeigt Heidemann auf die israelische Botschaft und erklärt, dort im Keller sitze Hitlers Sekretär Martin Bormann und werde vom Mossad bewacht. "Da hab ich gesagt: Jetzt reicht's aber." Schließlich hatte der "Stern" selbst berichtet, dass Bormann bereits 1945 in Berlin umgekommen sei.
Chefredakteur Koch beschwichtigt Dickmann
Als Heidemann darauf beharrt, vor Kurzem noch selbst mit Bormann telefoniert zu haben, hat Dickmann genug. Sie ruft "Stern"-Chefredakteur Peter Koch in Hamburg an und teilt ihm mit, dass sie die Dreharbeiten abbricht. Koch versucht, sie zu beschwichtigen: So sei der Heidemann halt, der nehme die Leute gern auf den Arm.
Heidemann aber meint es ernst. Auf Nachfrage erklärt er heute gegenüber dem NDR, er habe Barbara Dickmann damals nur erzählt, was ihm der Waffenhändler Medardus Klapper über Bormanns Verstecke berichtet habe.
Widerwillig entschließt sich Dickmann, weiterzudrehen. Aber die Skepsis gegenüber dem Helden ihres Filmes dringt ihr aus jeder Pore, während sie ihn vor der Kamera interviewt.
Ausgerechnet 50 Jahre nach Hitlers Machtergreifung
Dickmann ist misstrauisch, warum Hitlers angebliche Tagebücher ausgerechnet zum 50. Jahrestag der Machtergreifung auftauchen. "Glauben Sie nicht", fragt sie Heidemann, "dass man Sie als Vehikel benutzt hat, um diese Bücher zu veröffentlichen?" Die bürokratische Antwort des "Stern"-Reporters: "Dann hätte man sie doch pünktlich zum 30. Januar 1983 veröffentlichen müssen!"
Der Satz zeigt, was passiert, wenn Vermarktung und Verkauf einer publizistischen Sensation wichtiger werden als ein zweifelsfreier Faktencheck. Wenn der Finder wichtiger wird als der Fund. Als Barbara Dickmann dem "Stern"-Gründer im Flur begegnet, fragt Nannen sie, ob sie denn glaube, dass die Tagebücher wirklich echt sind. Dickmann ist entgeistert: "Das müssen doch Sie wissen!"
Sie fragt sich, ob die "Stern"-Chefredakteure Peter Koch und Felix Schmidt sich überhaupt der Wirkung bewusst sind, die eine Veröffentlichung von "Tagebüchern" Adolf Hitlers in der rechtsxtremen Szene der Bundesrepublik Anfang der 1980er-Jahre haben würde.
Harpprecht warnt vor neuer Legendenbildung
Dickmanns Co-Autor Klaus Harpprecht scheint der Einzige zu sein, der ihre Zweifel teilt. Der renommierte Journalist und ehemalige Redenschreiber von Willy Brandt ist mit einer Auschwitz-Überlebenden verheiratet und über jeden politischen Zweifel erhaben. Er hat für die "Stern"-Dokumentation Interviews geführt und einen Kommentar gesprochen, der am Ende des Films laufen wird.
Darin warnt Harpprecht vor der Gefahr, die von dem Einblick in das Seelenleben des Diktators Adolf Hitler ausgeht: "Der nette, der fürsorgliche, der menschliche Hitler. Das kann der Ansatz einer neuen Legendenbildung, die Ouvertüre einer Verklärung sein. Eine Stimmung, die danach drängt, scheint sich vorzubereiten, auch bei manchen Jungen."
Gruner+Jahr hält Fälschungen unter Verschluss
Es ist durchaus denkbar, dass die "Hitler-Tagebücher" des "Stern" den deutschen Geschichtsrevisionismus der 1980er-Jahre beflügelt hätten, wären sie nicht bald als Fälschung aufgeflogen und zurück in einen Safe im Keller des Verlagsgebäudes von Gruner+Jahr verfrachtet worden. Offensichtlich werden sie lange Zeit als so toxisch bewertet, dass der Verlag Gruner+Jahr sie über Jahre unter Schloss und Riegel hält. Erst im April 2023 kündigt Bertelsmann, zu dessen Portfolio der "Stern" inzwischen gehört, an, dass die "Tagebücher" im Laufe des Jahres ans Bundesarchiv abgegeben werden. Dort sollen sie zugänglich gemacht werden.
