Hamburgs umstrittener Koloss: Das Bismarck-Denkmal an der Elbe
Seit 1906 thront der riesige Granit-Bismarck über der Elbe, ab 1939 bauten die Nazis Schutzbunker ein. Er trotzte bislang allen Versuchen, ihn umzugestalten oder abzureißen. Welche Geschichte steckt hinter Hamburgs wohl größtem "Stein des Anstoßes"?
Von den einen als Kriegstreiber, "Sozialistenfresser" und Wegbereiter des Kolonialismus geschmäht, von den anderen verehrt als Vater der Sozialgesetzgebung und des deutschen Nationalstaats: Bis heute ist der frühere Reichskanzler Otto von Bismarck eine der widersprüchlichsten Figuren der deutschen Geschichte. Zahlreiche Straßen und Plätze sind nach ihm benannt, rund 150 Bismarcktürme und zahllose Denkmäler ihm zu Ehren errichtet.
Das mit Abstand größte steht in Hamburg. 34 Meter hoch, 625 Tonnen schwer, gefertigt aus Schwarzwälder Granit, steht der steinerne Koloss seit 1906 im Alten Elbpark - und seit einigen Jahren im Zentrum der Diskussion um den Umgang der Hansestadt mit ihrer kolonialen Vergangenheit.
Bismarck und der Kolonialismus
Der Reichskanzler gilt als Geburtshelfer des deutschen Kolonialreiches, war zudem eine wichtige Figur bei der Aufteilung Afrikas unter den damaligen Kolonialmächten. Dabei stand Bismarck der Gründung deutscher Kolonien zunächst ablehnend gegenüber. Bis heute ist historisch umstritten, was ihn zu seinem Kurswechsel bewog. Gesichert ist, dass die Hamburger Handelskammer bei ihm darauf gedrängt hatte, um die Landübernahmen einiger Hamburger Kaufleute wie Adolph Woermann in Afrika abzusichern. Viele Zeitgenossen sahen daher in Bismarcks kolonialer Kursänderung bereits damals "Lobbyisteneinfluss und Klientelpolitik am Werk", so der Historiker und Experte für Kolonialgeschichte, Jürgen Zimmerer.
Ein riesiger Bismarck für Hamburg
Nach Bismarcks Tod am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh ist diese Klientel - gemeinsam mit führenden Politikern - entschlossen, dem ehemaligen Reichskanzler ein Denkmal zu setzen. Mehrere angesehene Hamburger Bürger, darunter der Erste Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg, der Reeder Carl Ferdinand Laeisz und der Senator Ernst Friedrich Sieveking, bilden ein Komitee, das den Denkmalsbau vorantreiben soll.
Finanziert wird das Standbild durch Spenden. Dafür wirbt auch manche Zeitung offensiv: "Ihr frischen Knaben und lieblichen Mädchen, denen das Herz höher klopft, wenn ihr begeistert singt: Deutschland, Deutschland über alles! – jetzt öffnet eure Sparbüchsen!" - schreibt etwa der "Hamburgische Correspondent", damals eine der führende Tageszeitungen, im August 1898.
Roland-Statue über der Elbe
Als Standort einigt man sich auf den Alten Elbpark. Ein Wettbewerb wird ausgeschrieben, den der Bildhauer Hugo Lederer und der Architekt Emil Schaudt gewinnen. Ihr Entwurf sieht ein monumentales Bismarck-Standbild in der Tradition der sogenannten Roland-Figuren vor. Seit dem Mittelalter stehen diese Standbilder sinnbildlich für die Freiheit der Städte - bis heute bekannt ist der Roland vor dem Bremer Rathaus.
Kritik bei Arbeiterschaft und bürgerlichen Hamburgern
Der Reichskanzler, dargestellt als Schutzpatron Hamburgs, der die Interessen der Stadt mit denen des Reichs vereint - diese Sichtweise geht vielen bürgerlichen Hamburgern, die stets stolz auf die städtische Selbstständigkeit waren, zu weit. Sie wollen sich nicht an der mythischen Verehrung einer Figur beteiligen, die nicht für die Hansestadt, sondern für das Reich steht. Ebenfalls ablehnend zeigt sich die Hamburger Arbeiterschaft. Für sie ist Bismarck aufgrund der Sozialistengesetze, mit der dieser versucht hatte, die Arbeiterbewegung zu zerschlagen, eine Reizfigur, der sie mit Misstrauen begegnen.
Später entsteht aus der Missbilligung des Denkmals durch viele Hamburger die Anekdote, diese hätten Bismarck und seiner symbolischen Überhöhung so ablehnend gegenüber gestanden, dass die riesige Statue der Stadt den Rücken zukehre. Tatsächlich ist aber bereits im Entwurf vorgesehen, dass Bismarck zur Elbe blicken und Wacht halten solle in Richtung Elbmündung und Nordsee.
Ein steinerner Kanzler aus 625 Tonnen Granit
Drei Jahre dauert es, den Granit-Koloss zu fertigen und im Alten Elbpark aufzustellen. Knapp 15 Meter misst der steinerne Bismarck, allein das Schwert, auf das er sich stützt, ist acht Meter hoch. Um den 1,83 Meter hohen Kopf vom Ottenser Güterbahnhof auf die Baustelle zu schaffen, ist ein Gespann von 16 Pferden nötig. Mehr als eine halbe Million Mark kostet das Bauwerk - gut 100.000 Mark mehr als kalkuliert. Auf einige Extras, wie eine breite Freitreppe wird daher verzichtet, die Honorarforderungen der Architekten gekürzt.
