Roman "Der ewige Tanz": Das aufregende Leben der Anita Berber
In Steffen Schroeders neuem Buch steht Anita Berber im Mittelpunkt, die "Skandaltänzerin" der 1920er-Jahre. Ein schwindelerregend choreografierter Roman, der uns die oft missinterpretierte Künstlerin näher bringt.
Die Welt der Varietés lernt Anita früh kennen. 1914, als Dreizehnjährige, fährt sie in Begleitung ihrer geliebten Großmutter von Dresden nach Berlin, wo sie ihre Mutter Lucie zum ersten Mal auf der Bühne sieht. Die Atmosphäre, die Musik - Anita spürt, dass sich hier eine neue Welt für sie öffnet. Besonders ergreift sie der Auftritt der Tänzerin Marietta di Regardo.
Der Körper bot Ausdrucksmöglichkeiten, die unendlich waren. Schließlich gab es doch so viele Dinge, die man nicht in Worte fassen kann, bei deren Wirkmacht die Stimme versagte. Aber tanzen, dachte sie, tanzen konnte man alles." Leseprobe
Schon als kleines Kind hat Anita Ballettunterricht und ist so talentiert, dass Lucie Berber ihre Tochter bald als Konkurrentin wahrnimmt. Das Verhältnis der beiden bleibt bis zu Anitas Tod 1928 angespannt. Der Vater bleibt für Anita unerreichbar.
Anita Berber: Berliner Ikone der 1920er-Jahre
Steffen Schroeder hat sich intensiv mit Anita Berbers Lebensgeschichte beschäftigt, ist jeder kleinsten biografischen Spur gefolgt. "Die Eltern haben sich früh getrennt, und der Vater ist eine einzige Leerstelle. Er geht ihr aus dem Weg. Er war ja ein ganz berühmter Violinist, hat noch mit Brahms musiziert, war Leiter des Leipziger Gewandhausorchesters. Und das ist eine Episode, die belegt ist, dass sie versucht hat, ihn nach einem Konzert aufgesucht hat, und er nur sagte: ich kenne sie nicht."
Als "Nackttänzerin", die sie gar nicht war, weil sie ihre Scham immer bedeckt hielt, wird "die Berber" bis heute dargestellt. Was sie war: eine Ikone des Berliner Nachtlebens der 1920er-Jahre, ein Männer wie Frauen liebender Stummfilmstar. Schroeder zeigt sie auch als Frau mit Ängsten und Zweifeln. "Mich hat immer interessiert, wie der Mensch Anita Berber hinter diesem Mythos war", sagt er. "Es war mir wichtig, nicht so ein Abziehbild einer Femme fatale zu zeichnen, sondern den Menschen dahinter zu entdecken."
Und das gelingt Steffen Schroeder. Die Passagen, in denen wir die Berber als Ausnahmekünstlerin erleben, die sich ihrem ausschweifenden Leben hingibt, die abhängig von Morphin und Kokain wird, die am Tag eine Flasche Cognac trinkt, die auch mal handgreiflich wird - und die eine Abtreibung hinter sich bringen muss, erzählt er fast atemlos. "Mich hat speziell auch das Ausloten von Grenzen interessiert, die Gegensätze. Sie hat die Hure getanzt, die Heilige, den Selbstmord, die Schwangerschaft. Und sie hat sich sehr mit Personen am Rande der Gesellschaft beschäftigt, mit Prostituierten; ihre Bisexualität war ein großes Thema. In der Kunst sind das immer Bereiche, die mich interessieren."
Erinnerungen einer Todgeweihten
Diesen Episoden, in denen wir die rastlose Anita Berber erleben, fügt Steffen Schroeder aber eine weitere Ebene hinzu. Hier verlangsamt sich das Erzähltempo, sodass der Dämmerzustand, in dem sich Anita Berber befindet, spürbar wird. Die todgeweihte Tänzerin ist Ende 20, als sie, völlig geschwächt und mit der Diagnose Tuberkulose, im Berliner Bethanien-Krankenhaus liegt. Steffen Schroeder erlebte in seinem Schreibprozess, den er wie eine "Reise" empfunden hat, wie er im Nachwort sagt, auch eine besondere Form der Identifikation mit seiner Figur: "Diese Tuberkulose (...) Ich bekam einen Husten, wie ich ihn noch nie erlebt habe und habe gedacht, ich hustete mir die Seele aus dem Leib."
Seit ein paar Tagen gehört sie nun zu den Dauerbewohnerinnen der "Hustenburg", wie die Baracke intern genannt wird. Der Großteil der Schwindsüchtigen wird tagsüber in die Frischluft-Liegehalle gebracht. Nur bei hoffnungslosen Fällen sparen sich die Diakonissen den Aufwand. Seitdem Anita nun offenbar zu Letzteren zählt, lässt sich auch der alte Arzt nicht mehr blicken. Leseprobe
Wie auf einer Drehbühne ziehen hier die Erinnerungen an ihr vorüber. Und damit die Menschen, mit denen sie tanzte und lebte, die sie liebte und die sie besitzen wollten. Der Regisseur Fritz Lang, Marlene Dietrich, Leni Riefenstahl, Otto Dix, der sie mit erschreckend verlebten Zügen malte. "Der Ewige Tanz" ist ein schwindelerregend choreografierter Roman, der uns die oft missinterpretierte Frau und Künstlerin Anita Berber näher bringt.
Der ewige Tanz
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt Berlin
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00798-5
- Preis:
- 24 €
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
