Energiewende: Der Netzausbau in SH hinkt hinterher

Stand: 13.02.2024 17:57 Uhr

Bis 2030 sollen bundesweit 80 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien stammen. Um das Ziel zu erreichen, muss Schleswig-Holstein beim Netzausbau Tempo machen. Doch gegen viele Leitungen gibt es Widerstand, manchmal auch aus Umweltgründen.

von Hauke von Hallern und Sven Jachmann

Eine 20 Meter breite Schneise führt mitten durch ein Naturschutzgebiet südlich von Ratekau (Kreis Ostholstein) im Osten von Schleswig-Holstein. Reste von abgeholzten Bäumen liegen an den Rändern. Ein Kran hebt von einem Lastwagen Metallplatten für Baufahrzeuge in die Schneise. Hier soll eine 380 kv Stromleitung entstehen - die Ostküstenleitung. Sie soll ab 2027 grünen Strom aus Göhl im nördlichen Ostholstein über den Raum Lübeck bis nach Henstedt-Ulzburg und Kisdorf transportieren. Doch das hat seinen Preis.

Mit einem Mehrfachpflug zur Verlegung von Drehstromerdkabeln werden bei einem Test Leerrohre für die Kabel verlegt. © dpa-Bildfunk Foto: Christophe Gateau/dpa
AUDIO: Energiewende: Streit um den Netzausbau in Schleswig-Holstein (4 Min)

Energiewende bedeutet, Kompromisse einzugehen

"Wir haben hier ein hochsensibles Naturschutzgebiet mit vielen wertvollen Flächen und im Zuge der ersten Maßnahmen werden einmal Bäume gefällt, es werden Knicks beseitigt und mit den Maßnahmen sollen auch Bodenbrüter vertrieben werden", erklärt Ratekaus Bürgermeister Thomas Keller (parteilos). Außerdem solle in der Gemeinde ein großes Umspannwerk gebaut werden. "Ich weiß gar nicht, wo das noch Platz finden soll. Es bleibt eine große Betroffenheit in der Gemeinde."

Die Energiewende zu schaffen, das heißt auch Interessen abzuwägen. Eine neue Leitung ist immer ein Eingriff in die Natur. Die Menschen vor Ort müssen mit der Infrastruktur, die die Energiewende mit sich bringt, leben. "Das ist immer ein schwieriger Kompromiss. Einerseits wollen wir die Energiewende voranbringen, andererseits wollen wir auch Mensch und Natur schützen", sagt der Energie-Wissenschaftler Ingmar Leiße von der Hochschule Flensburg. Klagen und Einwände gegen den Netzausbau bedeuten auch, dass sich die Energiewende verzögert. "Die Folgen sind, dass wir unsere Energie hier nicht nutzen können, die erzeugt werden könnte", so Leiße. Am Ende kann das auch bedeuten, dass einige Hektar Wald für grünen Strom dann eben vor Ort geopfert werden müssen.

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Ernteausfälle durch Erdkabel

Viele Experten fordern mehr Tempo beim Leitungsbau, doch wo bleibt der Umweltschutz? "Wir können die Leitungen nicht einfach mit dem Bulldozer durch das Land ziehen, sondern müssen auch alle Belange weiter prüfen", sagt Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Die Genehmigungsverfahren sind komplex, Tausende Menschen sind direkt betroffen, weil die Leitungen durch ihre Grundstücke gegraben werden. Die bekommen dafür zwar Entschädigungen, aber viele Grundstücksbesitzer sind Landwirte.

Wie zum Beispiel Maik Möhring aus Warwerort bei Büsum (Kreis Dithmarschen). Durch seine Felder verlaufen inzwischen sogar vier Stromkabel. Ein fünftes soll bald dazu kommen. "Ich bin vergangenen Herbst angeschrieben worden, dass es diesbezüglich bald losgeht."