"Hitler-Tagebücher" aus "braunem Sumpf" gequollen
Tatsächlich zeigen nun die umfangreichen Recherchen meiner Kollegen John Goetz und Julian Feldmann, wie braun der Sumpf war, aus dem die "Hitler-Tagebücher" des "Stern" quollen. Alt- und Neonazis, Waffenschieber und Kriminelle waren daran beteiligt, dass die Ausgeburt von Kujaus revisionistischer Phantasie in den Stern und an die deutsche Öffentlichkeit gelangen konnte.
Einer von Kujaus Helfern war der Rechtsanwalt Peter Stöckicht, der Mitglied der NPD war und auch den Neonazi Michael Kühnen vertrat. Ein anderer war der Stuttgarter Neonazi Lothar Zaulich, der als Kühnens Pressesprecher auftrat und Kujau in seiner Fälscherwerkstatt dabei half, sich Hitlers Handschrift anzueignen. Und der listige Hochstapler und Selbstvermarkter Konrad Kujau, den man aus lustigen TV-Auftritten bei Thomas Gottschalk kennt? Der bezeichnete sich selbst, bevor alles aufflog, als überzeugten Neonazi, besuchte seine Stammkneipe in SS-Uniform und hob die Schreibhand zum Hitlergruß.
"Stern"-Chefredaktion: Vorrangig Vermarktung im Kopf
Fest steht: Weder die Verlagsleitung noch die Chefredaktion noch Henri Nannen scheinen sich überhaupt Gedanken gemacht zu haben, mit welchen Eskimos sie es hier zu tun hatten. Im Gegenteil: Um die "Tagebücher" besser vermarkten zu können, ließ sich der "Stern" sogar auf einen Deal mit der Familie von Rudolf Heß ein: Als Gegenleistung für Informationen über Hitlers noch immer in Spandau inhaftierten ehemaligen Stellvertreter verpflichteten sich Walde und Heidemann, ein Interview mit dessen Frau und Sohn im "Stern" abzudrucken, in dem diese Hitler und Heß als Männer beschrieben, die nur den Weltfrieden im Sinn gehabt hätten.
Der Motor hinter der Geschichte war laut Barbara Dickmann vor allem eins: "Die Sensationsgier des "Stern", eine weltweit beachtete Story herauszubringen, nämlich die Schlagzeile: 'Wir haben die Hitler-Tagebücher gefunden.'"
Fast zehn Millionen D-Mark für die Fälschungen gezahlt
Dabei verfuhr der Verlag Gruner+Jahr getreu einem anderen Nannen-Spruch: "Man muss im Journalismus das Geld zum Fenster rauswerfen, um es durch die Tür mit der Schubkarre wieder reinzuholen." In der Hoffnung auf einen Kübelwagen voller Geld hatte der Verlag am Ende fast zehn Millionen D-Mark für die gefälschten Tagebücher gezahlt, um sie in alle Welt zu vermarkten.
Was aus dem Geld geworden ist, konnte auch der anschließende Prozess gegen Konrad Kujau und Gerd Heidemann vor dem Landgericht Hamburg nicht klären. Fest steht wiederum nur: Bei den Verantwortlichen von Gruner+Jahr und "Stern" scheint es niemanden interessiert zu haben, bei welchen dubiosen Typen der Lohn für ihren Knüller landet.
Dickmann und Harpprecht haken nach
Nur die beiden Filmemacher Dickmann und Harpprecht haken unbeirrbar nach, obwohl sie eigentlich bloß einen Marketingfilm für den größten Fund der "Stern"-Geschichte produzieren sollen. Harpprecht fragt Chefredakteur Felix Schmidt, ob denn mit den "Stern"-Honoraren nicht Aktivitäten finanziert werden könnten, "die weder Ihnen, noch mir, noch, wie ich hoffe, der Mehrzahl Ihrer Leser sehr sympathisch sein können". Schmidts schmallippige Antwort: "Nach den uns vorliegenden Informationen ist das unwahrscheinlich."
Die Verantwortlichen beim "Stern" scheint es nicht zu kümmern, dass die "Tagebücher" ein Bild von Hitler zeichnen, dass dubiosen Kreisen wie gerufen kommen musste. Stattdessen begnügt man sich mit einer oberflächlichen Prüfung des Materials - und nahm, was kam: ein Haufen Quatsch mit brauner Soße.
