VIDEO: "House of Banksy": Ausstellung des Graffiti-Künstlers in Hamburg (2 Min)

Kunst oder kriminell? Sprayer OZ wurde vor 75 Jahren geboren

Stand: 07.01.2025 05:00 Uhr

Heute wäre der Sprayer OZ 75 Jahre alt geworden. In Hamburg hat er etwa 120.000 Graffiti hinterlassen. Wegen Sachbeschädigung wurde er mehrfach verurteilt. Nach seinem Tod 2014 ist der Umgang mit seinen Werken weiter offen.

von Dirk Hempel

Der Graffiti-Sprayer Walter Josef Fischer, besser bekannt als OZ, bricht alle Rekorde seines Metiers: Angeblich mehr als 120.000 Graffiti sprüht er innerhalb von gut 20 Jahren an Hamburgs Hauswände, Kaimauern, Stromkästen, Parkbänke, Brückenpfeiler, Laternen, Ampelmasten, Blumenkübel. Er gilt als der erste in Hamburg verhaftete Sprayer. Immer wieder wird er festgenommen, wird zu Geldstrafen verurteilt, sitzt insgesamt acht Jahre im Gefängnis, zumeist wegen Sachbeschädigung, aber auch wegen Beleidigung.

Künstler oder Krimineller?

Ein Graffiti des Sprayer "OZ" prangt am 22. Oktober 2014 in Hamburg im Hafen an einer Kaimauer. © picture alliance / dpa Foto: Axel Heimken
Das Kürzel "OZ." findet sich überall in Hamburg.

Und er polarisiert wie kein anderer Sprayer vor ihm. Die Hamburger Presse tituliert ihn als "Deutschlands schlimmsten Schmierfink" ("Bild"), "Wände-Beschmierer" ("Mopo") oder schlicht als "den Irren, über den ganz Hamburg empört ist" ("Bild").

Für andere ist er ein Künstler, "der größte Graffiti-Sprayer, den es in Deutschland je gab" (SWR). Er wird verglichen mit den Verhüllungskünstlern Christo und Jean Claude, dem New Yorker Street Artist Keith Haring und Harald Naegeli, dem legendären Sprüher von Zürich. 1999 fragt das "Hamburger Abendblatt": "Soll er in Haft oder in die Kunsthalle?"

Jugend im Heim

Geboren wird er am 7. Januar 1950 in Heidelberg. Er wächst in einem Waisenheim auf, wird streng erzogen von katholischen Nonnen, rebelliert nach eigenen Aussagen bereits damals durch Kritzeleien, vorerst nur an den Zimmerwänden. Mit 15 Jahren wird er ohne Schulabschluss entlassen, bricht eine Gärtnerlehre ab, will Damenfriseur werden. Er ist zeitweise obdachlos, trampt durch Frankreich, Spanien, Portugal, reist nach Indien, Pakistan, Thailand, Afghanistan und Indonensien.

Sprayen für die RAF

Wieder in Deutschland lebt er in Stuttgart, wo gerade der Prozess gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe stattfindet, die Anführer der RAF. Er lernt Sympathisanten der Terroristen kennen, die mit Spraydosen Parolen auf Hauswände sprühen. "Da habe ich erfahren, dass es überhaupt solche Dosen gibt. Vorher habe ich mit Kugelschreiber und Bleistift rumgemacht", so berichtet er später, nachzulesen in dem Buch "Free OZ", das Fans 2014 veröffentlicht haben.

Markenzeichen "OZ."

Mit Kapuze sitzt Graffiti-Sprayer Walter Josef Fischer am 12. Januar 2012 im Landgericht in Hamburg im Gerichtssaal. © picture alliance / dpa Foto: Ulrich Perrey
Walter Josef Fischer ist häufiger vor Gericht, hier am 12. Januar 2012.

