Als die Cholera-Epidemie in Hamburg wütete
Am 14. August 1892 hegt ein Arzt in Altona den ersten Verdacht auf Cholera. Am 23. August meldet Hamburg den ersten Fall offiziell. 8.605 Menschen sterben in der Stadt infolge der Krankheit. Hilfe kommt vom Arzt Robert Koch.
"Ich vergesse, dass ich in Europa bin." Dieses vernichtende Urteil fällt Robert Koch, Direktor des preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, über die Zustände in Hamburg, als er die Hansestadt während der Choleraepidemie im Sommer 1892 besucht. Es ist der letzte große Ausbruch dieser Krankheit in Deutschland.
Ein heißer Sommer mit niedrigem Wasserstand in Hamburg
Der Sommer 1892 ist außergewöhnlich heiß. Im August herrschen in Hamburg Temperaturen um 30 Grad. Die Pegelstände der Elbe und der Fleete sind niedrig, das Wasser ist warm und somit ideal für die Vermehrung von Keimen. Der Altonaer Arzt Dr. Hugo Simon äußert bereits am 14. August bei einem Patienten den Verdacht auf Cholera. Der Kanalarbeiter namens Sahling leidet unter starkem Brechdurchfall und stirbt kurz nach der Aufnahme ins Krankenhaus. In den kommenden Tagen häufen sich die Fälle von Brechdurchfall, wie die meisten Ärzte das Krankheitsbild in ihren Akten nennen.
Gängeviertel: "Brutstätten für jeden Ansteckungskeim"
Robert Koch erkennt schnell, dass die katastrophalen hygienischen Zustände vor allem in den ärmeren Stadtvierteln Hamburgs beste Voraussetzungen für die Verbreitung des Choleraerregers bieten. "Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, in der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße", sagt er.
Viele Hamburger leben unter erbärmlichen Bedingungen in den Gängevierteln. Für den Bau der Speicherstadt wurden zahlreiche Bewohner aus dem Hafenbereich vertrieben - und haben bezahlbaren Wohnraum in Mietshäusern rund um die Kirchen St. Michaelis und St. Jacobi gefunden. Enge Gassen, schmutzige und dunkle Hinterhöfe, feuchte Kellerwohnungen und mangelhafte sanitäre Einrichtungen bieten Krankheiten einen optimalen Nährboden.
Aale aus der Wasserleitung
Ein weiterer Schwachpunkt in der Hansestadt: Das Trinkwasser wird ungereinigt aus der Elbe entnommen. Der Bau einer Filtrieranlage - bereits 1872 angeregt - wird aus Kostengründen verschoben und befindet sich 1892 erst im Anfangsstadium. Die Entnahmestelle liegt lediglich zwei Kilometer flussaufwärts bei Rothenburgsort, sodass bei Flut das verschmutzte Hafenwasser aufgenommen wird. Nicht nur das dreckige Elbwasser läuft durch die Rohre. Zahlreiche Tiere, darunter Aale, kommen aus den Wasserleitungen. Ganz anders sind die Zustände im benachbarten Altona. Seit 1859 reinigt eine Sandfilteranlage bei Blankenese das Trinkwasser. Der Nutzen zeigt sich schnell: In Altona sterben nur wenige Menschen an der Cholera.
Cholera-Warnung kommt zu spät
Nach den ersten Fällen bleiben geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit zunächst aus. Denn die Verantwortlichen zögern lange, den Ausbruch der Cholera bekannt zu geben. Sie fürchten wirtschaftliche Einbußen mehr als die Seuche. Zudem sind viele Hamburger Mediziner nicht mit dem neuesten Stand der Wissenschaft vertraut. So bittet Medizinalrat Johann Caspar Theodor Kraus den Leiter des Krankenhauses Eppendorf, Dr. Theodor Rumpf, kein Aufsehen zu erregen. Rumpf, der ein Anhänger des Bakteriologen Kochs ist, scheitert zunächst am Nachweis des Choleraerregers.
Schließlich gelingt dem Bakteriologen und Pathologen Dr. Eugen Fraenkel am 22. August die Isolierung der Bakterienkultur. Obwohl nun der wissenschaftliche Nachweis der Cholera erbracht ist, spricht Senator Gerhard Hachmann weiter lediglich von einem Verdacht. Dem US-amerikanischen Vizekonsul Charles Burke versichert er sogar, in Hamburg gebe es keine Cholera. Dementsprechend laufen die Auswanderer-Schiffe zunächst weiter nach New York aus. Erst am 23. August 1892 meldet die Hansestadt den Ausbruch der Epidemie dem kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin. Tags darauf bestätigt Koch als Vertreter der Reichsregierung vor Ort die Meldung.
