Schicksalsjahr für Northvolt: Von Euphorie bis Sanierungsfall
Batteriehersteller Northvolt hat 2024 für jede Menge Schlagzeilen gesorgt: Anfangs als Hoffnungsträger der europäischen Wirtschaft, dann durch Probleme bei der Produktion und ein Insolvenzverfahren.
Es war ein Jahr der Extreme für den schwedischen Batteriehersteller Northvolt: Nur wenige Monate liegen zwischen dem viel beachteten Baustart der neuen Gigafactory in Dithmarschen und dem Insolvenzverfahren in den USA. Was ist wann genau passiert? Wir blicken chronologisch auf das Jahr 2024 zurück.
Januar: EU gibt Fördermittel frei
Die EU-Kommission bewilligt am 8. Januar Fördermittel und Garantien im Gesamtumfang von 902 Millionen Euro. "Die positive Beihilfeentscheidung der EU-Kommission ist nicht nur wegweisend für das Ansiedlungsvorhaben von Northvolt bei Heide, sondern für die europäische Batteriezellindustrie insgesamt", sagte ein Northvolt-Sprecher damals.
Am 17. Januar unterzeichnet Northvolt einen sogenannten Durchführungsvertrag. Damit verpflichtet sich das Unternehmen, bei Heide zu bauen.
Knappes Ergebnis in der Gemeindevertretung
Das letzte Wort aber haben die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker in den beiden Dörfern, auf deren Flächen die Fabrik entstehen soll: Am 18. Januar stimmt die Gemeindevertretung von Lohe-Rickelshof ab. Die zwölf Gemeindevertreter entscheiden einstimmig für den Bau. Deutlich spannender wird es am 22. Januar: Alles hängt davon ab, wie die sieben Gemeindevertreter von Norderwöhrden entscheiden. Mit vier zu drei Stimmen stimmen sie ganz knapp für den Bau. Die Kritiker befürchten unter anderem, dass der Ausbau für die Infrastruktur nicht hinterher kommen könnte.
Wandelanleihe wird ausgezahlt
Die staatliche Förderbank KfW steigt bei Northvolt ein: Ebenfalls im Januar überweist sie den zweiten Teil einer sogenannten Wandelanleihe in Höhe von 600 Millionen Euro. Der Bund und das Land sichern diese Anleihe jeweils zur Hälfte ab.
Februar: Regionale Betriebe sollen beim Fabrik-Bau helfen
Northvolt will Unternehmen aus der Region beim Bau der Batteriefabrik beteiligen. Zu einem Infoabend kommen 500 Vertreter der örtlichen Wirtschaft. Immer wieder gibt es Applaus, kritische Stimmen hingegen nicht.
März: Baustart mit Bundeskanzler und Boßeln
Ende März kommen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) auf die Baustelle. Zum offiziellen Baustart gibt es einen symbolischen Boßel-Wurf mit Northvolt-Chef Peter Carlsson. "Industrie siedelt sich da an, wo Energie ist. Es war keine Fügung, sondern eine klare Entscheidung, auf Windenergie zu setzen", sagt der Kanzler. Einige Ökonomen kritisieren die Subventionen, darunter auch Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW): "Unter dem Strich ist der Spatenstich sehr teuer." Die Menschen aus der Region sind beim Baustart nur Zaungäste. Im Vorfeld war die Stimmung gemischt: Bei einer #NDRfragt-Umfrage befürwortet eine Mehrheit die Ansiedlung.
Juni: BMW storniert Auftrag
Im Juni ziehen dunkle Wolken auf: BMW storniert eine Bestellung über Batteriezellen von Northvolt im Wert von zwei Milliarden Euro. Die Zellen sollten eigentlich im Northvolt-Werk in Skellefteå in Nordschweden produziert werden. Der Auftragswert hätte laut einem Northvolt-Sprecher bei rund vier Prozent des Gesamt-Auftragsvolumens von Northvolt von 50 Milliarden Euro gelegen. BMW wollte sich selbst nicht zu der Stornierung äußern. Laut einem Bericht des Manager Magazins liegt die Stornierung an zeitlichen Verzögerungen bei der Produktion und an zu viel B-Ware.