Gern würde er nach Dänemark reisen, in den Kopenhagener Freistaat Christiania, einer von Hausbesetzern gegründeten alternativen Siedlung. Doch daraus wird nichts. Er kommt 1992 nach Hamburg, da ist er bereits 42 Jahre alt, und beginnt sofort zu sprühen, vor allem Smileys, Spiralen, bunte Kreise und Punkte, und immer wieder das Kürzel, das ihn berühmt macht: "OZ.", mit einem Punkt am Ende - vielleicht auch "OLi", das ist bis heute ungeklärt. Was ihn zu dem Kürzel inspiriert hat, weiß er damals selbst nicht zu sagen, jedenfalls nicht der berühmte Film "Der Zauberer von Oz".

Immer wieder ist er nachts mit dem Fahrrad unterwegs, in Jeans, Kapuzenpullover und Turnschuhe gekleidet, den Sportrucksack mit den Sprühdosen auf dem Rücken. Er lebt zunächst in einer kleinen Wohnung in Eimsbüttel, später in einem Hinterhof in Stellingen.

Seine Graffitis gelten als kriminell

1998 steht Fischer in der Hansestadt erstmals vor Gericht. Sachbeschädigung in 51 Fällen wird ihm nachgewiesen: Das bedeutet Gefängnis. Wenn er nicht einsitzt, sprüht er. Die "Hamburger Morgenpost" schätzt die Höhe des von ihm verursachten Sachschadens Ende der 90er-Jahre auf 500.000 Mark, knapp 20 Jahre später auf mehrere Millionen Euro. Darunter fallen ganze Hauswände, aber auch das Anbringen eines Aufklebers an einem Fahrkartenautomaten und die Kreidezeichnung eines Kringels auf einer Gehwegplatte.

Der Umgang mit Sprayern ist damals rau, ihre Werke werden in Hamburg noch lange nicht als legitime, schützenswerte Street Art betrachtet. Die Presse jedenfalls wettert gegen Fischer. Psychologische Gutachten werden eingeholt, Politiker fordern die Einweisung in eine Klinik. Im Oktober 1999 schlagen ihn zwei Männer der S-Bahn-Wache an der Holstenstraße krankenhausreif (weswegen sie später verurteilt werden), die "Soko Graffiti" ermittelt gegen ihn, zeitweise auch das MEK. Bis zu zwölf Beamte seien auf ihn angesetzt gewesen, berichtet das "Hamburger Abendblatt".

Die Graffiti-Szene feiert ihn als Künstler

Prozessbesucher gehen am 29.07.2011 zur Urteilsverkündung im Prozess gegen den Graffiti-Sprayer "OZ" in den Saal des Amtsgerichts Barmbek in Hamburg. © picture alliance / dpa | Foto: Bodo Marks
OZ-Sympathisanten haben am 29. Juli 2011 ein Schild ins Amtsgericht Barmbek mitgebracht.

Doch gleichzeitig bekommt Fischer auch immer mehr Unterstützung. Die jungen Sprüher der Hamburger Szene haben den "ältesten Sprayer Deutschlands" ("Hamburger Abendblatt") längst als Vorbild entdeckt. Bei einem der vielen Prozesse wird im Gerichtssaal ein Schild hochgehalten: "Hamburg ohne OZ ist München". Sein Rechtsanwalt argumentiert mit der Freiheit der Kunst, die wichtiger sei als der Vorwurf der Sachbeschädigung.

2009 findet in Hamburg die erste Ausstellung mit Werken Fischers unter dem Titel "Es lebe der Sprühling" statt. Weitere Ausstellungen folgen. Bücher erscheinen, die seine Arbeiten würdigen. 2012 erhält er den Auftrag, die Umzäunung eines Beachclubs im Schanzenviertel zu bemalen. Auch Fans des FC St. Pauli setzen sich für ihn ein. Die Unterstützer sehen in Fischer nicht nur den Künstler, sondern auch einen politischen Aktivisten, der zivilen Ungehorsam praktiziert, sich gegen Kommerz, Sauberkeit und Anpassung auflehnt.

OZ will die Stadt verschönern

Fischer selbst scheint das gleichgültig zu sein. Die "Hamburger Morgenpost" zitiert ihn 2014 mit dem Satz: "Ich mache einfach das, was ich tun muss. Ich habe nicht angefangen zu malen, weil ich Künstler bin, sondern weil ich das Bedürfnis habe." Er sieht sich als Stadtgestalter, der die grauen Wände bunt bemale, wie er 2011 in einem Interview mit der "Tageszeitung" sagt. Der auch mal Plätze von Müll säubere, sich über hässliche Betonarchitektur ärgere.

