Fall Barschel: "Schubladenaffäre" bringt Engholm zu Fall
1993 nimmt die Barschel-Affäre eine überraschende Wendung: Barschel-Berater Pfeiffer erhielt Geld von Seiten der SPD. Was wusste Björn Engholm? Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein stürzt über den Skandal.
Die Landtagswahl 1988 in Schleswig-Holstein ist einige Monate nach der Barschel-Affäre ein Triumph für die SPD. Sie erringt die absolute Mehrheit, Björn Engholm wird Ministerpräsident. Der Beginn einer steilen Karriere. Engholm wird SPD-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat. Dann folgt der jähe Absturz. Die Zeitschrift "Stern" berichtet Anfang 1993 über Geldgeschenke der SPD an die Schlüsselfigur der Barschel-Affäre, Reiner Pfeiffer. Der steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Überbringer ist der frühere Sprecher der Landespartei, Klaus Nilius. Dieser - so behauptet Pfeiffer später - habe ihm mehrere Zehntausend D-Mark gegeben: "Und dann hat er mir gesagt, ein Bauunternehmer hat sich bei mir gemeldet und möchte Ihnen helfen, aber er möchte nicht mit Ihnen direkt in Kontakt treten und hat uns gebeten, das zu übernehmen."
Geld über Jahre in der Küchenschublade gesammelt
Einige Monate später wird eine kaum weniger abenteuerliche Version bekannt: Sozialminister Günter Jansen will das Geld zusammen mit seiner Frau in der Küchenschublade gesammelt haben - über Jahre in kleinen Scheinen. "Es ist brisant, aber dass man jemanden, der so durchhängt, so in ein soziales Loch fällt, helfen muss, dafür stehen wir beide gerade ...", erklärt Jansen sein Verhalten.
Die Geschichte vom mildtätigen Spitzengenossen will kaum jemand glauben. Selbst Parteifreunde wie Norbert Gansel, früher Oberbürgermeister von Kiel, haben erhebliche Zweifel: "Die Vorstellung, dass man 40.000 D-Mark in der Küchenschublade hat, die konnte man Günter Jansen eigentlich nicht abnehmen. Der nüchterne Beobachter konnte damals zu dem Ergebnis kommen, dass Pfeiffers Manöver eine Form der Erpressung war." Erpressung, womit? Stand Pfeiffer gar in Diensten der SPD? Haben führende Genossen zumindest eher von dessen Machenschaften in der Barschel-Affäre gewusst, als bislang bekannt?
Engholm gerät in Bedrängnis und tritt zurück
In Bedrängnis gerät nun Björn Engholm. Noch im Herbst 1987, kurz nach den ersten "Spiegel"-Veröffentlichungen, hatte er gesagt: "Ich bin meinem Herrgott dankbar, dass ich nicht unterrichtet gewesen bin. Ich habe mehrfach betont: Hätte ich von dem Schmutz gewusst, glaube ich nicht, dass ich den Wahlkampf überstanden hätte. Ich hätte vermutlich auch mit Herrn Barschel keine der beiden Fernsehdiskussionen führen können im Bewusstsein, dass er vielleicht Urheber vieler dieser Dinge ist." Wie ein Untersuchungsausschuss später herausfindet, ist diese Aussage falsch. Auch Engholm wusste schon eher von Pfeiffers Machenschaften, möglicherweise vielleicht sogar schon Wochen oder Monate.
Immer größer wird der Druck. Am 3. Mai 1993 zieht Engholm schließlich die Konsequenzen: "Im Bewusstsein der geleisteten und getanen Arbeit und in der Absicht, mein Land und meine Partei davor zu bewahren, mit meinem politischen Fehler identifiziert zu werden, werde ich mein Amt als Ministerpräsident und meine Funktionen in der SPD aufgeben." Seine Nachfolgerin in Kiel wird Heide Simonis, neuer Parteichef und Kohl-Herausforderer Rudolf Scharping.