Vor 200 Jahren: Große Halligflut überrascht die Menschen im Schlaf
In der Nacht vom 3. auf den 4. Februar 1825 brechen an der Nordseeküste zahllose Deiche, ganze Inseln werden überflutet. Tausende Küstenbewohner flüchten sich auf die Häuserdächer, 800 Menschen sterben in den Fluten.
Der 3. Februar 1825 ist ein stürmischer Wintertag, es regnet seit Tagen. Gegen Abend setzen Hagelschauer ein, der Sturm dreht auf Nordwest. Orkanböen treiben über die Nordsee hinweg und drücken die Wassermassen an die Küsten und in die Flussmündungen hinein. Dass sich eine Katastrophe anbahnt, ahnen die Menschen nicht: "Oft schon hatte man stärkere Stürme aus demselben Windstrich erlebt. Am wenigsten fiel es jemandem ein, Gefahr für die Deiche zu befürchten oder gar den Durchbruch derselben und die Überströmung des Küstenlandes", berichtet der Emdener Geograf und Kulturhistoriker Fridrich Arends in seinem 1826 verfasste "Gemählde der Sturmfluthen von 1825".
Menschen vertrauen auf den Schutz der Deiche
Über ein Jahrhundert, seit der Weihnachtsflut im Jahr 1717, hatten die Deiche die Fluten abgehalten, "hatten die Marschbewohner im Schutz ihrer Dämme ruhig und sicher gelebt(…). Sollte der jetzige Sturm mehr schaden, wohl gar die Dämme zerreißen können? Schon der Gedanke daran hätte ein Lächeln erregen müssen", berichtet Arends weiter. Und so bleiben die Menschen gelassen - sogar noch, als das Wasser mancherorts bis zur Deichkrone steht.
Wassermassen lassen Deiche brechen
Doch es ist keine gewöhnliche Sturmflut, die sich anbahnt. Bereits das normale Hochwasser fällt am 3. Februar deutlich höher als normal aus, der Vollmond hat zudem eine Springflut hervorgerufen - zusammen mit dem schweren Sturm aus Nordwest eine fatale Kombination. Mit ungeahnter Macht bahnen sich die Wassermassen ab dem späten Abend ihren Weg. Zahllose Deiche brechen, ganze Häuser werden von den Wassermassen einfach fortgespült.
Von eindringenden Fluten aus dem Schlaf gerissen
Die Sturmflut trifft die Menschen unvorbereitet: "Niemanden ahnete eine solche Gefahr, das Wasser strömte mit solch Eile heran, daß mehrere tausende Menschen im bloßen Hemde oder halb gekleidet, auf die Hausböden fliehen mussten. Viele wurden vom eindringenden Wasser erst aus dem Schlafe geweckt. Sie sahen ihr Zimmer mit Wasser angefüllt, Kleider, Tische, Stühle darin herumschwimmend", berichtet der Chronist.
Rund 800 Menschen sterben bei der Flutkatastrophe, die später als "Februarflut" oder "Große Halligflut" in die Geschichte eingeht. Tausende Rinder, Schafe und Schweine ertrinken, ganze Landstriche werden überflutet, die Äcker von dem Nordseewasser versalzen.
Halligen und Nordseeinseln besonders betroffen
Besonders hart trifft es die nordfriesischen Inseln und die Halligen. Pellworm und Föhr werden vollständig überflutet. Auf Sylt bricht bei Westerland ein Seedeich, allein in Rantum zerstört die Flut 15 Häuser, in 100 weitere dringt das Wasser ein, auch auf Amrum versinken Häuser in den Fluten. Die Bevölkerung rettet sich in die Dünen.
Auf den Halligen zeigt sich schnell, dass die Warften nicht ausreichend hoch sind, schon bald stehen viele Häuser mitten in der Brandung und werden weggespült. Allein auf der Hallig Hooge sterben 28 Menschen, auf Nordmarsch und Langeneß sind es 30 Menschen. Auf Südfall werden sämtliche Häuser zerstört, alle zwölf Bewohner sterben in den Fluten.