Bismarck-Denkmal wird 1906 eingeweiht
Am 2. Juni 1906 wird das riesige Denkmal - das größte, das in Deutschland je für einen Politiker errichtet wurde - feierlich enthüllt. 1908 kommen am Sockel Männerfiguren hinzu, die die germanischen Stämme symbolisieren. Aus Geldmangel hatte man sie zunächst weggelassen und erst nach einer erneuten Spendensammlung realisiert.
Sockel: Außen steinern, innen hohl
Im Sockel selbst, direkt unter der Bismarckfigur, befindet sich ein runder, in der Mitte bis zu 15 Meter hoher Innenraum - Bismarck steht also auf hohlem Boden. Ab 1939 lassen die Nationalsozialisten in den Sockel Wände und Gewölbedecken einbauen. Unter der alten Decke wird eine Kappendecke eingezogen, der Zwischenraum mit 2.000 Tonnen Beton verstärkt. Es entsteht ein Luftschutzbunker für bis zu 900 Menschen.
Hakenkreuze und Eichenkränze im Inneren
Vermutlich während des Umbaus zum Schutzbunker oder kurz danach entstehen im Inneren Wandmalereien, die bis heute erhalten sind: Hakenkreuze, Adler, Eichenkreuze, aber auch Bismarck-Zitate. Wer sie dort wann genau angebracht hat, ist nicht mehr zu klären.
Im Zweiten Weltkrieg wird der Unterbau des Bismarck-Denkmals durch einen Bombeneinschlag in der Nähe beschädigt, 1949/1950 erfolgt eine provisorische Sanierung. Nach dem Krieg entwickelt sich der baufällige Innenraum zu einem Unterschlupf für Obdachlose. 1950 lässt die Stadt ihn schließen.
Seit 1960 unter Denkmalschutz
Als 1960 Pläne zur Internationalen Gartenschau 1963 vorsehen, das Denkmal abzureißen, um an dem Standort einen Aussichtsturm zu errichten, lässt sie das Monument kurzerhand unter Denkmalschutz stellen - und verhindert damit den Abriss.
Bei vielen Hamburgern bleibt der Riesen-Bismarck weiterhin unbeliebt. Um es den Blicken zu entziehen, lässt die Stadt rundherum Bäume pflanzen. Doch die schiere Größe verhindert, dass Bismarck ganz hinter dichtem Grün verschwindet. Ab den 1970er-Jahren beginnt es, sich zur Seite zu neigen - jedes Jahr ein Stückchen mehr. Der Sanierungsbedarf wird immer dringlicher.
Abriss oder "künstlerische Intervention"?
Als 2020 die Sanierung des Denkmals und der Parkanlage beginnt, ist die Frage, wie man mit dem historischen Erbe des Reichskanzlers umgehen soll, umstrittener denn je. Einige Initiativen rufen zum Abriss auf und fordern den Stopp der Sanierungsarbeiten. Es entsteht die Idee, den steinernen Koloss einer "künstlerischen Intervention" zu unterziehen, welche die komplexen Bezüge des Denkmals zu Kolonialismus, Nationalsozialismus, Diskriminierung und Fragen der sozialen Gerechtigkeit sichtbar machen soll.
Ideen-Wettbewerb endet ohne Sieger
Ein Wettbewerb wird ausgelobt, 78 Ideen erreichen die Jury - von plakativen Ironisierungen, die dem steinernen Bismarck ein Riesengehirn, einen Darth-Vader-Helm oder einen Federschmuck aufsetzen wollen bis hin zu hintergründigeren Vorschlägen wie dem der Künstlerin Hannimari Jokinen, die den steinernen Bismarck "zutexten" will - und zwar mit Lyrik von Menschen aus den ehemaligen Kolonialgebieten. Am Ende kann jedoch keiner der Entwürfe die weitreichenden Anforderungen der Ausschreibung erfüllen, so das Urteil der Jury - auch, weil das Bauwerk selbst nicht verändert werden darf, da es unter Denkmalschutz steht. Eine unlösbare Aufgabe, so die Jury weiter.
Sie lässt das Preisgeld unter den acht Entwürfen, die in die nähere Auswahl kamen, aufteilen. Das Bismarck-Denkmal bleibt hingegen weiter unverändert. Im Juli 2023 sind die neun Millionen Euro teuren Arbeiten zur Sanierung und Säuberung abgeschlossen.
Bismarck-Denkmal: Wie geht es weiter?
Die Kulturbehörde will nun ein koloniales Erinnerungskonzept erarbeiten, das sowohl die Bildungsarbeit zum Thema Bismarck an Schulen als auch eine Dauerausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte einschließen könnte. Außerdem sollen am Denkmal selbst weiterführende Informationen angebracht werden. Auch eine Ausstellung im Sockel sei laut Kultursenator Carsten Brosda denkbar.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Beitrags hieß es, dass das Gewölbe im Sockel vermutlich der Entlüftung diente. Dies ist nicht der Fall. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.