Stand: 08.08.2007 07:20 Uhr

Wie fair war der Stammheim-Prozess?

von Claudia Venohr

Der kriminellen Vereinigung RAF wurden Bombenanschläge, Banküberfälle, Morde und mehr als 50 Mordversuche angelastet. Am 21. Mai 1975 wurde das Verfahren im neuen, hochgesicherten, fensterlosen Stammheimer Gerichtsbunker eröffnet. Es begann ein nervenaufreibender Kleinkrieg.

"Beide Seiten gingen ja davon aus, dass sie hier einen Endkampf führten. Die RAF ging davon aus, dass sie hier die Weltrevolution eingeleitet hat", so der Frankfurter Rechtshistoriker Thomas Henne, "und die Justiz ging davon aus, dass hier die endgültige Besiegung der Roten Armee Fraktion stattfinden würde."

Die Ideologie der RAF

Die RAF propagierte den "revolutionären Kampf bis in den Tod". "Wenn eine Auseinandersetzung diese letzte Radikalität annimmt, wenn ich jemand anderen erschießen will, wenn der andere zum Feind wird und die totale Vernichtung angestrebt wird, dann ist auch der Dialog zuende, die Vermittlung, die dazwischen stattfindet, ist eben dann tatsächlich der Krieg", so lautet es in einem Erklärungsversuch vom damaligen RAF Verteidiger Gudrun Ensslins, Otto Schily.

Nach dieser Ideologie sah sich die RAF als politische Gefangene in Isolationshaft genommen und protestierte mit Hungerstreiks oder im Gerichtssaal so, wie es der Journalist Ulf Stuberger von Andreas Baader erzählt. "Er hat ziemlich cholerisch reagiert und hat ziemlich leichtfertig und sehr oft irgendwelche Verbalinjurien abgelassen. Ich glaube, das Politische hat er nur vorgeschoben."

Ulf Stuberger, als einziger Journalist ständiger Prozessbeobachter, erlebte viele Gerichtstage ohne die Angeklagten. Verhandlungen in Abwesenheit waren ebenso neu im Strafprozess wie der Ausschluss der Wahlverteidiger, die der Konspiration verdächtigt wurden und darin die gezielte Zerstörung der Verteidigerrechte vermuteten. Generalbundesanwalt Siegfried Buback widersprach. Er halte diese Vorwürfe für unberechtigt und für reine Behauptungen. Die Angeklagten wären durch mehrere Verteidiger, die alle mit dem Prozessstoff hinreichend vertraut seien, vertreten.

Ein fairer Prozess?

Doch die vom Gericht bestellten Pflichtverteidiger wurden ihrer Aufgabe nur teilweise gerecht, sagt Ulf Stuberger. "Die haben eine Menge Geld verdient und mussten nichts tun. Zum Teil gab es da einige, die sich etwas mehr engagiert haben und wie ich sage, etwas mehr aufgewacht sind. Andere haben noch nicht mal die Akten gelesen und wirklich geschlafen."

"Andreas Baader hat einmal gesagt, die RAF ist nicht justiziabel", sagt Rechtshistoriker Dr. Henne. "Das Strafrecht und das Strafprozessrecht, das hier zur Anwendung kam, war dafür nicht geschaffen."

Eilig wurden deshalb Sondergesetze beschlossen. Wahlverteidiger Otto Schily kritisierte damals, von den Fassaden des Rechtsstaats seien nur noch klägliche Ruinen übriggeblieben. Drei Wochen vor dem Urteil wurde Generalbundesanwalt Buback von der RAF ermordet. Als am 28. April 1977 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, war Ulrike Meinhof bereits tot. Sie hatte sich in ihrer Zelle erhängt.

War es ein fairer Prozess? "Die Antwort lautet 'Nein'", meint Ulf Stuberger, der ein Buch über die 'Tage von Stammheim' verfasst hat. "Die Politik hat sich in dieses Verfahren zu sehr eingemischt."

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NDR Info | Aktuell | 08.08.2007 | 07:20 Uhr

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