Duschen mit Windstrom: Ideen für ein Energiesystem der Zukunft
Trotz voranschreitenden Netzausbaus kann oft nicht die gesamte Strommenge aufgenommen werden, die insbesondere durch Windkraftanlagen hergestellt wird. Ein Projekt in Dithmarschen und Nordfriesland soll daran jetzt etwas ändern.
Die Zukunft des Energiesystems, sie könnte ganz unspektakulär aussehen. Wie der Heizstab zum Beispiel, den Gunnar Hinrichsen gerade in seinem Heizungsraum in Galmsbüll in Nordfriesland präsentiert. Man muss sich das Gerät wie einen überdimensionierten Tauchsieder vorstellen, ein etwa 50 Zentimeter langer, gewundener Stab mit einem schwarzen Gehäuse am Ende.
Der 38-Jährige hat sich so einen Heizstab in den Warmwasserspeicher einbauen lassen. Das Gerät, das er in seiner Hand hält, ist für seine Schwester bestimmt. Darin steckt unter anderem ein Wlan-Modul, über das sich der Heizstab fernsteuern lässt. Derzeit übernimmt das eine kleine Box im Haus, die immer weiß, wieviel Strom die Photovoltaikanlage der Familie gerade produziert und wieviel gleichzeitig verbraucht oder in die Hausbatterie geladen wird.
Warm duschen mit Windstrom
Ist Strom über, geht der Heizstab an und erhitzt die 160 Liter Brauchwasser. Eine Kilowattstunde kostet die Familie dann theoretisch 6,5 Cent, die sie sonst bekäme, wenn sie sie ins Stromnetz einspeisen würde - im Vergleich zu 14 Cent für eine Kilowattstunde Gas. "In der hellen Jahreszeit duschen wir quasi rein elektrisch", sagt Gunnar Hinrichsen. "Im Herbst und im Winter klappt das natürlich nicht."
Auch deshalb hofft der Familienvater, bald Teil des "Windduschen"-Projekts zu sein: Die Energiegenossenschaft Prokon aus Itzehoe (Kreis Steinburg) will testen, ob sich überschüssiger Windstrom im Warmwasser von Privathaushalten speichern lässt. Mindestens 100 Haushalte sucht sie dafür in Dithmarschen und Nordfriesland. Sie alle sollen Heizstäbe erhalten, die immer dann gleichzeitig angeschaltet werden, wenn Windkraftanlagen mehr Strom produzieren als verbraucht werden kann. In diesem Fall werden die Anlagen ausgeschaltet oder runtergeregelt.
Strom für Hunderttausende Haushalte geht verloren
Die Menge an grünem Strom, die wegen sogenannter "Abregelungen" nicht produziert werden konnte, ist in den vergangenen Jahren auch aufgrund des Netzausbaus stetig gesunken. In Schleswig-Holstein liegt er noch im mittleren einstelligen Prozentbereich. Laut Zahlen des Energiewendeministeriums waren das aber immer noch mehr als 1.200 Gigawattstunden allein im ersten Halbjahr dieses Jahres. Und damit soviel Strom, wie rechnerisch 300.000 Vier-Personen-Haushalte im Jahr verbrauchen.
Die Energiegenossenschaft macht sich bei dem Projekt nun eine Änderung des Energiewendegesetzes zunutze. "Das erlaubt seit wenigen Wochen überhaupt erst die Nutzung von Windstrom, der sonst abgeregelt und damit quasi weggeschmissen werden würde", erklärt der "Windduschen"-Projektleiter Christoph Teuchert. Für Stromproduzenten, zu denen Prokon selbst auch gehört, war das nie ein Problem. Ihnen wurde und wird jede Kilowattstunde ersetzt - bezahlt von den Verbrauchern.
Experte: Flexible Stromnachfrage notwendig
Auch Oliver Opel vom Institut für die "Transformation des Energiesystems" an der Fachhochschule Westküste in Heide verweist auf die bisher fehlende Rechtsgrundlage, um Ansätze wie den des "Windduschen"-Projekts wirtschaftlich umsetzen zu können. "Wir haben schon vor 20 Jahren gesagt, dass man diesen Weg gesetzlich gehen muss", so Opel. "Die Idee, darüber die Stromnachfrage auf diese und andere Weise zu steuern, gibt es schon lange."
Mit Blick auf das Gesamtenergiesystem wird das Prokon-Projekt dem Professor zufolge kaum einen Effekt haben: "Die Leistung, die von den Haushalten abgerufen wird, ist ja erst einmal sehr gering." Wenn die Technik funktioniere, könnte deren Zahl aber deutlich steigen. "Und so oder so halte ich den Ansatz für einen Schritt in die richtige Richtung, weil wir mehr Flexibilität in der Stromnachfrage benötigen", meint Opel.
"Stromüberschüsse wird es immer geben"
Sich dabei auch auf Privathaushalte zu konzentrierten, macht für den Energiexperten absolut Sinn: "Im Jahr 2045 werden wohl bis zu 50 Prozent der Gesamtstromnachfrage darauf entfallen - das ist also kein Kleinkram." Und innerhalb des Privathaushalts seien die Wärmeversorgung und die Mobilität wiederum die größten Energiefresser.
Wahrscheinlich würden künftig dann wohl eher Wärmepumpen statt Heizstäbe auf Zuruf anspringen sowie Haus- und Autobatterien geladen - das Prinzip bleibe aber das Gleiche und werde selbst mit zunehmenden Speicherlösungen und einem gut ausgebauten Stromnetz nicht unwichtig: "Ich gehe davon aus, dass es auch in Zukunft immer Zeiten eines großen Stromüberschusses geben wird, sodass solche Lösungen eher noch wichtiger werden."
Ein Stück Idealismus ist auch dabei
Gunnar Hinrichsen beschäftigt die Energiewende schon lange. Er möchte mithelfen, dass sie gelingt. "Wir haben uns die Photovoltaikanlage, den Speicher oder das Auto nicht in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen zugelegt", sagt er. "Da war und ist auch ein Stück Idealismus bei, auch wenn es sich nach einer Zeit ganz sicher rechnet."
So sieht er es auch bei dem Windduschenprojekt. Der Heizstab wird in einen Wartungszugang gesetzt, den der frühere Warmwasserspeicher nicht hatte. Zudem stand dieser falsch. Gunnar Hinrichsen investierte um die 1.500 Euro - und wird für eine Windstrom-Kilowattstunde dann acht Cent bezahlen. "Also sechs Cent weniger als für Gas", rechnet er vor. "Das dauert schon einige Jahre, bis sich das lohnt." Dafür aber duscht es sich mit einem sehr guten Gewissen.