Wie ein falscher Arzt das Flensburger Gesundheitsamt narrte
Er arbeitete als Arzt im Gesundheitamt Flensburg, war aber gar kein Mediziner, sondern Postzusteller: Am 20. Dezember 1984 wurde Gert Uwe Postel wegen Betrugs verurteilt. Der Hochstapler fälschte auch Zeugnisse für andere Jobs.
Damals ist es das große Gesprächsthema in Flensburg: Wie hat es der 26 Jahre alte Gert Uwe Postel geschafft, die Verantwortlichen des Flensburger Gesundheitsamts zum Narren zu halten? Wie hat es der gelernte Zusteller der Bundespost geschafft, stellvertretender Amtsarzt der Stadt zu werden? Der dreiste Betrug fliegt letztlich nur durch einen Zufall auf, wie das Schleswig-Holstein Magazin 2023 anlässlich des 40. Jahrestags der Festnahme von Postel berichtet.
Als Amtsarzt eingestellt worden
Von Mitte September 1982 bis Ende März 1983 ist ein gewisser Dr. Dr. Clemens Bartholdy in Flensburg als stellvertretender Amtsarzt tätig. Postel hat sich dort als Sohn eines Medizinalrats und einer Medizinaldirektorin vorgestellt. Nach einem lediglich 25 Minuten dauernden Vorstellungsgespräch soll er "bereits so gut wie eingestellt worden" sein, schreibt das "Hamburger Abendblatt" am 21. Dezember 1984. Promotion, Prüfungsergebnisse und seine angeblichen vorherigen beruflichen Stationen belegt Postel mit gefälschten Dokumenten.
Der Betrug fliegt auf, weil Postel in Flensburg Unterlagen verliert, darunter zwei Ausweise mit unterschiedlichen Namen.
Haftstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt
Das Ganze landet vor Gericht: Postel wird der Missbrauch von Titeln und der Berufsbezeichnung "Arzt", die fortgesetzte Fälschung von Gesundheitszeugnissen, Urkundenfälschung und - teilweise als Versuch begangener - Betrug vorgeworfen. Die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Flensburg verurteilt den Hochstapler am 20. Dezember 1984 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Urteil fällt recht milde aus, weil die Gesundheitsbehörde es dem falschen Arzt "auffallend leicht gemacht" habe, so der Vorsitzende Richter. Allerdings fällt ins Gewicht, dass der Tatzeitraum lang gewesen und Postel kein unbeschriebenes Blatt ist.
Schon früh in Sachen Betrug geübt
Denn schon vor der Zeit in Flensburg hat sich der "Hochstapler in Weiß" in Betrug geübt. 1979 bewirbt er sich mit einem gefälschten Abiturzeugnis beim Oberlandesgericht Bremen. Dort will er eine Ausbildung zum Rechtspfleger beginnen. Der Schwindel fliegt auf, Postel muss Geld an eine gemeinnützige Einrichtung spenden. Doch er bleibt seiner betrügerischen Linie treu und mietet unter falschem Namen als "Arzt" eine Wohnung in Bremen. Dafür wird er zu einer Geldstrafe verurteilt.
Weitere Stationen des Hochstaplers sind ein Fachkrankenhaus für Psychotherapie bei Oldenburg, das Rehabilitationszentrum des Berufsbildungswerks des Bremer Reichsbunds sowie Truppenarzt bei der Bundeswehr. Überall tischt er den Verantwortlichen Lügen auf und legt falsche Unterlagen vor. Dass er dennoch nicht sofort auffliegt, liegt unter anderem daran, dass er sich auf seine Rollen vorbereitet, Fachbücher liest und Fachausdrücke lernt.
Nach dem Aus in Flensburg arbeitet er unter anderem in einer Privatklinik im Landkreis Rosenheim und 1994 im Berufsförderungswerk Berlin als nervenärztlicher Gutachter. Später steht er kurz in den Diensten der Landesversicherungsanstalt in Stuttgart.
Freundschaft mit Rainer Pfeiffer
1995 folgt der nächste große Auftritt von Postel in Schleswig-Holstein: als Zeuge in der "Schubladen-Affäre" in Kiel. Hintergrund ist die langjährige Freundschaft mit Rainer Pfeiffer, dem ehemaligen Referenten von Ministerpräsident Uwe Barschel. Pfeiffer hatte nach dem Eklat keine Anstellung mehr bekommen und soll vom damaligen Sozialminister Günther Jansen einen fünfstelligen D-Mark-Betrag als Geldspende erhalten haben. Postel behauptet, eine wichtige Funktion in der Barschel-Affäre gehabt zu haben. Was genau er getan hat, wird nie abschließend herausgefunden.
Betrug auch in Leipzig
Und noch ein dreister Betrug: 1995 wird Postel Oberarzt an einer Psychiatrischen Klinik in Zschadraß bei Leipzig. Über seine Ernennung wird im sächsischen Kabinett beraten. Er verfasst zahlreiche psychiatrische Gutachten. Der Betrug fliegt per Zufall auf: Den Eltern einer Assistenzärztin der Klinik kommt der Name des vermeintlichen Oberarztes bekannt vor, weil sie aus Schleswig-Holstein stammen und den Namen Postel von früher kennen.
1999 wird Postel wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu vier Jahren Haft verurteilt. Über seine Zeit in Sachsen sagte Postel vor Gericht: "Alle waren sehr zufrieden mit meiner Arbeit." Nach dem Gefängnis schreibt der Hochstapler seine Autobiografie ("Doktorspiele - Geständnisse eines Hochstaplers") und heiratet - eine Juristin.
Wenig Erfolg bei Honorar-Rückforderung
Die Stadt Flensburg versucht, die an Postel gezahlten Arzthonorare aus den 1980er-Jahren aufgrund der Buchveröffentlichung zurückzufordern. Wie die "Schleswig-Holsteinische Landeszeitung" Ende 2005 berichtet, springt dabei aber nicht so viel heraus. Postel sei als Autor weniger erfolgreich als in der Rolle des Dr. Dr. Bartholdy, heißt es. Es seien nur "ein paar Hundert Euro geflossen", die Schadenssumme liege aber bei etwa 20.000 Euro.
2016 sagt Postel im Gespräch mit NDR 2, dass die Öffentlichkeit ihn geliebt habe - trotz oder wegen der Hochstapelei. "Das eigentliche Problem war für mich, dass ich in dieser Rolle immer nur gelobt wurde. Und dann fragt man sich: 'Für was wirst du jetzt eigentlich kritisiert?'" Vielleicht sei der Skandal das eigentliche Problem und nicht die inhaltliche Tätigkeit, sagt er. "Mein Chef hat geschrieben: Oberarzt Dr. Postel übertrifft die Erwartungen." Dass der vermeintliche Arzt aber gar keine entsprechende Qualifikation hat, weiß der Chef damals nicht.