Anton Walter Freud: Vom Flüchtling zum Nazi-Jäger
Anton Walter Freud war der Enkel von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Die jüdische Familie floh 1938 von Wien nach England. Für die britische Armee klärte Freud in der "War Crimes Investigation Unit" NS-Kriegsverbrechen auf.
Der Weg zum Kriegshelden ist kein leichter für Anton Walter Freud. Der Nachkomme aus der Wiener Großfamilie Freud erlebt als 17-Jähriger die Flucht aus seiner Heimat Österreich nach England. Drei Jahre später wird er mit dem Einmarsch Deutschlands in Frankreich zum "Enemy Alien" erklärt, zum "feindlichen Ausländer", nach Australien deportiert und dort interniert. Anfang der 40er-Jahre zurück in England, wirbt der britische Geheimdienst Special Operations Executive (SOE) Freud als Agenten an. Der Beginn seiner Karriere als Widerstandskämpfer. Seine Arbeit als Ermittler nach Kriegsende auf der Jagd nach NS-Verbrechern in Norddeutschland zeigt das Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis" in der ARD-Mediathek.
Berühmter Großvater: Der Psychoanalytiker Sigmund Freud
Anton Walter Freud kommt am 3. April 1921 in Wien zur Welt. "Glücklich und behütet" wächst er mit seinen Eltern und Schwester Sophie in der österreichischen Hauptstadt auf, wie er später in einem Interview mit dem Historiker Peter Pirker erzählt. Sein Vater, der Rechtsanwalt Jean Martin Freud, ist ein Sohn des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud. Seine Mutter Ernestine, genannt Esti Freud, arbeitet als Logopädin. Anton Walter besucht zunächst das Realgymnasium auf der Stubenbastei im ersten Wiener Bezirk, später wechselt er an die Tagesschule eines Landeserziehungsheims. In seiner Freizeit fährt er gerne zum Semmering-Pass, auf dem Weg dorthin kauft er sich am Bahnhof in der Wiener Neustadt seine geliebten "Würschtl".
Familie Freud flüchtet 1938 nach England
Mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 spürt auch der Schüler den anwachsenden Antisemitismus in seiner Heimat. Die Situation habe sich dramatisch verschärft, so Freud später. Wie viele Wiener Juden wird er gezwungen, die Straße vor Hitlers Einzug zu putzen. Die SA durchsucht die Wohnungen der Familie. Anton Walter flieht mit Mutter und Schwester zunächst nach Paris. Mit Visa, die sein Großvater erhalten hatte, bringt sich der Vater mit seinem Sohn und weiteren Familienangehörige in England in Sicherheit. Mutter Ernestine und Schwester Sophie bleiben zunächst in Paris, sie fliehen später über Nordafrika in die USA. Anton Walter drückt im Königreich zunächst wieder die Schulbank, nach seinem Abschluss studiert Anton Walter Freud Luftfahrttechnik.
Deportation und Internierung in Australien
Doch das Leben Anton Walter Freuds in der Fremde gerät 1940 wieder aus dem Takt. Mit dem deutschen Frankreich-Feldzug wächst in Großbritannien die Furcht vor der "fünften Kolonne". Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Spanischen Bürgerkrieg und bezeichnet subversiv tätige Gruppierungen, deren Ziel der Umsturz einer bestehenden Ordnung ist. In den Augen der Briten gehört Anton Walter Freud wie viele andere jüdischen Flüchtlinge als "Enemy Alien" zur feindlichen Besatzungsmacht Deutschland. Und so wird der Student mitten in einer Mathematik-Prüfung im College verhaftet: "Der Polizist, der mich offensichtlich für einen gefährlichen Spion hielt, sperrte mich ins örtliche Gefängnis, wo ich in eine schmutzige kleine Zelle gesteckt wurde", beschreibt er die Situation später. Mit seinem Vater wird er auf der Isle of Man interniert. Doch damit nicht genug: Nur kurze Zeit darauf befindet er sich mit 2.000 anderen Emigranten auf dem Truppentransportschiff "Dunera" auf dem Weg nach Australien, in die britische Kronkolonie. Nach zweimonatiger Überfahrt kommt Anton Walter Freud in Sydney an. Ein Jahr lang bleibt der junge Mann in den Lagern Hay und Tatura im Outback interniert.
"Wir wurden kurzerhand wieder hinausgeworfen"
Später beschreibt er seine existenziellen Gefühle, erneut abgelehnt worden zu sein, folgendermaßen: "Wir wurden unter Androhung des Todes aus Deutschland vertrieben, und als wir dachten, eine neue Heimat gefunden zu haben, wurden wir kurzerhand wieder hinausgeworfen." 1941 darf er aufgrund des veränderten Stimmungswechsels in der britischen Politik gegenüber Emigranten nach England zurückkehren.
