Benno Ohnesorg: Sein Tod verändert die Bundesrepublik
Ein Polizist erschießt den Studenten Benno Ohnesorg 1967 bei einer Demo in Berlin. Der Tod des 26-Jährigen wird zum Symbol für die zunehmende Politisierung der Studentenbewegung. Wer steht hinter der Symbol-Figur?
Im Frühsommer 1967 besucht der Schah von Persien zusammen mit seiner Frau die Bundesrepublik. In West-Berlin kommt es am 2. Juni zu heftigen Protesten gegen den umstrittenen Herrscher, dem Unterdrückung der Opposition und Folter vorgeworfen wird. Während das Kaiser-Paar mit Bundespräsident Heinrich Lübke eine Opern-Vorstellung besucht, demonstrieren vor den Türen rund 2.000 Menschen, vor allem Studierende der Berliner Hochschulen.
Benno Ohnesorg fällt brutalem Polizeieinsatz zum Opfer
Die Situation ist zunächst friedlich. Doch dann kippt die Stimmung, wohl auch, weil Gehwege von Demonstrierenden blockiert sind und Schah-Anhänger für Provokationen sorgen. Die Polizei geht plötzlich mit Schlagstöcken gegen die Demonstrierenden vor, treibt sie durch die Straßen, setzt Wasserwerfer ein und verprügelt immer wieder wehrlose Menschen.
Als der 26-jährige Student Benno Ohnesorg in einem Hinterhof zu schlichten versucht, wird er zunächst von drei Polizisten zusammengeschlagen, dann aus kurzer Distanz in den Hinterkopf geschossen. Er stirbt wenig später im Krankenhaus.
Wer war Benno Ohnesorg?
Obwohl sein Tod weitere Proteste nach sich zieht und zur Ausweitung der Studentenbewegung führt, ist jahrzehntelang nur wenig über Benno Ohnesorg bekannt. Der mittlere von drei Brüdern wird am 15. Oktober 1940 in Hannover geboren. Als er neun Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Weil das Geld knapp ist, verlässt er die Schule nach der Mittleren Reife und macht eine Ausbildung zum Schaufenstergestalter. Doch Benno Ohnesorg hat höhere Ziele.
Abitur in Braunschweig
Er interessiert sich für Lyrik, besucht Gemälde-Galerien und übt sich in künstlerischen Techniken wie Linolschnitt und Zeichnungen, möchte eigentlich Kunstlehrer werden. Deshalb bewirbt er sich nach der Lehre beim Braunschweig-Kolleg, einer Institution der Begabtenförderung, um das Abitur nachzuholen. Weil er zu jung ist, muss er ein Jahr auf die Zulassung warten. Währenddessen reist er viel, lebt von Gelegenheitsjob, arbeitet etwa als Helfer bei der Weinernte in Frankreich.
Ohnesorg und Uwe Timm: Schreiben und debattieren
Zwei Jahre dauert die Schulzeit in Braunschweig, bis zum Frühjahr 1963. Während dieser Zeit wohnt er im Kolleg, ein stiller Einzelgänger, der Sartre und Beckett liest und sich zumeist etwas abseits von den anderen hält, wie es der spätere Schriftsteller Uwe Timm, ein Mitschüler Ohnesorgs, beschrieben hat. Die beiden sprechen über Kunst, zeigen einander ihre Schreibversuche, über die sie lange diskutieren. Beide sind hungrig nach Bildung und versprechen sich von der Beschäftigung mit Kunst und Kultur ein anderes Leben.
Ohnesorgs Studenten-Zeit in Berlin
Weil ihn die Berliner Kunsthochschule nicht annimmt, studiert Ohnesorg an der Freien Universität Germanistik und Romanistik. Sein Berufsziel nun: Gymnasiallehrer. Oft fährt er in den Osten der geteilten Stadt, um sich am Berliner Ensemble Theaterstücke von Bertolt Brecht anzusehen. Er ist Mitglied der evangelischen Studentengemeinde und Pazifist. Auch für Politik interessiert er sich, nimmt an einer Demonstration gegen die umstrittene Bildungspolitik teil, tritt für Abrüstung ein und kritisiert in Gesprächen die Ungerechtigkeit in den Ländern der "Dritten Welt". Seinem Bruder berichtet er von zunehmender Polizeigewalt in Berlin, wie es der Journalist Uwe Soukup vor einigen Jahren für sein Buch "Der 2. Juni 1967" recherchiert hat.
Sechs Wochen vor der Demonstration gegen den Schah-Besuch heiratet Benno Ohnesorg und lebt mit seiner schwangeren Frau Christa in einer großen Wohnung im Berliner Stadtteil Wilmersdorf zur Untermiete. Sie überlegen, Berlin zu verlassen und die Prüfungen an einer anderen Universität abzulegen, etwa im ruhigeren Göttingen.
