Thomas Mann: 100 Jahre "Der Zauberberg"
Fast drei Jahrzehnte nach dem Erscheinen der "Buddenbrooks" bekommt Thomas Mann für seinen Debütroman den Literaturnobelpreis verliehen. Sein Werk "Der Zauberberg" wird jetzt im November 100 Jahre alt.
Am 6. Juni 1875 kommt Thomas Mann als zweitältester Sohn in der Hansestadt auf die Welt. Er wächst mit vier Geschwistern auf. Die Eltern können unterschiedlicher nicht sein: Der Vater, ein hanseatischer Patrizier, repräsentiert das bürgerliche Lübeck. Als Kaufmann führt er erfolgreich den Familienbetrieb, ist Konsul und schließlich Senator. Ganz anders die Mutter: Sie verkörpert das genaue Gegenteil des Vaters. Thomas Mann beschreibt seine Mutter als "... außerordentlich schön, von unverkennbarer spanischer Turnüre, ...". Ihr südländisches Temperament und ihr Interesse an Musik und Literatur bilden einen Kontrast zur kaufmännischen Repräsentation des Vaters.
Thomas Manns Abneigung gegen die Schule
Seine Kindheit beschreibt Thomas Mann als "gehegt und glücklich". Zur Schule geht er wie sein Bruder Heinrich allerdings nicht gerne: "Ich war schon in der Sekunda so faul wie der Westerwald: faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze, verhasst bei den Lehrern der altehrwürdigen Anstalt ...". Wie sein Bruder Heinrich verlässt er die Schule vor dem Abitur. Er zeigt damit auch seine Abneigung gegen das bürgerliche Lübeck. Thomas Mann opponiert gegen die Enge der düsteren gotischen Bauwerke, die sich immer wieder in seinen Romanen widerspiegeln, aber auch gegen die Enge in der Schule, die keinen Raum für Müßiggang und Lektüre lässt.
Umzug nach München
Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes 1891 zieht die Mutter mit den drei jüngsten Geschwistern nach München. Die bayerische Metropole ist die "Stadt der Künste" und gilt als weltläufig sowie Treffpunkt für Bohemiens. Thomas Mann folgt der Mutter 1893 und beginnt ein Volontariat bei einer Feuerversicherungsgesellschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er seine erste Novelle. Da Thomas Mann mit Erreichen seiner Volljährigkeit aus dem väterlichen Vermögen eine monatliche Rente erhält, braucht er keinem geregelten Beruf nachzugehen. Er kann sich ganz dem Schreiben widmen.
Die "Buddenbrooks" entstehen in Italien
1896 folgt er seinem Bruder Heinrich nach Italien. Hier beginnt er mit dem Schreiben seines meistgelesenen Romans "Buddenbrooks. Verfall einer Familie". Dafür verwendet er nicht nur Auszüge aus Salongesprächen aus der Lübecker Zeit, er sammelt außerdem Kochrezepte und die Lebensläufe aller Familienmitglieder, Freunde und Feinde. Viele Figuren dieser "Ahnenchronik" tragen Züge von Familienmitgliedern oder auch Lübecker Bürgern.
Wegen der ironisierenden Darstellung der Porträtierten und der detaillierten Beschreibung der Stadt Lübeck, obwohl er sie nie mit Namen erwähnt, gilt das Werk für viele Lübecker als "Nestbeschmutzerroman". Einige aber empfanden gerade das Nichtnennen des Städtenamens als Affront. Auch deshalb bleibt das Verhältnis zum berühmten Dichter lange Zeit gespannt.
1900 vollendet er das Werk, das 1901 im Fischer Verlag erscheint. Die zweibändige Erstausgabe stößt nur vereinzelt auf Resonanz. Die einbändige zweite Auflage von 1903 bringt den Durchbruch und macht Thomas Mann bekannt. 1929 erhält er für die "Buddenbrooks" den Nobelpreis für Literatur. Die Jury begründet ihre Entscheidung damit, dass das Werk "im Lauf der Jahre eine immer mehr sich festigende Anerkennung als ein klassisches Werk der zeitgenössichen Literatur gewonnen hat."
Heirat mit Katia Pringsheim
Wieder in München arbeitet Thomas Mann 1898 ein Jahr für die Satire-Zeitschrift "Simplicissimus". Er genießt das Schwabinger Künstlerleben und pflegt von 1899 an ein enges Verhältnis zum Künstler Paul Ehrenberg, für den er homoerotische Gefühle pflegt. Doch der Maler bleibt für Thomas Mann unerreichbar. Literarisch verarbeitet er seine Erlebnisse später in "Tod in Venedig". 1905 heiratet er Katharina "Katia" Pringsheim aus einer angesehenen Münchener Familie. Doch hinter dieser Heirat steckt für ihn mehr Wille als Lust. Durch die Ehe verläuft sein Leben in geordneten Bahnen, Katia und er bekommen sechs Kinder.
