Joachim Gauck: Ein Bundespräsident, der sich einmischte
Als erster Ostdeutscher wurde der frühere DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck am 18. März 2012 zum Staatsoberhaupt gewählt. Schon zuvor galt er als "Sieger der Herzen". Als Bundespräsident a.D. dürfte er mit seinem Appell "Frieren für die Freiheit" bei einigen allerdings Sympathie eingebüßt haben.
Freiheitskämpfer und Aufklärer, Mahner und Versöhner: Parteiübergreifend wird Joachim Gauck von Politikern und Bürgern geschätzt. Schon bei der verlorenen Präsidentenwahl im Jahr 2010 gilt der gebürtige Rostocker als "Sieger der Herzen". Und nach Christian Wulffs Affären-bedingtem Rücktritt im Februar 2012 wird Gauck in der Diskussion über die Nachfolge laut Umfragen in der Bevölkerung zum beliebtesten Kandidaten. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihn am Handy fragt, ob er als gemeinsamer Kandidat von Union, FDP, SPD und Grünen für das höchste Amt im Staate zur Verfügung stehe, muss er nicht lange überlegen.
Amtsantritt unter hohen Erwartungen
Mit überwältigender Mehrheit wird der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und frühere Pastor am 18. März 2012 von der Bundesversammlung zum elften - und ersten parteilosen - Staatsoberhaupt der Bundesrepublik gewählt: Zwar verweigern mindestens 103 Delegierte aus dem eigenen Lager ihrem Kandidaten die Stimme und auch die Linkspartei unterstützt Gauck nicht, doch bereits im ersten Wahlgang kann der damals 72-Jährige 991 Stimmen auf sich vereinen. Für sein Gegenkandidatin Beate Klarsfeld votierten 126 Delegierte.
Als Gauck am 23. März vereidigt wird, gilt er vielen bereits als "Volkspräsident" oder "Präsident der Herzen" - kaum ein Präsident zuvor dürfte mit so vielen Vorschusslorbeeren in sein Amt getreten sein.
Gauck steht für die Aufarbeitung des DDR-Unrechtsregimes
Für die meisten ist der Name Joachim Gauck untrennbar mit der Aufarbeitung des DDR-Unrechtsregimes verbunden. Nach ihm benannte der Volksmund die Behörde, die sich um die Verwaltung und Auswertung der Stasi-Unterlagen kümmerte. Gauck stand ihr bis zum Jahr 2000 vor. Als Sohn eines Seemanns wurde er am 24. Januar 1940 in Rostock geboren. Seine Familie bekam einige Jahre später den Stalinismus der frühen DDR-Jahre zu spüren: 1951 wurde sein Vater als angeblicher Spion für vier Jahre nach Sibirien verschleppt - für Gauck das einschneidende Erlebnis, das ihn zur Politik führte. "In einer Welt der Ja-Sager musste es die geben, die es wagten, Nein zu sagen oder wenigstens 'Nein zu tun'", erklärte er einmal.
Ein Vorkämpfer der friedlichen Revolution
Am liebsten wäre Gauck Journalist geworden, doch seine Weigerung, sich dem DDR-System zu beugen und der Jugendorganisation FDJ beizutreten, hatte ihm diesen Weg versperrt. Stattdessen studierte er von 1958 bis 1965 Theologie in seiner Heimatstadt Rostock. Gauck wurde Pfarrer in Lüssow (Kreis Güstrow) und kehrte als solcher in die Hansestadt zurück. Anfang der 80er-Jahre geriet er wegen seiner kritischen Haltung in Umwelt- und Menschenrechtsfragen schließlich ins Visier der Staatssicherheit.
Im Wende-Herbst 1989 avancierte der Theologe als Sprecher des Neuen Forums zu einer der führenden Figuren der friedlichen Revolution. Von März 1990 bis zum Ende der DDR vertrat der Pastor das Neue Forum schließlich als Abgeordneter in der frei gewählten Volkskammer. In dieser Zeit übernahm er auch die Führung des "Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit" und leitete die systematische Aufarbeitung der Stasi-Machenschaften ein.