Ohnesorg stirbt durch eine Polizeikugel
Am Abend vor der Oper ist Benno Ohnesorg zunächst nicht in die Kämpfe mit der Staatsmacht verwickelt. Im Gegenteil soll er knüppelnde Polizisten zur Rede gestellt und mäßigend auf studentische Steinewerfer eingewirkt haben. In der Krummen Straße trennt er sich von seiner Frau, die sich vor dem Tumult nach Hause flüchtet, und eilt einem Demonstranten zu Hilfe, den Polizisten in einen Hinterhof verfolgen. Wenig später ist Benno Ohnsorg tot, aus der Nähe und hinterrücks erschossen von dem Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras, angeblich aus Notwehr.
Studentenproteste weiten sich nach Ohnesorgs Tod aus
Der 2. Juni 1967 wird damit zur Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Ohnesorgs gewaltsamer Tod schockiert, empört und politisiert die Studierenden. Fast die Hälfte der westdeutschen und Westberliner Studierenden nimmt an öffentlichen Trauerkundgebungen für Benno Ohnesorg teil. In den folgenden Monaten nehmen die Proteste überall zu. Zwar richtet sich die Kritik schon länger gegen die verkrusteten Strukturen an den Universitäten, fordern die Studenten zeitgemäßere Studien-Inhalte und gerechtere Bildungschancen. Aber jetzt rebellieren sie auch zunehmend gegen die politischen Zustände: die Große Koalition, die mangelnde Aufarbeitung der Nazi-Zeit, den Vietnamkrieg der USA.
Trauerfeier und Kundgebung in Hannover
Ein Konvoi von rund 200 Autos überführt den Sarg mit Ohnesorgs Leiche nach Hannover, wo am 9. Juni die Beerdigung auf dem Friedhof Bothfeld im Kreis der Familie stattfindet. Zur gleichen Zeit ziehen Tausende Menschen, vor allem Studierende, schweigend durch die Innenstadt. Am Abend versammeln sie sich in der Stadionsporthalle. Prominente linke Professoren und studentische Aktivisten wie der Politologe Wolfgang Abendroth, der Philosoph Jürgen Habermas und der Studentenführer Rudi Dutschke sprechen auf dieser berühmt gewordenen Kundgebung - einer Art Gründungsveranstaltung der sogenannten politisierten Gegenöffentlichkeit.
Die Polizei vertuscht die Tat
In der Folgezeit werden die Proteste der Studierenden radikaler - auch, weil führende Politiker weiterhin autoritär auftreten, allen voran der Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD), der ihnen die Schuld am Tod Ohnesorgs gibt. Außerdem spricht ein Berliner Richter den Täter Kurras in mehreren Prozessen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Im Verfahren wurden zuvor offenbar Beweise durch die Polizei manipuliert, Aussagen unterdrückt und vor allem Tatsachen verschleiert, wie Ermittlungen der Bundesanwaltschaft laut einem Bericht im "Spiegel" 2012 bestätigten.
Der damalige Rechtsanwalt Otto Schily, der Benno Ohnesorgs Vater als Nebenkläger im Prozess gegen Kurras vertritt, spricht später von "Vertuscherei" und davon, dass sein Glaube an die Rechtsstaatlichkeit erschüttert wurde. Das gilt für viele Angehörige der sogenannten 1968er-Generation, die nun in eine kritische Distanz zum Staat und seinen Vertretern geraten.
Der Täter war ein Stasi-Spitzel
Die Vorgänge vom 2. Juni 1967 sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Der Täter Kurras zeigt offenbar keine Reue und hält an seiner Notwehr-Behauptung fest, bis er 2014 stirbt. Dass er Mitglied der SED und ein Top-Agent der Stasi war, wie fünf Jahre vor seinem Tod bekannt wurde, führt jedoch nicht zu einer Neubewertung der Studentenbewegung. Denn eine Verwicklung des DDR-Geheimdienstes kann nicht nachgewiesen werden.
Ohnesorgs Tod und die Folgen
Der Tod von Benno Ohnesorg wird zum Katalysator der Studentenbewegung. Auch wenn deren Forderungen zum Teil radikal sind und die Proteste nach einigen Jahren wieder verebben, wirken sie bis heute nach. Das Obrigkeitsdenken früherer Zeiten ist großteils verschwunden, in den staatlichen Institutionen herrscht längst ein demokratischeres und liberaleres Klima geworden. Die Freiheitsrechte der Menschen sind gestärkt und das Leben ist insgesamt vielfältiger geworden.