Ein Waldpark für Städter: Der Volkspark Altona
Im September 1914 ziehen rund 1.000 Männer mit Schaufeln und Äxten bewaffnet in die "Bahrenfelder Tannen". Die seit Kriegsanfang beschäftigungslosen Hafenarbeiter sollen ein ausgedehntes Waldgebiet nördlich der Trabrennbahn erschließen, in Sand, Moor und Heide Wege anlegen, Kiefern auslichten, Laubbäume pflanzen, eine der größten öffentlichen Gartenanlagen Deutschlands anlegen: den Volkspark Altona.
Ein Park zum Thronjubiläum des Kaisers
Geplant ist er schon seit Jahren. Aber erst 1913 zum 25. Thronjubiläum des Kaisers beschließt die Stadt eine erste Rate von 150.000 Mark freizugeben, um einen Kaiser-Wilhelm-Park zu schaffen. Der Monarch hat sich statt Geschenken gemeinnützige Einrichtungen gewünscht. Die Arbeiten beginnen zum Ende der großen Gartenbauausstellung, die seit Mai im Donnerspark an der Elbe stattfindet und Anregung für das große Vorhaben bieten soll. In Hamburg sind Teile des von Baudirektor Fritz Schumacher geplanten und von Gartendirektor Otto Linne ausgeführten Stadtparks inzwischen eingeweiht worden. Die Verantwortung für die Altonaer Planungen trägt Ferdinand Tutenberg. Er ist eigens für diese Aufgabe berufen worden.
Erholung und Natur für die Großstädter
Die Volkspark-Idee ist Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen. In den durch Landflucht und Industrialisierung übervölkerten Großstädten leben viele Menschen unter katastrophalen hygienischen und sozialen Verhältnissen auf engstem Raum. "Luft, Sonne und Bewegung" ist das Motto der Gartenbauer und Stadtplaner, die von der Lebensreform der Jahrhundertwende beeinflusst, Orte zur Erholung und Naturerfahrung in die Großstadt einbinden wollen. Ein Volkspark für alle Schichten der Bevölkerung, der zu jeder Jahreszeit genutzt werden kann, ist ihr Ziel. Er soll schattige Alleen ebenso wie sonnige Spielwiesen bieten, Wasserflächen und Badeteiche, Erfrischungshäuschen, Toiletten, Turnplätze, Musiktempel und Tiergehege.
So plant auch Tutenberg eine Anlage für die Altonaer Bevölkerung, die in erster Linie der Erholung dient. 200.000 Menschen leben in der preußischen Industrie- und Hafenstadt, rund 8.000 Menschen je Quadratkilometer, mehr als in jeder anderen deutschen Metropole. Zum großen Teil in grauen Mietskasernen zwischen Fabrik- und Gewerbeanlagen oder in den engen Twieten am Hafen. Unterstützung findet Tutenberg vor allem nach dem Krieg bei Oberbürgermeister Max Brauer und Bausenator Gustav Oelsner. Der betreibt eine sozialpolitisch motivierte Stadtentwicklung und bezieht den Volkspark in seinen Altonaer "Grüngürtelplan" von 1925 als Kernstück mit ein.
"Im Waldpark kann sich das Volk auf der Wiese tummeln"
"Der Waldpark zeigt nicht das wohl gepflegte zierliche Aussehen städtischer Parks mit ihren mehr künstlichen Gartenbildern und kurz geschorenen Rasenflächen, in denen das Publikum sich fein manierlich auf den Wegen ergeht und ein blumenfröhliches Kind beim Brechen einer Blume den Parkwächter fürchten muss; im Waldpark kann sich vielmehr das Volk auf der Wiese tummeln, Sport und Spiel treiben oder sich im Schatten der Bäume lagern und das Naturleben in vollen Zügen genießen." So beschreibt Tutenberg sein Vorhaben 1914.
In den "Bahrenfelder Tannen" nutzt er die natürlichen Gegebenheiten, vor allem den vorhandenen Baumbestand. Anders als Schumacher und Linne, die den Stadtpark nach geometrischen Prinzipien gegliedert haben, will Tutenberg einen weitgehend natürlichen Waldpark gestalten, das hügelige Gelände mit bis zu 30 Metern Höhenunterschieden behutsam erschließen. So haben es schon 200 Jahre zuvor die Landschaftsgärtner des Rokoko gehalten, in Waldparks bei Bayreuth oder Ritzebüttel etwa.
200 Linden an der Spielwiese
Tutenberg erinnert sich später an die Arbeiten der ersten Jahre: "In vielen Nachtstunden und orientierenden Wanderungen durch die verwahrlosten Forsten entstand mein Projekt". Von einem mit Eichen umstandenen Eingangsrondell, in dessen Mitte ein 140 Zentner schwerer Findling liegt, führt der Weg auf die große Spielwiese. Sie wird als repräsentativer Platz hergerichtet, 200 Linden ringsherum gepflanzt, eine Walderholungsstätte für Kinder eingerichtet. Aber der Krieg bindet bald alle Mittel, und schon 1915, nachdem der erste Parkteil für die Öffentlichkeit freigegeben ist, werden die Arbeiten in den "Bahrenfelder Tannen" eingestellt.
Weiterbau nach dem Krieg
Erst nach Kriegsende machen sich erneut Hunderte von sogenannten Notstandsarbeitern ans Werk, legen neue Anlagen und Reit- und Spazierwege an, pflanzen Eichen, Ahorn, Rotbuchen, Erlen, Douglasien und Robinien, um den dunklen Tannenwald allmählich in einen bunten Mischwald zu verwandeln. Als der Volkspark 1920 eingeweiht wird, hat der Kaiser, dem er einst gewidmet war, längst abgedankt. Mehr als zehn Jahre werden die Anlagen in Altona noch fortgesetzt. Zuletzt wird gar eine Blickachse durch den Wald geschaffen, in deren Endpunkt die Hamburger Michaeliskirche liegt. Dann ist der von Tutenberg "Schönheitswald" genannte Park, der aus vier unterschiedlichen Teilen besteht, endlich fertig.
- Teil 1: Ein Waldpark für Jedermann
- Teil 2: Der Volkspark früher und heute