Juli: Northvolt kündigt neue Strategie an
Eine schwedische Zeitung berichtet Anfang Juli, dass Northvolt seine internationalen Vorhaben bremsen wolle. "Wir waren in unseren Expansionsplänen etwas zu aggressiv und das überprüfen wir jetzt", sagt Northvolt-Chef Peter Carlsson dem Wirtschaftsblatt. Von einer "Krise" seines Unternehmens will Carlsson da noch nicht sprechen. An dem Bau der Fabrik bei Heide will die Firma festhalten, erklärt Deutschland-Chef Christofer Haux. Allerdings schließt er nicht aus, dass sich der Fabrikbau verzögern oder geändert werden könnte.
September: 1.600 Mitarbeitende in Schweden entlassen
Im September kommt eine Hiobsbotschaft aus Schweden. Northvolt kündigt Stellenstreichungen in seinen schwedischen Werken an. 1.600 Mitarbeitende sollen entlassen werden. Das Unternehmen müsse aufgrund seiner angespannten finanziellen Lage Kosten reduzieren.
Oktober: Northvolt hat für VW keine Priorität
Wie schwedische Medien berichten, sucht Northvolt händeringend nach neuen Geldgebern. Größter Aktionär mir 21 Prozent ist der deutsche Volkswagen-Konzern. In der Wolfsburger Zentrale scheint das Interesse an Northvolt allerdings nicht besonders groß zu sein. Interviews dazu lehnt das Unternehmen ab. Nach NDR Informationen heißt es intern bei VW, das geplante Werk in Heide spiele überhaupt keine Rolle als Batterielieferant. Auch das Bundeswirtschaftsministerium setzt kommunikativ nicht mehr nur auf den einen Hoffnungsträger: "Am Ende des Tages geht es um eine Anstrengung für die nächsten zehn bis 20 Jahre, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas zu verbessern", sagt Staatssekretär Michael Kellner (Grüne) im NDR Interview. "Das hängt nicht an einem Unternehmen."
November: Gläubigerschutz in den USA
Die finanziellen Probleme werden immer größer. Das Unternehmen stellt in den USA einen Antrag auf Gläubigerschutz. Das Sanierungsverfahren nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts schützt Northvolt für eine gewisse Zeit vor dem Zugriff seiner Gläubiger und erleichtert damit den finanziellen Neustart. Außerdem kann so das operative Geschäft, unter anderem am ersten Werk in Skellefteå, laut Northvolt normal weiterlaufen. Der Bau der Batteriefabrik bei Heide ist von dem Insolvenzverfahren nicht betroffen, so ein Northvolt-Sprecher. Allerdings soll die Produktion in Dithmarschen später starten als bisher geplant.
Einen Tag später tritt Northvolt-Gründer und CEO Peter Carlsson zurück. Der frühere Tesla-Manager kündigt an, er werde im Aufsichtsrat des Unternehmens bleiben und Northvolt weiter beraten. "Im Rückblick waren wir überehrgeizig, was das Timing angeht", so Carlsson.
Dezember: Bürgschaft muss zurück gezahlt werden
Bei dem Sanierungsverfahren in den USA steht auch die KfW-Förderbank auf der Liste der Gläubiger - mit ihrer 600-Millionen-Euro-Anleihe. Die KfW fordert dieses Geld jetzt vom Bund zurück. Zusammen mit dem Land Schleswig-Holstein hatte der Bund dafür gebürgt. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) spricht von "betrüblichen Nachrichten". Im schlimmsten Fall haftet das Land mit 300 Millionen Euro - in einer Zeit, in der das Land wegen der angespannten Haushaltslage an etlichen Stellen sparen muss. Der Landesrechnungshof und der Steuerzahlerbund weisen darauf hin, dass Förderungen für einzelne Unternehmen immer mit einem Risiko verbunden seien. Der Staat müsse skeptisch sein, wenn es einem Unternehmen nicht gelänge, für seine Investitionen auf den globalen Kapitalmärkten Investoren zu finden, so ein Sprecher des Bundes der Steuerzahler. Und die SPD-Fraktion im Landtag verlangt nun Akten-Einsicht von der Landesregierung.
Verfahren in Houston beginnt
Kurz vor Weihnachten beginnt am Insolvenzgericht in Houston, Texas, offiziell das Sanierungsverfahren von Northvolt mit einer Anhörung. Wenn die Sanierung nicht gelingt, droht Northvolt die Insolvenz. - Ein Sprecher des Amtes Heider Umland sagt, die Verunsicherung in der Region sei nicht wegzureden. Die Planungen für Wohnraum und weitere Gewerbeflächen für Zulieferer würden fortgesetzt - aber mit Augenmaß.