Stand: 19.04.2022 10:30 Uhr

Hanns Alexander: Vom ungeliebten Soldaten zum Nazi-Jäger

Hanns Alexander wuchs in einer angesehenen jüdischen Arztfamilie auf, die 1936 vor den Nationalsozialisten nach England flüchtete. Als britischer Offizier spürte er in der "War Crimes Investigation Unit" Kriegsverbrecher wie Rudolf Höß auf.

Robin Sondermann als Hanns Alexander im Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis". © NDR
Im Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis" wird Hanns Alexander von Robin Sondermann gespielt.

Durch ihre Emigration verlieren Hanns Alexander und seine Familie 1939 nicht nur die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern auch ihren Besitz. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs meldet sich der 22-Jährige freiwillig bei der britischen Armee, dient zunächst als einfacher Soldat und steigt später in den Rang eines Offiziers auf. Als Mitglied einer Sondereinheit ist Hanns Alexander im Rahmen des "War Crimes Program" in Bergen-Belsen eingesetzt, verhört dort zahlreiche KZ-Aufseher. Die Arbeit verändert den jungen Ermittler - mit brachialer Vehemenz drängt er auf die Suche nach noch nicht gefassten NS-Verbrechern. Mit der Ergreifung von Rudolf Höß, dem Kommandanten des KZ Auschwitz, gelingt ihm ein Coup, wie das Doku-Drama "Nazijäger - Reise in die Finsternis" in der ARD-Mediathek zeigt.

Familie Alexander flieht 1936 aus Deutschland nach England

Hanns Alexander kommt am 6. Mai 1917 als Sohn eines erfolgreichen jüdischen Arztes in Berlin zur Welt. In einer Wohnung mit 22 Zimmern in der Kaiserallee verbringt er mit Zwillingsbruder Paul und den Schwestern Bella und Elise eine glückliche Kindheit. Die Kinder wachsen weltoffen auf, ihre Eltern haben häufig prominente Gäste wie Albert Einstein, Marlene Dietrich und den Physiker James Franck, gebürtiger Hamburger und Nobelpreisträger. Die Jungs gehen auf die Private Waldschule Grunewald. Nach der Machtergreifung Hitlers müssen sie die Schule im Juli 1933 aufgrund der NS-Gesetze verlassen. Fortan besuchen sie auf eine jüdische Privatschule. Als Teenager schlagen die Jungs aus gutem Hause auch mal über sie Stränge, sie zündeln und entfachen ein Feuer im elterlichen Wohnzimmer und lassen eine Trambahn entgleisen.

Wegen zunehmender Repressalien der Nazis gegenüber der jüdischen Bevölkerung verlässt die Familie 1936 schließlich Deutschland und emigriert über die Schweiz nach England. 1939 wird Familie Alexander ausgebürgert und verliert ihr Hab und Gut.

Hanns Alexander schlägt Ausbildung zum Offizier ein

In England beginnt der 20-Jährige die drei Jahre jüngere Anne Graetz zu umwerben. Sie stammt ebenfalls aus Berlin. Insgesamt finden rund 70.000 Juden im Königreich Zuflucht. Aber wirklich willkommen sind sie nicht, viele von ihnen werden sogar interniert. Auch Hanns Alexander bekommt die Ablehnung zu spüren. Als der Zweite Weltkrieg beginnt, meldet er sich mit Bruder Paul zum Militärdienst, um gegen die Nazis zu kämpfen. Die Briten aber trauen diesen "deutschen" Soldaten zunächst nicht. Deshalb bekommen sie keine Waffen an die Hand. Stattdessen hebt der junge Rekrut Schützengräben aus. Doch Hanns Alexander ist ambitioniert, er will britischer Staatsbürger werden und unbedingt zur "Officier Training Unit". 1943 zahlt sich sein Ehrgeiz aus, er startet mit der Ausbildung zum Offizier und wird in die reguläre britische Armee übernommen. Als die Alliierten im Juni 1944 in der Normandie landen, überwacht Hanns Alexander besiegte deutsche Offiziere. Als Adjutant seines Kommandeurs hinterlässt er einen positiven Eindruck und wird gegen Kriegsende in eine neu gegründete Spezialeinheit berufen.

