"Aktion Rose" der DDR: Verhaftet und "gezittert wie Espenlaub"

Stand: 12.02.2023 05:00 Uhr

von Ramon Gerwien

"Ich bin ein Rostocker Junge", sagt Fritz Westendorf, Jahrgang 1929. 1953 sitzt er im Bützower Gefängnis - verhaftet unter einem Vorwand. Mit ihm eingesperrt: 447 Frauen und Männer. Sie alle haben eines gemeinsam: Das DDR-Regime hat ihnen im Zuge der "Aktion Rose" ihre Hotels, Pensionen, Betriebe und Höfe genommen und sie mit zum Teil absurden Vorwürfen ins Gefängnis gesteckt.

Schlechte Haftbedingungen im DDR-Gefängnis

Unter ihnen herrscht Ungewissheit. Die Inhaftierten haben keinen Kontakt zur Außenwelt. In der Zelle: drei Strohsäcke und ein Kübel, etwas Trockenbrot und Grützwurst. Mehr gibt es für Fritz Westenberg und seine fünf Zellengenossen nicht. Er weiß noch genau, wie er sich gefühlt hat: "Wenn Sie das mitgemacht haben, als junger Mensch, waren sie richtig am Boden zerstört. Sie haben gezittert wie Espenlaub." Er erinnert sich auch daran, wie schwer es den Haftinsassen gemacht wurde: "Bützow war die Hölle, wir hatten einen Löffel, den haben wir uns an der Fensterbank spitz geschliffen, um einen Kanten Brot zu schneiden." Im Gefängnis findet er Leidensgenossen, die den damals 23-Jährigen auffangen.

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Fritz Westendorf lernt einen Pensionsbetreiber kennen. Dem wirft der Staat vor, Lebensmittel zu horten. Dabei hat die Familie lediglich im Keller Kartoffeln auf Vorrat liegen, um damit ihre Gäste übers Jahr versorgen zu können. Andere werden festgenommen, weil sie Heringe oder Eier lagern. Sie können nicht nachweisen, woher sie die Waren haben - oft, weil sie vom eigenen Hof stammen.

Stichwort "Aktion Rose"

Ein Hotelbesitzer wird zum zweiten Mal enteignet

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Kaba-Klein und sein Kurhaus Binz

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Besonders im Gedächtnis geblieben ist Westendorf die Geschichte von Adalbert Kaba-Klein. An das Schicksal des jüdischen Hotelbesitzers erinnert heute ein Stolperstein vor dem Kurhaus in Binz auf Rügen: "Entrechtet/enteignet, 1941 verhaftet in Ungarn, Flucht bei Deportation, im Untergrund überlebt."  Was die Messingtafel nicht erzählt: Adalbert Kaba-Klein wird 1953 im Rahmen der "Aktion Rose" vom DDR-Regime erneut enteignet und verhaftet.

Fritz Westendorf hört immer noch die Stimme des jüdischen Unternehmers auf den Gefängnisfluren: "Zehn Jahre Haft", zitiert der Rostocker den einstigen Kurhausbesitzer: "Ich habe Adolf überlebt und das KZ und diese Jahre überlebe ich auch!" Worte, die dem jungen Fritz Westendorf Hoffnung geben. Wenn sich jemand seinem viel härteren Schicksal stellt, wird er auch seines überwinden, sagt sich der junge Angestellte. Beschäftigt ist er beim volkseigenen Getreide-Großhandel. Für diesen treibt er die Abgaben der Landwirte ein.

Fritz Westendorf gerät ins Getriebe des DDR-Regimes

Fritz Westenberg, Zeitzeuge der "Aktion Rose" in der DDR 1953 © NDR
Fritz Westendorf kam 1953 ins DDR-Gefängnis, nachdem er einem Landwirt geholfen hatte. Er selbst sah dabei kein Vergehen.

Im Gegensatz zu den anderen Inhaftierten hat Westendorf kein Eigentum. Und doch sitzt er im Gefängnis. Komplizenschaft wird ihm unterstellt. Was war passiert? Der 23-Jährige hatte einem Bauern geholfen, seine vom Staat geforderten Abgaben zu leisten, indem er ihm einen Getreidehandel vermittelt hatte. Westendorf glaubte dabei, sich an das Gesetz zu halten. Und doch wird ihm dieses Vorgehen zum Verhängnis.

Der Vorwurf seitens des Staates: Der Bauer habe sein Soll mit Absicht nicht erfüllt - um dem Staat zu schaden. Und Westendorf habe ihm geholfen, das zu vertuschen. Doch in Wahrheit wollte der Staat im Rahmen der "Aktion Rose" eine Immobilie des Bauern in Kühlungsborn in Besitz nehmen. Nach der Anklage wird dieser dann auch enteignet, muss aber aufgrund seines hohen Alters nicht ins Gefängnis. Ganz im Gegensatz zu Fritz Westendorf, der trotz haltloser Anklage in Bützow eingesperrt wird.

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Erinnerungen für die Nachwelt erhalten

Am 10. Juni 1953, nach drei Monaten Haft, wird Westendorf entlassen. Er nimmt seinen Dienst im Getreidehandel wieder auf. Was bleibt: die Angst, willkürlich verhaftet zu werden. Noch jahrelang begleitet, ja lähmt sie ihn.  Nach der Wende wird er rehabilitiert und mit rund zehn D-Mark pro Hafttag entschädigt.

Rückblickend sagt Westendorf, dass er mit der Vergangenheit abgeschlossen hat. Seinen Töchtern zuliebe erzähle er nun öffentlich seine Geschichte. "Du bist der Letzte, der noch etwas dazu sagen kann und das muss der Nachwelt erhalten bleiben", gibt Fritz Westendorf die Worte seiner Kinder wieder.

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Nordmagazin | 12.02.2023 | 19:30 Uhr

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