Morbus Sundensis: Wie Stralsund den Typhus besiegte
Stralsund ist umgeben von Wasser. Doch die idyllische Lage hatte auch ihre Schattenseiten. In der Hansestadt gab es - so paradox es klingen mag - kein sauberes Trinkwasser. Typhus war lange Zeit eine Gefahr für Leib und Leben.
In der Stadt am Strelasund geht im 19. Jahrhundert eine tödliche Krankheit um: Morbus Sundensis, auch Stralsundsche Krankheit genannt. Es handelt sich dabei um eine nicht enden wollende Typhus-Epidemie. Auf die damals 15.000 Einwohner kommen etwa 1.000 Erkrankte. Stralsund gilt unter den deutschen Städten als "Typhusnest erster Klasse". Und die Stadtväter sind lange Zeit ratlos. Ein Stralsunder will sich nicht mit der epidemischen Lage abfinden: Der Arzt und Medizinalrat Dr. Carl Friedrich Pogge macht sich auf die Suche nach dem Erreger.
Familie Pogge in Vorpommern stark vertreten
Die Pogges sind eine bedeutende Familie in Vorpommern. Unter ihnen befindet sich ein bekannter Spielkartenfabrikant, ein berühmter Maler, ein honoriger Rechtsanwalt und der große Mediziner. Im Stralsund Museum und im Stadtarchiv liegt der umfangreiche Familiennachlass.
Mehr als 150 Jahre später betreibt ein direkter Nachfahre Ahnenforschung. Jan Skrodzki begreift schnell die Bedeutung der Familie Pogge: "Ich wäre sozusagen der sechste Carl Friedrich Pogge. Meine Mutter war eine geborene Pogge, aber die männliche Linie wurde in unserem Zweig sozusagen nicht fortgeführt."
Carl Friedrich Pogge war ein Schüler von Robert Koch
Seine Spurensuche führt den Urururenkel weiter ins Stralsunder Stadtarchiv. Auf der Suche nach seinem berühmten Vorfahren - dem Arzt Carl Friedrich Pogge - wird Jan Skrodzki bei dessen Leiter Dirk Schleinert fündig. Der zeigt ihm die Promotionsurkunde des Arztes. Carl Friedrich Pogge: ein Schüler von Robert Koch. Wie seinen Lehrmeister interessieren auch ihn Bakterien.
Hunderte von Stralsunder Bürgern erkranken an Typhus
Nach der Promotion in Berlin kommt Pogge 1867 nach Stralsund, er lässt sich dort als Arzt nieder und heiratet eine Gutsbesitzertochter. Die beiden bekommen drei Kinder. Das Sterben in Stralsund geht derweil weiter. "Man kann in der Tagespresse immer wieder lesen, dass Typhus eine Dauerbegleiterscheinung in der Hansestadt war. Sie ist geradezu jährlich aufgetreten. Es gab Dutzende, in besonders schlimmen Jahren auch Hunderte Erkrankte", erläutert Dirk Schleinert vom Stadtarchiv Stralsund die damalige Situation in der Stadt.
Das lässt den Arzt Dr. Carl Friedrich Pogge nicht los - und er hat auch einen Verdacht, wo die Ursache zu finden ist. "Es waren immer räumlich begrenzte Bereiche, in denen diese Typhus-Fälle auftraten. Und deswegen hat man schnell den Zusammenhang erkannt, dass es mit dem Wasser zu tun haben muss", erklärt Schleinert.
Trinkwasser kommt jahrhundertelang aus Stadtteichen
Die Stadt ist umgeben von Wasser, doch der Sund ist salzig. Deshalb beziehen die Stralsunder ihr Trinkwasser jahrhundertelang aus den Stadtteichen, wie zum Beispiel dem Knierperteich. Diese sind aber damals durch gewerbliche Abwässer und Fäkalien stark verunreinigt.
"Es gibt viele Krankheiten, die auf die Wasserversorgung zurückzuführen sind. Ganz oben: Typhus. Deshalb existiert auch die Bezeichnung, die dann kursierte: Morbus sundensis. Morbus ist die Erkrankung. Sundensis der Sund. Also Stralsund bezogen." Karl-Heinz Gittler forscht über die Geschichte der Stralsunder Wasserversorgung
Die Hansestadt baut die Kanalisation aus
Seinerzeit wird noch die alte Technik aus dem 17. Jahrhundert angewandt, die sogenannte Wasserkunst versorgte Stralsund mit Wasser. Sie steht neben dem zugehörigen Wasserturm am Kütertor. Angesichts der Epidemien baut die Stadt die Kanalisation aus und forciert die Suche nach sauberem Trinkwasser. Mit den Wasser-Untersuchungen ist damals Dr. Carl Friedrich Pogge betraut. Dessen Ergebnisse stoßen auf großes Interesse. Besonders bei Stadtbaumeister Ernst von Haselberg, der sich ebenso wie Pogge mit dem Zusammenhang der hygienischen Verhältnisse und dem Trinkwasser beschäftigt. Und die daraus ihre Schlüsse ziehen.
Wasserwerk am Borgwallsee löst Wasserkunst ab
1894 errichtet die Stadt unter der Leitung von Ernst von Haselberg in Lüssow am Borgwallsee ein Wasserwerk, das die Wasserkunst ablöst. Erst mit Carl Friedrich Pogges Erkenntnissen über die hygienischen Verhältnisse ist den Stadtvätern die Notwendigkeit für den Neubau bewusst geworden. Morbus sundensis, die gefürchtete Stralsunder Krankheit, ist schlagartig kein Thema mehr. Dank des sauberen Trinkwassers hat die Stadt die Krankheit besiegt.
Carl Friedrich Pogge stirbt 1906 in Stralsund. Sein Grab befindet sich auf dem heute aufgelösten, parkähnlichen Frankenfriedhof. "Das ist für mich total berührend, dass mein Urururgroßvater hier liegt und meine Großtante und für mich zumindest was gefunden wurde, was ich noch erleben kann zu meiner Lebzeit", sagt Jan Skrodzki.
Das Lebenswerk des Dr. Carl Friedrich Pogge bleibt. Morbus sundensis ist besiegt.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Neuzeit
