26.05.1972: Fahndungsplakat RAF Erste Generation © picture-alliance / dpa

Terror der RAF: Hamburg war eine Bastion

Stand: 29.07.2020 08:55 Uhr

Hamburg war eine Bastion der Roten Armee Fraktion (RAF) - das sagt der Historiker Wolfgang Kraushaar. Einige Mitglieder der Terroristen-Gruppe hatten eine Hamburger Vergangenheit.

von Danny Marques

Am 19. Mai 1972 erschüttern Explosionen die Hamburger Innenstadt. Zwei Bomben gehen im Hochhaus des Springer-Gebäudes an der Kaiser-Wilhelm-Straße hoch. 38 Menschen werden verletzt. "Eine Bombe hat versagt. Wenn die auch noch explodiert wäre, hätte das der schlimmste Anschlag in der Geschichte der RAF sein können", sagt der Historiker Wolfgang Kraushaar.

Ulrike Meinhof wuchs in Blankenese auf

Drahtzieherin war die Journalistin Ulrike Meinhof. Durch ihre Kolumnen in der linken Zeitschrift "Konkret" war sie berühmt geworden. Sie radikalisierte sich und half am 14. Mai 1970, Andreas Baader zu befreien. Es ist die Gründungsstunde der RAF. Vorher hatte Meinhof ein bürgerliches Leben in Blankenese geführt.

Auch Holger Meins wird mit Andreas Baader verhaftet

In der RAF spielten einige Hamburger eine wichtige Rolle, zum Beispiel auch der in Eimsbüttel geborene Holger Meins. Er wird zusammen mit Andreas Baader verhaftet. 1974 stirbt er im Gefängnis nach einem Hungerstreik. Die RAF geht von einem Mord aus und rächt ihn am 24. April 1975 mit dem "Kommando Holger Meins".

Karl-Heinz Dellwo verrät die Mittäter nicht

Das "Kommando Holger Meins" dringt in die deutsche Botschaft in Stockholm ein und nimmt Geiseln. Mit dabei ist auch Karl-Heinz Dellwo, der zuvor unter anderem bei der Post in Stellingen gearbeitet hat. Zwei Geiseln werden erschossen. Wer schoss, das haben die überlebenden Täter nie verraten. Heute sagt Dellwo:

Dazu werde ich nie etwas sagen. Weil ich die Frage auch für bedeutungslos halte. Sie ist nur von Interesse in einer Personalisierung. Um innerhalb einer Gruppe nochmal spalten zu können. Der oder diejenige ist jetzt der oder diejenige besonders böse. In dieser Angelegenheit ist jeder von uns verantwortlich.

Hinterbliebene bleiben im Ungewissen

Die Hinterbliebenen werden wohl niemals erfahren, wer ihre Verwandten getötet hat. Der Hamburger Rechtsanwalt Clais von Mirbach ist der Sohn des in Stockholm ermordeten Diplomaten Andreas von Mirbach. Er sagt:

Man lernt natürlich damit umzugehen, wir haben alle ein schönes Leben geführt. Aber ich glaube nicht, ohne dass auch nur ein Tag vergeht, ohne dass man an den denkt, der nicht mehr da ist.

Wurzeln der RAF in der 68er-Bewegung

Die Wurzeln der RAF reichen in die Studentenbewegung der späten 1960er-Jahre, ihre exakte Verbindung ist jedoch unter Historikern umstritten. Als zentralen Begriff ihres Selbstverständnisses verwendet die RAF "Stadtguerilla". Damit rückt sie sich in die Nähe revolutionärer Vereinigungen in Lateinamerika. Ihr gemeinsames Ziel: Veränderung des politischen Systems durch eine kleine Gruppe - auch mit Gewalt.