Beharrlich gegen das allgemeine Vergessen
Sein bemerkenswertes Engagement führte 1991 dazu, dass Gauck zum ersten Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR gemacht wurde. Dem Bestreben, "die Vergangenheit ruhen zu lassen" stellte er sich damals weiter beharrlich entgegen. Seiner Ansicht nach wäre es sonst auf eine "Verabredung des allgemeinen Vergessens" hinausgelaufen. Für seine Arbeit erhielt er im Jahr 2000 das Große Bundesverdientskreuz mit Stern. Nach seiner Zeit als Behörden-Chef setzt sich Gauck für Gerechtigkeit in der Gesellschaft ein, "mischt sich halt ein", wie er selbst sagt - etwa als Schriftsteller und als Vorsitzender des Vereins gegen Vergessen und für Demokratie.
Streitbarer Bundespräsident "aus der Mitte der Bevölkerung"
Wissend, dass die Erwartungen an ihn hoch sind, stellt er als frisch gekürtes Staatsoberhaupt frühzeitig klar: "Ihr habt keinen Heilsbringer oder Heiligen oder Engel, Ihr habt einen Menschen aus der Mitte der Bevölkerung als Bundespräsidenten." Gauck ist kein Mann, der mit der Faust auf den Tisch schlägt, doch in der Sache ist er für Beharrlichkeit bekannt. So versucht er regelmäßig, das Thema Menschenrechte in den Mittelpunkt zu stellen.
Als er als erster deutscher Bundespräsident 2014 die Eröffnungsrede bei der Münchner Sicherheitskonferenz zeigt er sich streitbar. Er fordert mehr deutsches außenpolitisches Engagement, mehr Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen - und auch vor dem Hintergrund der Nazi-Vergangenheit dürfte Deutschland sich nicht wegducken: "Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein", so die Position des Bundespräsidenten, der stets betont, sich nicht in die exekutive Politik einmischen zu wollen.
Deutliche Worte zu Menschenrechts- und Flüchtlingspolitik
Mit seiner persönlichen Meinung allerdings hält er nicht hinter dem Berg. So sagt Gauck auch seinen Besuch bei den Olympischen Winterspielen im russischen Sotschi ab. Das wird als Kritik an der russischen Menschenrechtspolitik interpretiert. In der Flüchtlingsfrage spricht er angesichts fremdenfeindlicher Gewalt von "Dunkeldeutschland", warnt 2015 am Tag der Deutschen Einheit aber auch vor naivem Optimismus: "Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich."
Mutmacher und Kämpfer für die Demokratie
Mit Argusaugen beobachtet Gauck auch während seiner Amtszeit die demokratischen Prozesse im Land - und entlässt die Bürger dabei nicht aus ihrer Verantwortung. Das allgemeine Schimpfen auf "die Politiker" kritisiert er scharf und mahnt statt dessen an, es selber besser zu machen und die Dinge anzupacken, die nicht gut laufen im Land. Dennoch, so konstatiert er in seiner Abschiedsrede im Januar 2017: "Es ist [...] das beste, das demokratischste Deutschland, was wir jemals hatten."
Gauck verzichtet auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident, seine Präsidentschaft endet am 18. März 2017 - und mit einer Bitte: "Wenn ich an die nachfolgenden Generationen denke, dann wünsche ich mir den Mut, aktuellen Herausforderungen so zu begegnen, dass dieses Land so lebenswert bleibt - am besten noch ohne einige der uns bekannten Mängel."
Ukraine-Krieg: "Frieren für die Freiheit" erbost Tausende
Auch als Bundespräsident a.D. nimmt er Stellung zu aktuellen sozialen und politischen Ereignissen. Mit einer seiner Äußerungen in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine löst er allerdings breite Empörung aus: Am 9. März befürwortet er in der ARD-Sendung "Maischberger" einen möglichen Importstopp für russische Energie nach Deutschland - und sagt, man könne "für die Freiheit auch einmal frieren". Ausgerechnet die großen Teile der deutschen Bevölkerung, die von jeder Preissteigerung hart getroffen sind, hat er dabei offenbar nicht im Blick - und sie nehmen es ihm mit wütenden Kommentaren in den sozialen Medien übel. Zynisch sei das aus dem Munde eines Menschen, der sich um seine finanzielle Zukunft keine Sorgen mehr machen müsse, heißt es. Ob der einstige "Sieger der Herzen" damit dauerhaft Sympathiepunkte eingebüßt hat, bleibt abzuwarten.