Ärger über Fraktur-Initialen: Idiot Hitler?
Als sich einer der wenigen Eingeweihten beim "Stern" über die Fraktur-Initialen aus billigem Plastik auf den Tagebüchern wundert, antwortet Heidemann, Martin Bormann persönlich habe ihm erzählt, dass sich schon "der Führer" über die Buchstaben geärgert habe, da man sie leicht als "I H" lesen könne: "Idiot Hitler".
Eine Szene, die sich selbst Helmut Dietl nicht besser hätte ausdenken können. "Die haben Glück gehabt, dass es Schtonk! gegeben hat", sagt Barbara Dickmann rückblickend. "Dadurch wurde das Ganze vom 'Stern' weggenommen und ins Lächerliche gezogen."
Henri Nannen: Titanisches Ego
Und Henri Nannen? Als Barbara Dickmann ihn später mal auf eine Aussage zu Heidemann anspricht, antwortet der "Stern"-Gründer: "Wissen Sie, Frau Dickmann, ich habe in meinem Leben so viele Geschichten erzählt, ich kann Ihnen heute gar nicht mehr sagen, welche wahr waren." Es ist die Art von charmanter Selbstironie, hinter der sich ein titanisches Ego versteckt.
Als nach dem Erscheinen der ersten beiden "Stern"-Hefte die Zweifel an der Echtheit der Hitler-Tagebücher immer lauter werden, geht Henri Nannen in einem doppelseitigen Editorial zum Gegenangriff auf die Kritiker über. Natürlich gebe es einen großen Markt mit Hitler-Fälschungen. "Ist es unbescheiden zu sagen, dass sie dem 'Stern' fast immer zuerst angeboten wurden, weil der 'Stern' die höchsten Honorare zahlt?" Solche Fälschungen habe seine Redaktion immer entlarvt und der Konkurrenz von "Spiegel", "Zeit" und "Quick" zum Druck überlassen. Aber hätte der "Stern" nicht ein internationales Historikergremium konsultieren müssen? Sinnlos, findet Nannen, denn Historiker wechselten genau so oft ihre Meinung wie Ärzte, unterlägen aber nicht der Schweigepflicht. Nur am Ende erlaubt er einen Anflug von Selbstkritik, allerdings rein rhetorisch: "Natürlich kann der 'Stern' irren", gesteht Nannen zu, nur um dann wahllos Falschmeldungen anderer Medien aus den vergangenen Jahrzehnten aufzulisten.
Kein Hauch von Selbstkritik
Kein Hauch von journalistischer Selbstkritik weht durch Nannens Text. Obwohl die Kritik am Umgang mit den "Hitler-Tagebüchern" auch in der "Stern"-Redaktion laut wurde, wischt Nannen alle Zweifel beiseite und entscheidet sich, einen vor Selbstgerechtigkeit und journalistischer Selbstüberschätzung triefenden Text zu veröffentlichen.
Auch der Satz mit den Eskimos fällt in diesem Editorial. Henri Nannen bezieht ihn auf Gerd Heidemann und dessen Nazi-Kontakte. Und wenn der "Stern" das weiter gedruckt hätte, was er da aus trüben Wassern fischte, dann hätte Hitler am Ende weiß wie der Schnee von Grönland ausgesehen.
Aber Nannens Editorial ist nie erschienen. Von der "Stern"-Ausgabe des 11. Mai 1983 existiert lediglich ein Andruck. Noch während die Walzen laufen, verkündet Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann am 8. Mai 1983, dass die "Tagebücher" eindeutig als Fälschungen entlarvt worden sind. Nannens Editorial wird eingestampft.
Film über den Fund ist heute immer noch sehenswert
Der Film aber, den Barbara Dickmann und Klaus Harpprecht damals über den Fund gemacht haben, ist noch immer sehenswert. Er ist das Gegenstück zu dem journalistischen Mackertum, das aus Nannens Editorial dröhnt.
Der Film zeigt, dass man sich als Journalistin nicht mit einer Sache gemein machen muss, auch nicht mit der eigenen. Dass man kritisch nachfragen kann, auch wenn alle wollen, dass man einen Werbefilm über Journalismus dreht. Dass Haltung manchmal dann am mutigsten ist, wenn sie sich gegen die Chefredaktion und Verlagsleitung im eigenen Haus richtet.
Es ist ein Film, den man in jeder Journalistenschule zeigen könnte. Vor allem aber in einer.