Erste Banküberfälle und Bombenanschläge der RAF

Das erste Opfer der RAF ist 1971 der Hamburger Zivilfahnder Norbert Schmid, es folgen ein Polizist aus Kaiserslautern und im März 1972 der Leiter einer Sonderkommission der Hamburger Polizei, Hans Eckhardt. Nach einer Serie von Raubüberfällen auf Banken verübt die RAF im Mai 1972 den ersten Bombenanschlag: auf das Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt am Main. Kurz danach gibt es weitere Anschläge unter anderem auf das Gebäude des Axel-Springer-Verlages in Hamburg und das europäische Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg. Die Polizei löst eine Großfahndung aus und nimmt innerhalb weniger Monate zahlreiche führende RAF-Terroristen fest, darunter die Gründungsmitglieder Baader, Meinhof und Ensslin.

Stichwort: RAF

Der Stammheim-Prozess

1975 beginnt ihr Prozess in einem eigens errichteten, hoch gesicherten Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim. Daran nimmt als Wahlverteidiger der Angeklagten unter anderem der spätere Bundesinnenminister Otto Schily teil. Im Gerichtssaal erklärt er: "Was hier in diesem Verfahren stattfindet, kann man nicht anders benennen als die systematische Zerstörung aller rechtsstaatlichen Garantien." Damit spielt er darauf an, dass das Verfahren von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet wird: bedrohten Zeugen, abgehörten Gespräche zwischen Angeklagten und Verteidigern sowie dem Hungerstreik der Beklagten, die den Prozess von Beginn an massiv stören.

RAF-Entführungen im "Deutschen Herbst"

Hanns Martin Schleyer in der Gewalt der RAF. © picture-alliance/ dpa
Von der RAF entführt und später getötet: Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer.

Das Ende der Gewalt bewirkt das Verfahren nicht. Die "zweite Generation" der RAF verübt stattdessen immer brutalere Anschläge und tötet unter anderem Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Bankier Jürgen Ponto. Seinen Höhepunkt erreicht der Terror 1977 während des sogenannten Deutschen Herbstes, der mit der Entführung von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer am 5. September beginnt. Am 13. Oktober eskaliert die Situation weiter, als ein Terrorkommando den Lufthansa-Jet "Landshut" nach Mogadischu entführen. Mit der Aktion wollen sie ihre Gesinnungsgenossen in Stammheim aus der Haft freipressen. Doch die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) gibt nicht nach und lässt den Jet am 18. Oktober von der Sondereinheit GSG 9 stürmen - alle 82 Passagiere überleben. Nur einen Tag später wird der entführte Hanns Martin Schleyer ermordet aufgefunden. Er ist einer von 34 Toten, die auf das Konto der RAF gehen.

Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe erfahren im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim davon, dass ihre geplante Befreiung gescheitert ist. Nur Stunden nach dem Ende des "Landhut"-Dramas werden sie tot in ihren Zellen gefunden - noch während der Prozess gegen sie läuft. Die Umstände ihres Selbstmordes sind bis heute umstritten und werden auch mit den harten Haftbedingungen in Verbindung gebracht.

Das Morden nimmt kein Ende

Eine "dritte Generation" ändert Anfang der 80er-Jahre die Strategie und will die RAF internationalisieren. Das Morden geht dabei weiter. Die prominentesten Opfer sind Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Alfred Herrhausen (1989) und Karsten Rohwedder, Vorsitzender der Treuhand (1991). Er gilt als letztes Mordopfer der RAF.

Das Ende der RAF: Viele Fragen bleiben offen

Fahndung nach ehemaligen RAF-Mitgliedern auf der Website des Bundeskriminalamts vom Februar 2012. © Bundeskriminalamt
Auf seiner Website zeigt das Bundeskriminalamt Fahndungsfotos von mutmaßlichen RAF-Terroristen.

Am 20. April 1998 geht bei der Nachrichtenagentrur Reuters ein achtseitiges Schreiben ein, in dem die RAF erklärt: "Heute beenden wir dieses Projekt". Die Autoren bleiben unbekannt, Ermittler halten das Papier aber für authentisch. Die Akte RAF beschäftigt Staatsschützer allerdings noch immer. Viele Taten konnten nicht aufgeklärt werden, das Bundeskriminalamt fahndet weiterhin nach mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe.

Weitere Informationen
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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal Spezial | 29.07.2020 | 20:00 Uhr

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