Überflutungen auch im Alten Land und in Hamburg
Nicht nur an den Küsten, etwa auf Eiderstedt, werden weite Gebiete überflutet. Bis weit ins Landesinnere strömt das Wasser, lässt Gebäude einstürzen. Im Alten Land und in Hamburg werden Hunderte Häuser beschädigt oder zerstört, Finkenwerder und Moorburg vollständig überflutet.
Von den Fluten betroffen sind auch die Küsten der Niederlande und Dänemarks. In Norddänemark durchbrechen die Wassermassen einen Dünenstreifen und schaffen so eine Verbindung zwischen der Nordsee und dem Limfjord.
Deiche in schlechtem Zustand
Historischen Aufzeichnungen zufolge erreichen die Pegel in der Sturmflutnacht an einigen Orten nie gekannte Höchstwasserstände - etwa in Cuxhaven mit 4,64 Metern, Emden mit 4,65 Metern und Husum mit 5,23 Metern über Normalhöhennull (NHN). Die Fluten treffen auf Deiche, die teils zu niedrig sind, teils bereits Wochen zuvor bei Sturmfluten im Oktober und November beschädigt oder durch wochenlangen Regen und Sturm durchgeweicht sind. Da die Deichsicherung vielerorts nicht zentral geregelt ist, sondern in der Verantwortung einzelner Landeigentümer liegt, die die Kosten scheuen, sind die Deiche oft bereits seit Jahren in einem schlechten Zustand.
Menschen fliehen auf Häuserdächer
Am Morgen des 4. Februar haben Tausende Menschen alles verloren und harren auf den Dächern ihrer Häuser aus - um sie herum das Wasser. "So weit das Auge reicht, ein tobender See, woraus die niedern Häuser mit den Spitzen der Dächer hervorragenten, die höhern und die Kirchen halb versenkt im Wasser. Die Erdrücken und Hügel gedrängt voll Thiere und Menschen, die Dächer mit Hülferufenden, die mit ausgestreckten Armen, mit Aufhebung ihrer nackten Kinder, den Entfernten ihre Verzweiflung zu erkennen gaben. Die Fluthen mit Trümmern der niedergerissenen Wohnungen, mit ertrunkenem Vieh, und allerlei treibbaren Sachen angefüllt." Erst ab dem Nachmittag zieht sich das Wasser nach und nach zurück - und hinterlässt eine verwüstete Landschaft.
Nach 1825: Küstenschutz wird verbessert
Der Schock über die Katastrophe sitzt tief. Durch das bereits blühende Pressewesen findet sie auch eine starke Beachtung in der Öffentlichkeit und führt zu einer Welle der Spendenbereitschaft. Politisch beginnt ein Umdenken im Küstenschutz. In den Folgejahren werden die Deiche verstärkt und erhöht. Staatliche Standards werden eingeführt und lösen die zuvor regional teils sehr unterschiedlichen Vorgaben zu Höhe und Bauweise der Deiche ab.
Erst 1962 kommt es erneut zur Flutkatastrophe
137 Jahre lang kommt es an der deutschen Nordseeküste zu keiner größeren Flutkatastrophe mehr - bis zum Jahr 1962, als erneut vielerorts die Deiche brechen. Ein Sturm aus nordwestlicher Richtung, dazu eine Springflut und mittlerweile veraltete, schlecht instand gehaltene Deiche: Diese Kombination führt auch 1962 wieder zur Katastrophe und fordert in Hamburg 315 Todesopfer.
Heute erinnern mancherorts noch Pegelanzeiger an die Flut von 1825, so etwa in Nebel auf Amrum, wo das Wasser 1825 sogar höher stieg als bei der Sturmflut 1962. Auf Hallig Hooge erinnert eine Gedenktafel an 24 Hooger, die in den Fluten ihr Leben ließen.