Anwerbung durch den britischen Geheimdienst SOE
Zurück in England verpflichtet sich Freud beim Pioneer Corps zum Dienst ohne Waffe. In der Einheit können aus Deutschland und Österreich geflohene Exilanten dienen. Sie genießt allerdings wenig Prestige. Eine entscheidende Wendung nimmt sein Leben, als ihn der britische Geheimdienst Special Operations Executive (SOE) anwirbt, der nach dem Motto "sabotage and subversion" den Widerstand in den von Achsenmächten besetzten Ländern unterstützt.
Die anderthalbjährige Ausbildung zum Agenten fordert ihm körperlich und geistig alles ab. Freuds erste Station ist ab Mitte 1944 Süditalien. Doch auf seine erste Mission muss der junge Geheimagent lange warten - erst Ende April 1945 springt er mit fünf weiteren Agenten über der Obersteiermark mit dem Fallschirm ab. Er landet abseits von seinen Kameraden und schlägt sich allein nach Zeltweg durch. Dort fordert er den Kommandanten des örtlichen Flugplatzes im Namen der Alliierten zur Aufgabe auf - ohne Erfolg. Anton Walter Freud wird mit einer Eskorte in Richtung Hauptquartier des Befehlshabers der Heeresgruppe Ostmark nach Waidhofen geschickt. Unterwegs dorthin wird er allerdings Angehörigen der US-Armee übergeben, die inzwischen in Österreich gelandet waren. Zum Kriegsende, am 8. Mai 1945, trifft Freud schließlich wieder in London ein.
Freud wird Ermittler bei der "War Crimes Investigation Unit"
Captain Anton Walter Freud bleibt in Diensten der britischen Armee: Im September 1945 stößt er in Bad Oeynhausen zum Team der "War Crimes Investigation Unit" - und trägt maßgeblich zur Aufklärung deutscher NS-Kriegsverbrechen bei. "Alles unscheinbare kleine Leute", wird Freud später sagen, "denen man überall begegnen kann, ohne zu ahnen, was sie getan haben." Freuds Ziel ist Gerechtigkeit, nicht Rache. Als er zusammen mit seinem Kollegen Fred Pelican gegen die Hamburger Firma Tesch & Stabenow ermittelt, die das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B an die Vernichtungslager der Nazis geliefert hat, gelingt ihm gleich ein Coup. In den Geschäftsräumen finden die Ermittler viele erdrückende Beweise. Freud und Pelican dokumentieren außerdem Zeugenaussagen, die belegen, dass der Geschäftsführer Bruno Tesch von der Verwendung des Giftes in den Gaskammern von Auschwitz gewusst hat. Die Briten machen ihm im März 1946 im Hamburger Curio-Haus den Prozess. Tesch erhält die Todesstrafe, die bereits im Mai vollstreckt wird.
In seiner Funktion verhört Freud darüber hinaus den ehemaligen Lagerkommandanten des KZ Auschwitz Rudolf Höß, der von seinem Kollegen Hanns Alexander auf einem Bauernhof im Flensburger Umland aufgespürt worden war.
Freud spürt Kinder-Mörder des KZ Neuengamme auf
Anton Walter Freud ermittelt in der Folge auch gegen die Verantwortlichen des Konzentrationslagers Neuengamme. Dank der Hinweise überlebender Häftlinge und Vernehmungen mit dem KZ-Kommandanten Max Pauly stößt er auf das Schicksal von 20 Kindern, die dort am 20. April 1945 ermordet worden waren. Freud gelingt es, den SS-Standortarzt Alfred Trzebinski, der an der Ermordung beteiligt war, aufzuspüren und zu verhaften. Und macht weitere Beteiligte am Kindermord ausfindig: Dazu gehört auch der stellvertretenden Lagerführer Johann Frahm, der die Kinder in der Schule am Bullenhuser Damm erhängt hatte. In den Neuengamme-Prozessen werden die Verbrechen in Hamburg vor Gericht gebracht, elf Beteiligte im Mai 1946 zum Tode verurteilt.
Anton Walter Freud: Keine Rückkehr nach Österreich
Nach einem schweren Autounfall scheidet Anton Walter Freud 1947 im Rang eines Majors aus dem Militärdienst aus. Ein Jahr zuvor hatte er Vibeke Annette Krarup, eine adelige Dänin, geheiratet. Das Paar bekommt drei Kinder. Freud beginnt technische an der Universität Loughborough zu studieren und arbeitet nach seinem Abschluss für mehrere britische Firmen wie BP Chemicals. 1977 geht er in den Ruhestand, beschäftigt sich mit dem Andenken an seinen Großvater und verfasst in "Before the Anticlimax" seine Erinnerungen vom Zweiten Weltkrieg und der Zeit danach. Nach Wien kehrt Anton Walter Freud zeitlebens nicht zurück. Er kritisierte oft, dass er nie offiziell eingeladen wurde, Österreich zu besuchen. Im Februar 2004 stirbt Anton Walter Freud nach langer Krankheit in seinem Haus in Oxted bei London.