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Stromleitungen stören Wurzelwachstum

Zuletzt wurde das Nordlink-Kabel durch seine Felder verlegt. Die Kabel liegen etwas mehr als einen Meter tief unter der Erde. Darüber liegen Kies und Abdeckplatten. "Die stören das Wurzelwachstum der Pflanzen", erklärt Maik Möhring. Der Landwirt baut Weizen und Kartoffeln auf seinen Feldern an. Die Folge: jedes Jahr Ernteausfälle. "Ich weiß nicht, ob der Boden jemals wieder was wird. Gerade im Sommer, wenn es extrem trocken wird, kommt der Weizen nicht mehr ans Grundwasser. Er reift zu früh, wird im Juni schon hell und geht in die Notreife." Ist es hingegen sehr feucht, bleibt die Ackerfläche über dem Kabel am längsten nass, weil der Boden in dem Bereich kein natürliches Kapillarsystem mehr ausbilden kann, erklärt er. Der Boden entwässert nicht oder nur sehr langsam. Jedes Jahr beantragt er Entschädigungen für die Ernteausfälle. Heute wäre es ihm lieber, in seinen Feldern wären keine Kabel vergraben, denn dadurch hat sein Land an Wert verloren.

Netzausbau: Widerstand im Süden der Republik

Beim Netzausbau müssen die Macher der Energiewende jeden Einzelnen überzeugen. "Sie müssen mit den Menschen vor Ort in Kontakt treten und verdeutlichen, welche Bedeutung der Netzausbau für sie hat. Wir müssen klarmachen: Wenn wir kostengünstige Energie in Deutschland erhalten wollen, kommen wir um den Netzausbau nicht herum", appelliert Stefan Thimm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie Offshore (BWO). Aber Widerstand entlang der geplanten Trassen gibt es immer. Ganz aktuell bei den Trassen SüdWestLink und NordWestLink. Und das, obwohl dort nur ungefähre Verläufe veröffentlicht wurden. So gibt es Proteste und Klagen in Hessen und Bayern. Gemeinden klagen, sie seien zu spät eingebunden worden und werden nicht über Umweltauswirkungen informiert. Trassengegner sprechen auch Betretungsverbote für ihre Grundstücke aus und weigern sich, Flächen für Umspannwerke zu verkaufen. Enteignungen stehen deshalb im Raum.

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Ein Regenbogen steht zwischen Hochspannungsmasten und Windrädern in Wöhrden. © Jonas Walzberg/dpa Foto: Jonas Walzberg

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Verzögerungen beim Netzausbau kosten Geld

Nicht zuletzt deswegen dauert der Netzausbau zu lange. Die Folge: Anlagen werden vom Netz genommen, Solarparks in Süddeutschland genauso, wie Windanlagen an Land und auf dem Meer. Denn wegen der fehlenden Leitungen würden ihre Strommengen die Netze überlasten. Allein die Offshore-Windparks in der Nordsee liefern so viel Strom, dass nach Angaben des Netzbetreibers Tennet sechs Millionen Haushalte versorgt werden könnten. Aber zehn Prozent der Menge wurden 2023 gar nicht erst eingespeist. Diese Abregelung der Anlagen kostet Millionen, denn die Windmüller müssen entschädigt werden. Das zahlt dann der Endverbraucher. Die Kilowattstunde wird teurer. Immerhin: Die abgeregelte Strom-Menge hat sich in den vergangenen Jahren halbiert. Das liegt auch an der fertiggestellten Westküstenleitung von Brunsbüttel bis zur dänischen Grenze. Doch eine Leitung allein wird das Problem Abregelung nicht lösen.

