Eine Zeichnung, auf der viele Männer zu sehen sind, die unter einem Baum sitzen. © picture alliance / akg-images Foto: picture alliance / akg-images

Hochstapler in der Literatur - fasziniert uns die Lüge?

Stand: 31.03.2023 10:01 Uhr

Keiner mag sie: Menschen, die sich aufplustern, Geschichten erfinden oder sich mit fremden Federn schmücken. Ganz anders ist das in der Literatur: In Büchern lieben wir die Hochstapler. Als die unterhaltsamen, schrillen oder polarisierenden Figuren einer Erzählung.

von Juliane Bergmann

Wie harmlos er doch aussieht - in all seiner Flauschigkeit. Er ist vermutlich der erste Hochstapler, von dessen Abenteuern wir uns vorlesen lassen: Der gestiefelte Kater. Dem nichtsnutzigen Kater droht dank seines neuen Besitzers ein unschönes Ende: "Lass ich mir ein paar Pelzhandschuhe aus seinem Fell machen." Das Tier - ein cleveres Kerlchen - kann seinen neuen Besitzer mit großer Überzeugungskraft und noch größeren, leeren Versprechen davon abbringen, ihn einen Kopf kürzer zu machen. Der Kater lässt sich ein paar Schuhe für den imposanteren Auftritt anfertigen und beginnt, die Menschen um den Finger zu wickeln.

Der Kater ging noch weiter, die Leute sahen ihm alle nach und weil er so wunderlich aussah, und wie ein Mensch im Stiefeln daherging, fürchteten sie sich vor ihm.

Gestiefelter Kater © picture-alliance / AKG
Der gestiefelte Kater.

Grimms "Gestiefelter Kater" ist in seiner Widersprüchlichkeit eine Art Urtyp des literarischen Hochstaplers: kein Sympath, aber ein genialer Betrüger. Einer, der mit seinen Tricksereien die dramaturgischen Fäden verknotet und enger zieht. Solche Exemplare tauchen in allen Epochen und Genres auf.

Hochstapler gibt es viele in der Literatur

Der Baron von Münchhausen, Michael Endes Scheinriese in "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer", "Der talentierte Mr. Ripley" von Patricia Highsmith oder dieser Polizist: "Also nun erzählen Sie mal, lieber Herr Voigt, wie Sie überhaupt zu der ganzen Sache gekommen sind...!" Gekonnt zu schwindeln, wusste zum Beispiel Wilhelm Voigt, der sich als Offizier ausgab und mit einem Trupp Soldaten die Stadtkasse von Köpenick bei Berlin ergaunerte. Den echten, spektakulären Überfall nahm Carl Zuckmayer zum Vorbild und machte ein sozialkritisches Drama aus dem Stoff: "Der Hauptmann von Köpenick".

Heinz Rühmann in seiner Rolle als der Hauptmann von Köpenick vor dem Hamburger Finanzamt.
Heinz Rühmann in seiner Rolle als der Hauptmann von Köpenick vor dem Hamburger Finanzamt.

1945 ist es als Hörspiel im späteren NWDR zu hören: "Ditt is doch janz einfach. Ditt weiß dochn Kind, dat man bei uns mitn Militär alles machen kann.", sagt Voigt. Der Polizist antwortet: "Ja, aber Mensch, woher hatten Sie denn das alles? Das ganze militärische Kommando, das hat doch alles bis ins Kleinste geklappt." Voigt erwiedert: "Wissen Sie, so 'ne Uniform, die macht ditt meiste janz voll alleene. Ick hab se anjezogen. Dann hab ick mir den Befehl jejeben und denn bin ick losjezogen. Den hab ick ausjeführt." Die steile These: Schuld ist, wer darauf reinfällt.

"Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" von Thomas Mann

Ähnlich dürfte das auch Felix Krull sehen. Selbstkritik? Fehlanzeige: "Meine ganze rührende und wunderbare Erscheinung entzückte die Herzen." Thomas Manns Protagonist in "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" liebt schöne Frauen, feine Kleider, edles Essen. Um zu bekommen, was er will, schlüpft er in verschiedene Rollen, fälscht Unterschriften, simuliert Krankheiten. Sein Schlüssel-Erlebnis: Felix - zum ersten Mal zu Besuch im Theater - ist erschrocken, als sich der abgeschminkte Tenor in der Garderobe plötzlich in voller Hässlichkeit zeigt: Picklig, ungepflegt, vulgär: "Die Leute, die sich so willig, ja gierig von ihm betören ließen, mussten sie nicht wissen, dass sie betrogen wurden? Wann zeigt der Glühwurm sich in seiner wahren Gestalt, wenn er als poetischer Funke durch die Sommernacht schwebt, oder wenn er als niedriges, unansehnliches Lebewesen sich auf unserem Handrücken krümmt? Hüte dich, darüber zu entscheiden!"

Rumänischer Hoteldieb und Heiratsschwindler Georges Manolescu

Was macht einen Künstler aus? Wieviel Wahrheit verträgt die Kunst? Oder ist es gerade die Lüge, die uns fasziniert. Die Hochstapler lassen uns nachdenken. Doch kaum einer treibt es so weit wie der rumänische Hoteldieb und Heiratsschwindler Georges Manolescu. Der findet seine eigenen Betrügereien so erzählenswert, dass er um 1900 - zwangseingewiesen in eine Psychiatrie - seine Memoiren schreibt, unter dem Titel "Fürst Lahovary": "Ich möchte jedoch erwidern, dass, wenn ich auch ein Abenteurer ersten Ranges war, ich für meine Person doch nie Gewalt, nie eine Waffe angewendet habe, ja nicht einmal eine schweren Einbruch verübt habe. Meine Waffen waren Intelligenz und Kaltblütigkeit." An Selbstbewusstsein scheint es den Hochstaplern auf jeden Fall nicht zu mangeln.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 01.04.2023 | 07:20 Uhr

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