Cholera-Epidemie treibt "Tor zur Welt" in die Isolation
Während viele wohlhabende Hamburger die Stadt verlassen, versuchen die Armen, sich so gut es geht zu schützen. Doch die engen, unhygienischen Wohnbedingungen und mangelnde Aufklärung erschweren eine effektive Bekämpfung der Cholera. Die Medizinalbehörde verteilt Zettel mit Verhaltensregeln, Fasswagen verteilen abgekochtes Wasser, Garküchen bieten auf öffentlichen Plätzen bakterienfreie Mahlzeiten an. Auf Kochs Befehl hin werden die Schulen geschlossen. Handel und Verkehr kommen zum Erliegen. Die Hansestadt, die sich so gern Tor zur Welt nennt, ist isoliert.
Hafenarbeiter für Desinfektion und als Totengräber im Einsatz
Die nun arbeitslosen Hafenarbeiter finden Beschäftigung auf dem Friedhof oder bei Desinfektionskolonnen. Mit verschiedenen Chemikalien wie Chlorkalk, Karbol, Lysol und Kreolin desinfizieren sie Straßen und Häuser. Tag und Nacht heben 125 Arbeiter neue Gräber auf dem Ohlsdorfer Friedhof aus. Oft werden die Toten in Massengräbern beerdigt. Allein am 27. August sterben 441 Cholera-Kranke. Zehn Wochen lang wütet die Seuche. Vereinzelte Todesfälle treten noch bis Februar 1893 auf. Insgesamt erkranken in Hamburg 16.596 Menschen, 8.605 von ihnen sterben. Zwar gibt es auch andernorts in Deutschland Cholera-Fälle, doch keine Epidemie verläuft so dramatisch wie die in Hamburg. Denn in anderen Städten sind die hygienischen Bedingungen wesentlich besser. Und auch die Behörden ergreifen bei Bekanntwerden der ersten Fälle rigoros Gegenmaßnahmen.
Keim gelangte vermutlich aus Russland nach Hamburg
Für den Ausbruch der Cholera machen die Politiker Osteuropäer verantwortlich, die in großen Zahlen über Hamburg nach Amerika auswandern. Vor allem in Russland kommt es im 19. Jahrhundert immer wieder zu Ausbrüchen der Cholera. Nun wird den osteuropäischen Emigranten das Betreten preußischen Bodens verboten. Auch die Hamburger Grenzen werden geschlossen, zudem dürfen die Russen die Auswanderer-Baracken am Amerikakai nicht verlassen. Die Reederei Hapag, die mit den Auswanderer-Schiffen ein Vermögen verdient, drängt auf eine schnelle Wiederaufnahme des Transitverkehrs. Ab 1893 erlaubt der Senat wieder die Einreise von osteuropäischen Auswanderungswilligen nach Hamburg. Allerdings finden nun bereits an den Grenzen medizinische Kontrollen und Desinfizierungsmaßnahmen statt.
Senat trifft Maßnahmen
Neben dem Tod vieler Menschen hat die Stadt Millionenverluste in der Wirtschaft zu beklagen. Die Politik zieht die Konsequenzen und trifft zahlreiche Maßnahmen, um eine erneute Epidemie zu vermeiden. So wird das Filtrierwerk der Hamburger Wasserwerke auf der Elbinsel Kaltehofe bei Rothenburgsort 1893 fertiggestellt. Wenig später nimmt eine Müllverbrennungsanlage ihren Betrieb auf. Die Gängeviertel werden saniert. Zudem erlässt die Stadt neue Baugesetze, um hygienischere Wohnverhältnisse zu fördern. Auch die Bedingungen für Auswanderer bessern sich. 1906 ersetzen die neuen Auswandererhallen auf der Veddel die alten Baracken am Amerikakai. Sie bieten mehr Platz und bessere Hygiene.
Bernhard Nocht wird Hafenarzt
Bernhard Nocht tritt am 1. April 1893 das neu geschaffene Amt des Hafenarztes an. Der Schüler Robert Kochs soll auf die Einhaltung hygienischer Vorsichtsmaßnahmen achten und gegebenenfalls frühzeitig Alarm schlagen. Im Oktober 1900 übernimmt der Tropenmediziner das Amt des Direktors und Chefarztes am neu gegründeten Institut für Schiff- und Tropenkrankheiten. Heute ist das Bernhard-Nocht-Institut eine der weltweit führenden Institutionen für Tropenmedizin.