Bergen-Belsen: "Leichen liefen herum, Leichen lagen herum"

Die "War Crimes Investigation Unit" (WCIU) soll deutsche Kriegsverbrecher aufspüren. Auslöser sind die grauenhaften Zustände im gerade befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen. Hanns Alexander stößt am 12. Mai 1945 als Dolmetscher zum Team. Vor allem jüdische Emigranten, die vor der Nazi-Herrschaft nach Großbritannien fliehen konnten, sind wegen ihrer Sprachkenntnisse als Ermittler gefragt. In Bergen-Belsen wird er mit dem Anblick von Leichenbergen in Massengräbern und ausgemergelten Überlebenden konfrontiert. "Leichen liefen herum, Leichen lagen herum", schildert er seine Eindrücke. Das Grauen erschüttert Hanns Alexander - und verändert ihn. "Die meisten Opfer waren Juden. Was ihnen passiert war, hätte leicht auch ihm passieren können", schreibt sein Großneffe Thomas Harding in seinem Buch "Hanns und Rudolf".

Buch-Tipp "Hanns und Rudolf"

Top-Ermittler in der WCIU

Der 28-Jährige ist nicht länger der unbeschwerte junge Mann von einst, sondern von einer kaum noch kontrollierbaren Wut erfasst. Das macht ihn zum "Brecher", einem Ermittler-Typ, der auch mit Drohungen operiert und dafür manchmal Grenzen überschreitet. Es ist jetzt der Sinn seines Lebens, die Mörder an den Galgen zu bringen - nicht mehr nur als Dolmetscher bei Verhören, sondern als Fahnder. "Diese SS-Typen zu jagen", schreibt er im Juli 1945 an seine Schwester Elsie, sei sein "größtes Vergnügen". Hanns Alexander macht sich sogar in seiner Freizeit auf die Suche nach SS-Schergen und ihren Helfern. Im Sommer befragt er deutsche Soldaten und Zivilisten, bekommt aber wenig brauchbare Informationen. Doch er lässt nicht locker. Ende 1945 feiert er seinen ersten großen Erfolg als Nazi-Jäger. Nach wochenlangen Ermittlungen und einer Jagd kreuz und quer durch Niedersachsen und halb Deutschland nimmt er am 10. Dezember Gustav Simon fest, den früheren NS-Verwalter von Luxemburg. Hanns Alexander gilt jetzt als Top-Ermittler der "War Crimes Investigation Unit" - und ist damit ähnlich erfolgreich wie Anton Walter Freud, der ebenfalls in der Einheit ermittelt und die Kindermorde vom Bullenhuser Damm aufdeckt.

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Auf der Jagd nach dem NS-Verbrecher Rudolf Höß

Doch das wichtigste Ziel seiner Ermittlungen bleibt, den ehemaligen Kommandanten des KZ Auschwitz Rudolf Höß dingfest zu machen. Wie viele andere SS-Angehörige versteckt sich dieser seit Kriegsende - unter dem Pseudonym Franz Lang - in der Nähe von Flensburg. Doch Hanns Alexander spürt Höß' Aufenthaltsort auf - am späten Abend des 11. März 1946 trifft er in einer Scheune auf einem Bauernhof in Gottrupel auf einen Mann im Schlafanzug mit eingefallenen Gesichtszügen. Dieser beteuert vehement, Rudolf Höß zu sein, doch Hans Alexander identifiziert ihn anhand des Eherings mit den Initialien "Hedwig und Rudolf". Auf dem Weg ins Gefängnis nach Heide machen Hanns Alexander und seine Mitstreiter Halt an einer Kneipe. Dort stoßen sie mit Champagner und Whiskey auf die spektakuläre Verhaftung eines der meistgesuchten NS-Verbrecher an.

Hochzeit mit seiner Verlobten Anne Graetz

Nach dem Fahndungserfolg verlässt Hanns Alexander Deutschland wieder in Richtung England. Im Mai 1946 heiratet er in London seine Verlobte Anne Graetz, das Paar bekommt zwei Töchter: Annette und Jackie. Er arbeitet als Bankier und Kaufmann. Seine Großneffe Thomas Harding erinnert sich: Sein Großonkel habe bei Familienfeiern immer einen Toast auf die Queen ausgesprochen. Er sei für immer dankbar gewesen, eine Zuflucht aus Nazi-Deutschland gefunden zu haben.

Hanns Alexander: "Ich bin hasserfüllt"

Hanns Alexander wird nie wieder in sein Geburtsland zurückzukehren. Für seine Verdienste wird er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der "Defence Medal" und dem "German Star". Er trägt sie voller Stolz bei den jährlichen Veteranen-Treffen in der Londoner Whitehall. Über seine Kriegserlebnisse redet er zeitlebens nur ungern: "Ich wollte nicht mit den Kindern darüber sprechen, weil sie nicht hasserfüllt aufwachsen sollen." Er aber sei hasserfüllt. Es mache ihn krank zu sehen, wie viele Mörder er gehen lassen musste. Im Dezember 2006 stirbt Hanns Alexander im Alter von 89 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.

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Dieses Thema im Programm:

Doku & Reportage | 20.04.2022 | 22:00 Uhr

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