Nach langer Schaffenskrise folgt "Der Zauberberg"
Trotz Familiengründung und schriftstellerischen Erfolgen ist Mann labil. Nach außen wahrt er seine Fassade als Patriarch, Gefühle vertraut er nur seinem Tagebuch an. Er zweifelt an sich selbst und seinem Können, was sich auch literarisch auswirkt. Obwohl sein eigener Anspruch hoch ist, erscheint sein nächster großer erfolgreicher Roman, "Der Zauberberg", erst gut 20 Jahre nach den "Buddenbrooks". Er erscheint im November 1924. Zum genauen Tag gibt es unterschiedliche Angaben: Der WDR beruft sich in der Reihe Zeitzeichen auf den 20. November, der S. Fischer Verlag nennt den 28. November als Erscheinungsdatum.
Entwicklung zum "späten" Demokraten und Exil
Politisch bezieht Mann spät Stellung. Anfangs verteidigt er den Ersten Weltkrieg und begrüßt das Erstarken der rechten Parteien ab 1920. Doch mit der Ermordung Rathenaus 1922 besteht für ihn kein Zweifel mehr: Er entwickelt sich mit den Jahren von einem unpolitischen Reaktionär zu einem "späten" Demokraten. Am Ende der 30er-Jahre festigen sich bei ihm Antifaschismus und Sozialismus. 1933 kehrt Thomas Mann auf Anraten seiner Kinder Erika und Klaus von einer Vortragsreise nicht nach Deutschland zurück. Doch die Emigration fällt den Manns schwer. Sie verlieren die deutsche Staatsbürgerschaft und fast all ihr Hab und Gut.
In den USA von Princeton nach Kalifornien
Ihr Weg führt sie über das französische Sanary-sur-Mer, über Zürich und schließlich 1938 in die USA. Die erste Station ist Princeton, wo Mann Vorträge an der Universität hält. Drei Jahre später folgt der Umzug ins kalifornische Pacific Palisades. 1944 erhält Thomas Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft. In diesen Jahren entsteht sein Altersroman "Doktor Faustus" - ein Sinnbild für das Verhängnis Deutschlands. In diesen Jahren ist Thomas Mann besonders produktiv, es erscheinen zahlreiche autobiografische Schriften, in denen er, wie in seinen Radioreden an die Deutschen, politisch Stellung bezieht.
"Deutsche Hörer!": Mann spricht im Krieg zu den Deutschen
Ab Oktober 1940 greift Thomas Mann aus der Ferne verbal in den Zweiten Weltkrieg ein. In insgesamt knapp 60 Radioansprachen, die aufwendig über Schallplatte und Telefon von Kalifornien nach New York und schließlich nach London übermittelt werden, sendet die britische BBC die fünf- bis achtminütigen Reden etwa einmal im Monat. Emotional und pathetisch streitet der Literaturnobelpreisträger darin mit den Nazis - und redet den Deutschen ins Gewissen, fordert sie auf, sich vom NS-Regime zu befreien. Als eine der bedeutsamsten Ansprachen aus der Reihe "Deutsche Hörer!" gilt Manns Rede vom 27. September 1942, in denen er erstmals sehr direkt über den systematischen Massenmord an den europäischen Juden spricht und den Deutschen dazu bohrende Fragen stellt. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs beendet Mann die Reihe - die letzte Folge wird am 10. Mai 1945 ausgestrahlt.
Rückkehr nach Europa: Neus Domizil in der Schweiz
1949 besucht er Deutschland das erste Mal nach dem Zweiten Weltkrieg. Anlass ist die Verleihung des Goethe-Preises der Stadt Frankfurt am 28. August an den Dichter. Thomas Mann wird frenetisch bejubelt und gilt fortan als Symbolfigur eines versöhnten Neuanfangs.
Einen Schatten auf die triumphale Rückkehr wirft der Selbstmord seines Sohnes Klaus. Thomas Mann sieht in dem Freitod kein Verschulden Dritter, sondern begründet dies in dem "Todeszwang" seines Sohns. Er bleibt der Beerdigung fern. Familiäre Probleme, wie die Häufung von Selbstmorden in der eigenen Familie, vertraut er wieder nur dem Tagebuch an.
Als Mann während der McCarthy-Ära in den USA unter Kommnunismusverdacht gerät, kehrt er 1952 endgültig nach Europa zurück. Mit dem alten Kontinent, und auch Deutschland, schließt er Frieden. Während eines Kur-Aufenthalts sucht er nach einem Domizil in der Schweiz. Zunächst lässt er sich in Erlenbach, später im vertrauten Kilchberg bei Zürich nieder. Bis zuletzt arbeitet Mann unermüdlich, 1954 erscheinen "Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" und noch 1955 hält er zwei Reden über Schiller.
Lübeck verleiht Thomas Mann die Ehrenbürgerschaft
Als einen "großen, rührenden Augenblick seines zur Rüste gehenden Lebens" beschreibt Thomas Manns Biograf Klaus Schröter den 20. Mai 1955: Es ist der Tag, an dem Lübeck dem fast 80-Jährigen die Ehrenbürgerwürde verleiht. Damit erkennt endlich auch die Heimatstadt die Verdienste des großen Schriftstellers an - laut Schröter ein wichtige Geste der Versöhnung: "Er dankte diesem Wiedersehen, das den endgültigen Frieden mit der Heimat herstellte." Nur wenige Wochen später, am 12. August 1955, stirbt Thomas Mann im Kantonsspital in Zürich.