Trotz Abregelung - Ausbau der Windenergie geht weiter

Obwohl der Strom wegen mangelnder Trassen an Land nicht verteilt werden kann, arbeiten die Betreiber bereits an weiteren Windparks an Land wie auf See. Bis 2032 sollen in der Nordsee 21 Großanlagen ihren Betrieb aufnehmen. Theoretisch könnten sie 20 Millionen Haushalte mit Windstrom versorgen. Aber mit Südlink wäre in vier Jahren voraussichtlich erst eine Stromautobahn von Schleswig-Holstein nach Bayern und Baden-Württemberg fertig. "Südlink wird uns ein ganz großes Stück nach vorne bringen. Wir könnten zehn Millionen Haushalte über diese Leitung mit Windstrom aus der Nordsee versorgen", sagt Stefan Thimm. Das wäre dann ein Viertel der Haushalte in Deutschland.

Könnte, wäre. Solange diese Leitungen nicht fertig sind, kann der Strom der vielen neu geplanten Windparks nicht vollständig transportiert werden. "Aber allein deswegen das Tempo beim Ausbau der Windkraft zu drosseln, wäre grundfalsch", sagt der Grünen-Politiker Goldschmidt. Mit Blick auf die geplanten Trassen sagt der Energiewende-Minister: "Die Planungen laufen, deswegen muss der Ausbau der Windenergie weiter vorangetrieben werden."

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Neue Trassen kommen zu spät

Die Planungen laufen, aber bis zum Baustart dauert es Jahre. SüdOstLink - von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern - soll nach Tennet-Angaben immerhin bereits 2027 in Betrieb gehen. Diese Leitung soll aber um den NordOstLink bis nach Heide verlängert werden. Baubeginn ist da aber erst in 2028. Voraussichtlich. Das gilt auch für zwei weitere Trassen, die von Schleswig-Holstein Richtung Süden verlaufen sollen. "Wir haben einen Netzausbau, der heute hinterherhinkt" beklagt sich Offshore-Experte Stefan Thimm, Geschäftsführer Bundesverband Windenergie Offshore.

Sechs Stromautobahnen sollen künftig in Schleswig-Holstein beginnen

In Schleswig-Holstein wurden laut Statistikamt 2022 bereits 87,4 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Rechnerisch könnten es inzwischen sogar über 100 Prozent sein - aber der Netzausbau kommt nicht hinterher. Allein von Schleswig-Holstein aus sollen sechs neue Stromtrassen den Windstrom in der Republik verteilen. Jede Trasse für sich ist ein Milliardenprojekt. Brunsbüttel, Heide, Wilster (alle Kreis Dithmarschen) und Büchen (Kreis Herzogtum Lauenburg) sind die Startpunkte. Mit Nordlink und der Westküstenleitung sind zwei der sechs Trassen in Betrieb. Von den anderen vier Trassen ist aber nur eine im Bau: Südlink. Aktuell arbeiten Bauarbeiter an der Elbquerung bei Wewelsfleth. Die Kabeltrasse soll durch einen Elbtunnel gelegt werden, Bauzeit vier Jahre. Zeitgleich bauen Ingenieure am Konverter am anderen Ende der Trasse in Leingarten (Baden-Württemberg). Südlink hätte aber schon fertig sein können. Proteste, wie bei allen anderen Leitungen auch, verzögerten den Bau immer wieder.

Wirtschaftswunder Energiewende

All diese Diskussionen, Anstrengungen und Bauvorhaben finden nicht nur in Deutschland statt. Europäische Staaten planen insgesamt eine Stromerzeugung auf See von bis zu 300 Gigawatt. Bis 2045 werden sie 1.200 Milliarden Euro investieren, sagt Stefan Thimm vom Bundesverband Windenergie Offshore. "Wir haben die Chance, ein kleines Wirtschaftswunder auszulösen." Der Bau von Offshore-Windparks sei inzwischen wesentlich günstiger als in den 10er-Jahren. "Nach der Kostensenkung müsse es nun um den konsequenten Netzausbau gehen", fordert er. Den Satz "das schaffen wir nicht" hat er in den vergangenen 20 Jahren ganz oft gehört, erzählt er. "Aber wir haben immer wieder gezeigt, dass wir die Dinge möglich machen."

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Schleswig-Holstein Magazin | 13.02.2024 | 19:30 Uhr

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