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Der Staat schickt Sozialarbeiter

Der Staat hingegen hält den Sozialhilfeempfänger für psychisch krank, für betreuungsbedürftig. Jahrelang kümmern sich zwei Sozialarbeiter um ihn, wie die "Zeit" 2014 berichtet, helfen ihn im Alltag, bei seinem Bankkonto, beim Putzen, bei Streitigkeiten mit den Nachbarn seiner kleinen Wohnung in Billstedt, wo er inzwischen lebt.

Tod beim Sprayen

Trauergäste tragen am 17. Oktober 2014 in Hamburg auf dem Friedhof Ohlsdorf den mit Graffitis überzogenen Sarg das Sprayers OZ aus der Kapelle. © picture alliance / dpa Foto: Axel Heimken
Der Sarg des Sprayers OZ bei der Beerdigung auf dem Friedhof Ohlsdorf ist mit Graffiti gestaltet.

Noch immer ist der damals 64-Jährige in diesen Jahren nachts in der Stadt unterwegs, am 25. September 2014 im Gleisbett der S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Berliner Tor. Auf der Höhe der Drogenberatungsstelle Drob Inn sprüht er ein schwarzes OZ.-Zeichen auf eine Stromschienenabdeckung, als ihn eine S-Bahn erfasst, so melden es die Hamburger Zeitungen zwei Tage später. Erst der Fahrer des nachfolgenden Zuges entdeckt den leblosen Körper. Die alarmierten Polizeibeamten finden daneben einen Rucksack und eine Farbdose. Fischer stirbt vermutlich an schweren Kopfverletzungen. Hamburger Sprayer gestalten seinen Sarg, der tagelang in einer Kunstgalerie im Schanzenviertel steht. Seine Fans haben Geld für die Beerdigung gesammelt, die auf dem Friedhof in Ohlsdorf stattfindet.

Graffiti gilt heute auch als Kunst

Ein Mitarbeiter reinigt am 14. Oktober 2014 in Hamburg im S-Bahn Werk in Ohlsdorf einen mit Graffiti bemalten Waggon. Links steht "Rest in peaphe OZ...". © picture alliance / dpa Foto: Daniel Bockwoldt
Ein besprühter Hamburger S-Bahn-Zug wird gereinigt.

Erst in den Jahren nach Fischers Tod wandelt sich das Kunstverständnis grundlegend. Auch wenn offizielle Schätzungen 2019 von Schäden durch Graffiti in Höhe von mehr als 200 Millionen Euro ausgehen, gelten sie mehr denn je als Kunst, erfahren zunehmend öffentliche Würdigung, etwa 2015 in Bonn beim BundeskunstHALL OF FAME Graffiti & Street Art Festival, bei dem auch Werke von Fischer gezeigt werden. Oder im Museum für Hamburgische Geschichte, das 2022 bis 2024 mit großem Erfolg die Ausstellung "Eine Stadt wird bunt" präsentiert und einen Stromkasten in seine Sammlung übernimmt, den Fischer mit OZ.-Tag versehen hat.

Der Sprayer Harald Naegeli hat längst den Kunstpreis der Stadt Zürich bekommen, und Keith Harings Strichmännchen sind weltberühmt. In Hamburg hat die Diskussion über den Umgang mit Fischers Kreisen, Kringeln und Smileys, die noch immer sichtbar sind, wie eine interaktive Karte zeigt, gerade erst begonnen.

Serie in der ARD Audiothek

Ab dem 12. Februar 2025 ist die Audio-Serie "City of OZ" in der ARD Audiothek abrufbar, eine Koproduktion von SWR Kultur, NDR Kultur und ARD Kultur. Darin geht es um Kunst, das Erbe der Nazizeit, True Crime und Widerstand - so bunt und kontrovers wie das Leben von Walter Fischer - mit Originaltönen von Zeitzeugen, Befürwortern und Gegnern.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 15.11.2014 | 19:30 Uhr

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